Schule soll stärker gegen sexuellen Missbrauch vorgehen – Philologen: Wichtige Initiative. Aber nicht von Lehrern zu leisten

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MAINZ. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, und die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) haben heute Vormittag in Mainz die bundesweite Initiative „Schule gegen sexuelle Gewalt“ vorgestellt. „Lehrerinnen und Lehrer kennen ihre Schülerinnen und Schüler gut und sehen Veränderungen oft frühzeitig. Wir wollen unsere Lehrkräfte deshalb noch stärker sensibilisieren. Sie sollen wissen, an wen sie sich im Verdachtsfall wenden und wie sie behutsam und professionell mit ihren Schülerinnen und Schülern und deren Angehörigen umgehen können“, erklärte Hubig. Der Philologenverband Rheinland-Pfalz begrüßte die Initiative – und forderte, dafür Schulpsychologen einzustellen.

Bringt das Thema Missbrauch immer wieder auf die Tagesordnung: Johannes-Wilhem Rörig. Foto: www.rieken-fotografie.de / Unabhängiger Beauftragter
Bringt das Thema Missbrauch immer wieder auf die Tagesordnung: Johannes-Wilhem Rörig. Foto: www.rieken-fotografie.de / Unabhängiger Beauftragter

Zum Start der Initiative erhalten alle Schulen in Rheinland, wie Hubig informierte, eine ausführliche Informationsmappe. Zudem finden sich auf dem neuen Fachportal www.schule-gegen-sexuelle-gewalt.de weitere auch landesspezifische Informationen. Diese unterstützenden Materialien könnten die Lehrer in ihre bereits bestehende Präventionsarbeit integrieren, meinte die Bildungsministerin. „Ich bin überzeugt davon, dass dieses Projekt einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Kinder und Jugendlichen in unserem Land leistet“, sagte sie. Und das sei auch bitter nötig. Denn: „Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche macht uns fassungslos. Sie kommt häufiger vor als gemeinhin angenommen“, erklärte Hubig.

12.000 gemeldete Fälle

„Die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) weist bundesweit jährlich rund 12.000 angezeigte Fälle allein von sexuellem Kindesmissbrauch aus. Das ist mindestens so erschreckend, wie die Gewissheit, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches größer ist“, ergänzte Rörig und betonte. „Mit dem heutigen Start der Initiative ‚Schule gegen sexuelle Gewalt‘ helfen wir rheinland-pfälzischen Schulen dabei, Schutzkonzepte gegen sexuelle Gewalt zu erarbeiten und in ihren Alltag zu integrieren“.

Wann, wenn nicht jetzt? Gebt Lehrern endlich die Unterstützung, die sie brauchen!

„Mit der nun gestarteten Initiative ‚Schule gegen sexuelle Gewalt‘ nimmt sich das rheinland-pfälzische Bildungsministerium eines wichtigen Themas an, um Kinder und Jugendliche vor großem und oft im Verborgenen durchlittenem Leid zu schützen“, so kommentierte die Landesvorsitzende des Philologenverbandes, Cornelia Schwartz, den Projektstart. Allerdings forderte sie die Politik auf, mehr Schulpsychologen einzustellen, so dass bei Bedarf wirklich jede Schule und jedes Kind schnell und unbürokratisch und vor allem im Einzelfall dauerhafte Betreuung erhalten kann.

Zwar spiele Aufklärung eine wichtige Rolle. Sie sei bereits im Biologieunterricht im Rahmen des naturwissenschaftlichen Unterrichts verankert. Auch andere Fächer leisteten schon jetzt einen Beitrag, um Kinder und Jugendliche in diesem Bereich zu stärken, etwa Religions- und Ethikunterricht oder Literaturunterricht in den Sprachen. Immer wieder aber kämen Vorstöße, die von Lehrkräften mehr erwarteten. Schwartz: „Bei der Initiative ‚Schule gegen sexuelle Gewalt‘ ist Professionalität oberstes Gebot. Wir brauchen echte Psychologen – Lehrer sind keine Therapeuten.“ bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

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Angelika Oetken
6 Jahre zuvor

Viele LehrerInnen sind Vertrauenspersonen für ihre SchülerInnen. Genauso wie HortnerInnen und anderes schulisches Personal. Nicht selten wenden sich Kinder, die missbraucht werden oder von Missbrauch bedroht sind, an ihre Lehrerin, ihren Hortner, den Referendar oder eine Betreuungskraft, oft unterstützt von Klassenkameraden, und berichten von dem, was ihnen widerfährt.

In solchen Fällen ist es wichtig, dass die Erwachsenen wissen, wie sie nun reagieren sollten. Der Informationsstand zum Thema ist erschreckend gering. Dies spiegelt ein kulturelles Phänomen wieder und ist nicht Schuld einzelner Personen. Die Homepage des UBSKM bietet Sachinfos und hilft nach geeigneten Angeboten zu suchen. Wenn Schulen sich entscheiden, Präventionskurse umzusetzen, können alle Beteiligten gemeinsam lernen.

Sinnvoll wäre es meiner Ansicht nach, an Schulen, anteilig zur Schülerzahl und dem Bedarf SchulsozialarbeiterInnen fest und dauerhaft einzuplanen und einzustellen. Diese Berufsgruppe ist mit Prävention und Intervention bei Kinderschutzfragen sehr gut vertraut. Die Aufgabe der Schule ist nicht, einen Ersatz für Therapie zu bieten, sondern Kinder in Bedrängnis ein Hilfsangebot zu vermitteln. Das entspricht auch den Wünschen vieler LehrerInnen, die sich Sorgen um ihre SchülerInnen machen, aber unsicher sind, wie sie ihnen am besten helfen können, ohne die Kinder oder sich selbst in noch größere Schwierigkeiten zu bringen.

Der Zugewinn an Information und Kompetenz, was das Phänomen Kindesmissbrauch angeht, ist im schuleigenen Interesse, auch für den Fall, dass MitarbeiterInnen in den Verdacht geraten, sich an SchülerInnen zu vergehen. Angesichts der wachsenden Zahl von externen bzw. ungelernten Hilfskräften, mit denen Schulen wegen des galoppierenden Personalmangels Vorlieb nehmen müssen, wichtiger denn je.

Die Kassen des Bundes sind gut gefüllt. Er könnte den Ländern dabei unter die Arme greifen, Schulen so auszustatten, dass sie den allgemeinen Kinderschutzanforderungen auch gewachsen sind.

Angelika Oetken, Berlin-Köpenick, eine von 9 Millionen erwachsenen Menschen in Deutschland, die in ihrer Kindheit und/oder Jugend Opfer schweren sexuellen Missbrauchs wurden