Ist das angemessen? Der Tag der Einschulung wird in immer mehr Famlien zum Event – mit Clown und Kutsche

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FRANKFURT/MAIN. «Der Ernst des Lebens beginnt» hieß es jahrzehntelang zur Einschulung. Inzwischen feiern viele Familien diesen Tag groß mit Freunden und Verwandten. Pädagogen sehen das kritisch.

Ist es sinnvoll, aus der Einschulung eine Art Kindergeburtstag zu machen (Symbolfoto)? Foto: Serena / flickr (CC BY 2.0)
Ist es sinnvoll, aus der Einschulung eine Art Kindergeburtstag zu machen (Symbolfoto)? Foto: Serena / flickr (CC BY 2.0)

Die sechsjährige Lisa kann zwar noch nicht lesen. Ihre Verwandten wünschen ihr aber schon mal in einer Zeitungsannonce viel Glück zum Schulstart. Oder sie reisen zur Einschulung mit Schultüten und anderen Geschenken an. Nach der Begrüßung der Erstklässler in der überfüllten Schul-Aula wird groß gefeiert, zunächst im lange vorher dafür reservierten Restaurant, später zu Hause. Bei manchen Familien kommt auch ein Clown oder Zauberer zur Belustigung, andere organisieren für den Nachmittag Kutschfahrten und Zoobesuche. Der erste Schultag wird zunehmend zum Event. Aufwand und Ausgaben steigen.

Pädagogen sehen den Trend mit gemischten Gefühlen. Zukunftsforscher erklären ihn mit dem Megatrend «Konnektivität»: Menschen suchen sich ihre Gemeinschaften selbst, unabhängig von Nachbarschaften, Religionen und Staat, wie Cornelia Kelber vom Zukunftsinstitut in Frankfurt erklärt.

Zu den Einschulungsfeiern in den Schulen kommen immer mehr Menschen; «selbst wenn die Schülerzahlen gleich bleiben oder gar sinken», berichtet der Landesvorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung (VBE), Stefan Wesselmann. «Der VBE Hessen sieht natürlich mit Freude, dass Eltern so viel Anteil nehmen an der schulischen Laufbahn, die ja mit der Einschulung beginnt.» Es sei auch wichtig, dass Eltern ihren Kindern zeigten: «Wir begleiten und unterstützen dich.» Dies sollte sich allerdings nicht auf die Übergänge und Abschlüsse beschränken, sondern grundsätzlich gelten, mahnt der Lehrer und Pädagoge.

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Rakete, Einhorn oder Dino: Viele Mütter fühlen sich schon Wochen vor Schulbeginn unter Druck, um ihrem Kind eine besondere Schultüte zu basteln. Die Einladungskarten für die Einschulungsfeier sollen auch möglichst individuell ausfallen.

Viele Restaurants sind für die Feiern schon lange vorher ausgebucht oder bieten wie das Waldhotel Schäferberg in Kassel oder der Seehof am Aartalsee im Lahn-Dill-Kreis Einschulungsbuffets. «Damit sich alle für immer an einen schönen Tag erinnern», sagt Angelika Freitag vom Waldhotel. Daher gibt es auch Kinderprogramm und eine besondere Dekoration zum Essen. Sehr verbreitet seien solche Angebote aber noch nicht, sagt der Sprecher des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Hessen, Sebastian Maier. «Das ist kein Geschäft mit besonderer Aufmerksamkeit wie etwa Weihnachten oder Ostern.»

Zukunftsforscherin Kelber stellt fest: «Feiern, die früher privat waren, sind zum Statussymbol geworden. Man zeigt, wer man ist, und was man kann.» Bei der Einschulung überböten sich viele Mütter gegenseitig. Das Privatleben sei – wie in den sozialen Netzwerken – ein wenig zum Wettbewerb geworden und immer ein bisschen öffentlich: Denn alles kann gefilmt und im Internet gepostet werden. «Man hat die Facebook-Crowd immer im Hintergrund, bei allem was man tut.» Zugleich habe die Zeit abgenommen, in der die Menschen offline seien – also ohne Computer, Tablet und auch Smartphone. Die Ansprüche an diese Stunden seien zugleich gewachsen. «Die Zeit, die man offline verbringt, wird zu etwas Besonderem.»

Das Tamtam um den ersten Schultag birgt nach Einschätzung des VBE Hessen auch Risiken. VBE-Chef Wesselmann warnt davor, die eigenen Wünsche und Lebensträume zu sehr auf den Nachwuchs zu übertragen. «Schnell sehen sich Kinder schon zu Schulbeginn großen Erwartungen ausgesetzt, die sie dann nicht unbedingt so erfüllen können oder wollen», berichtet der Pädagoge. «Ein guter lebenslanger Lernprozess beginnt mit Erfolgserlebnissen.» Misserfolge ließen sich jedoch nur selten vermeiden und es sei wichtig zu lernen, damit umzugehen. «Wenn Eltern ihre Kinder bestärken aus Fehlern zu lernen, tragen sie wesentlich zum Aufbau eines gesunden Selbstvertrauens und damit zu einer guten Grundlage einer erfolgreichen selbstbestimmten „Schulkarriere“ bei.»

Der erste Schultag fällt in Hessen fast überall auf einen Dienstag, mancherorts auch auf einen Mittwoch. Das empfinden die einen als Erleichterung, die anderen als Nachteil. Denn in einigen anderen Bundesländern wird erst am Samstag nach dem Schuljahresbeginn eingeschult – und dann ist richtig Zeit für eine große Party mit Freunden und Verwandten aus der ganzen Republik. Beim Kultusministerium in Wiesbaden sind auch schon einige Anfragen zu einer Verlegung des Einschulungstermins auf den Samstag eingegangen. Eine größere Bewegung sei dies aber noch nicht, heißt es dort. Von Ira Schaible, dpa

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