„Nun aber sage ich: es ist gut“: Kultusministerin Heiligenstadt zieht sich zurück (bleibt aber Abgeordnete)

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HANNOVER. Oft war von der schwächsten Ministerin im Kabinett Weil die Rede. Dabei hatte Frauke Heiligenstadt mit dem Bildungsressort auch ein besonders schwieriges Aufgabenfeld. Nun gibt die 51-Jährige ihr Amt auf. Aus Sicht der CDU hinterlässt sie einen Scherbenhaufen. Der Verband Niedersächsischer Lehrkräfte (VNL/VDR) begrüßte die heutige Entscheidung.

Gibt ihr Amt auf: Kultusminsterin Frauke Heiligenstadt. Foto: Foto AG Gymnasium Melle, Wikimedia Commons (CC-BY-SA 3.0)
Gibt ihr Amt auf: Kultusminsterin Frauke Heiligenstadt. Foto: Foto AG Gymnasium Melle, Wikimedia Commons (CC-BY-SA 3.0)

«Ich habe unserem Ministerpräsidenten Stephan Weil in dieser Woche mitgeteilt, dass ich für eine weitere Amtszeit als niedersächsische Kultusministerin nicht zur Verfügung stehe», sagt die 51-Jährige im roten Blazer und sieht dabei keineswegs geknickt aus. Heiligenstadt zählt auf, welche Erfolge Rot-Grün aus ihrer Sicht in der Bildungspolitik gefeiert habe: Abschaffung des Turbo-Abiturs, Ausbau der Ganztagsschulen und der Schulsozialarbeit, Inklusion und dritte Kraft in Krippen. Mit keinem Wort erwähnt die Ministerin in ihrer kurzen Erklärung die Konflikte der vergangenen Jahre.

Allerdings sagte sie: «Kritik ist nicht der Grund, warum ich aufhöre, dann hätte ich in den letzten fünf Jahren ja schon mal eher aufhören können.» Tatsächlich war die Amtszeit der SPD-Politikerin von diversen Pannen geprägt. Höhepunkt war 2015 eine herbe Pleite vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg. Heiligenstadt hatte nur die Gymnasiallehrer dazu verpflichtet, eine Stunde mehr pro Woche zu unterrichten. Doch das Gericht bewertete die Regelung als verfassungswidrig, sie musste zurückgenommen werden. Auf das Land kamen Mehrkosten in Millionenhöhe zu, außerdem fehlten auf einen Schlag Hunderte Lehrer.

„An meiner Person gerieben“

Kurz vor der Landtagswahl rumorte es erneut gewaltig an Niedersachsens Schulen. Derzeit fallen so viele Unterrichtsstunden aus wie lange nicht. Weil besonders im Primarbereich Pädagogen fehlen, wurden Hunderte Gymnasiallehrer kurzfristig an Grundschulen geschickt. Lehrerverbände und Eltern protestierten.

Auf Nachfrage räumt Heiligenstadt ein: «Ich weiß, dass sich auch gerade an meiner Person immer ganz viele gerieben haben.» Vielleicht könne ihr Rückzug auch die anstehendenden Koalitionsgespräche in Niedersachsen erleichtern, sagt sie. SPD und Grüne versuchen, der Landes-FDP ein Ampel-Bündnis schmackhaft zu machen, sie sollen den Liberalen auch das Kultusministerium angeboten haben. Bisher bleiben die Liberalen aber beim kategorischen Nein zur Ampel. «Nun aber sage ich: es ist gut», sagte Heiligenstadt. Ihr am Sonntag gewonnenes Landtagsmandat wolle sie annehmen, in der SPD-Fraktion künftig aber nicht federführend das Thema Bildung betreuen.

Niedersachsens CDU-Landeschef Bernd Althusmann sagte: «Der Rückzug der Kultusministerin ist ein konsequenter und richtiger Schritt. Damit macht sie den Weg frei für den notwendigen Neuanfang in der niedersächsischen Bildungspolitik, in der sie einen Scherbenhaufen hinterlässt.» Das Verhältnis der Lehrer zu ihrer Dienstherrin habe gelitten – ebenso das Vertrauen von Eltern und Schülern in die Zuverlässigkeit des Bildungssystems, sagte Althusmann, der von 2010 bis 2013 selbst Kultusminister war.

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Weil lobte dagegen Heiligenstadt: «Der qualitative und quantitative Ausbau des Ganztagsschulangebots, zusätzliches Personal und Tausende weitere Plätze im Bereich der Krippen und Kitas sowie der Wechsel zurück zu G9 werden immer mit ihrem Namen verbunden sein», sagte der Regierungschef. Heiligenstadt werde auch in Zukunft in der niedersächsischen Politik eine wichtige Rolle spielen.

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Heiligenstadt, zuvor Bildungsexpertin in der SPD-Landtagsfraktion, hatte im Zuge des Regierungswechsels nach der Landtagswahl 2013 den Posten als Bildungsministerin bekommen. Wegen der dauerhaften Kritik aus der Opposition galt es zuletzt als sehr unwahrscheinlich, dass sie nach der Landtagswahl ihre Aufgabe behält.

Persönlich erfolgreich verlief für Heiligenstadt die Landtagswahl am Sonntag. Sie konnte ihr Direktmandat im Landkreis Northeim mit großem Vorsprung verteidigen. Nach 47,3 Prozent der Erststimmen bei der Landtagswahl 2013 kam die SPD-Politikerin auf 47,0 Prozent. Sie hatte auch 2003 und 2008 das Northeimer Direktmandat gewonnen. dpa

 

VNL/VDR-Vertreterversammlung

MELLE. Mit ihrem Ausscheiden aus dem Amt mache Heiligenstadt den Weg frei für einen Neuanfang in der niedersächsischen Schulpolitik, so hieß es beim VNL/VDR, dessen Delegierte gerade zu einer Vertreterversammlung des Verbands in Melle zusammengekommen sind. Und der sei dringend nötig: Der Verband fordert von einer neuen Landesregierung spürbare Entlastungen für alle Lehrkräfte in naher Zukunft. Die kontinuierlich gestiegenen Belastungen an den Schulen hätten zu Unmut und Frustration geführt. „Die Zeit des Herumlavierens muss ein Ende haben. Es darf nicht sein, dass die Lehrkräfte vor Ort die manches Mal gut gemeinten, aber auch nicht immer sinnvollen und mangelhaft umgesetzten Reformen ausbaden müssen“, erklärte Torsten Neumann, der neue VNL/VDR-Landesvorsitzende.

Heftige Kritik an der Umsetzung der Inklusion an Niedersachsens Schulen kam von den Delegierten. Man habe den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Es fehlten an den meisten Schulen Förderschullehrkräfte. Diese dürfen nur an einer und nicht an verschiedenen Schulen eingesetzt werden. Der vor der Landtagswahl eingeschlagene Weg, pädagogisches Unterstützungspersonal an Niedersachsens Schulen einzustellen, müsse konsequent fortgesetzt werden – und zwar zügig. Der Stellenbedarf sei ein sehr großer, wenn in Schulen eine spürbare Entlastung erfolgen soll.

Sorgen bereitet dem Verband der deutlich spürbare Leistungsverlust an den Schulen. Der jüngst veröffentlichte IQB-Bildungstrend-2016-Bericht habe die Verbandsauffassung bestätigt, dass eine große Anzahl von Grundschülern mit unzureichenden Kompetenzen in Deutsch und Mathematik in die weiterführenden Schulen kämen. Der VNL/VDR fordert von einer neuen Landesregierung das konsequente Handeln, „die stete Abwärtsentwicklung im Kompetenzniveau an den Schulen zu stoppen und diese umzukehren“.

Der VNL/VDR beklagt zudem die mangelnde Attraktivität des Lehrerberufs in Niedersachsen. Eine neue Landesregierung müsse deshalb das Problem der Lehrerbesoldung anpacken – gefordert wird eine Besoldung „mindestens“ nach A13 für alle Lehrkräfte. Nur so könne Berufsnachwuchs gewonnen und die bereits im Dienst befindlichen Lehrkräfte gerecht entlohnt werden. „Nach wohlklingenden Wahlkampfreden müssen jetzt konkrete dauerhafte Maßnahmen erfolgen. Den Lehrkräften steht das Wasser nicht nur bis zum Hals, sondern sie fangen an zu ertrinken“, warnte Neumann.

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