SPD fordert inhaltliche Radikalkur für bayerische Gymnasien – hin zur „Schule im 21. Jahrhundert“

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MÜNCHEN. Nach langer Diskussion ist die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren in Bayern eine ausgemachte Sache. Doch wie soll das konkret aussehen, im Lehrplan, im Alltag von Schülern und Lehrern? Die oppositionelle SPD sieht die Zeit für gänzlich neue Wege gekommen.

Trotz Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren fürchtet die SPD um die Zukunftsfähigkeit der Gymnasien. «Das Lernen auf dem Gymnasium muss von Grund auf auf den Prüfstand. Viele Lerninhalte und die Art und Weise der Wissenvermittlung sind nicht mehr zeitgemäß und gehen an der Lebenswirklichkeit vorbei», sagte Martin Güll, Bildungsexperte der Fraktion und Vorsitzender des Kultusausschusses, am Dienstag in München.

Die CSU denke bei der Abkehr vom Abitur nach acht Jahren bislang nur an die technische Umgestaltung. Die Umstellung biete dem Gymnasium aber jetzt eine Chance, fit für die kommenden 20 Jahre zu werden. «Das erfordert Mut, und Veränderung tut manchmal weh. Aber wir müssen uns am wissenschaftlichen Fortschritt orientieren.» Am Donnerstag will der Kultusausschuss über das Antragspaket von Güll beraten, die SPD-Forderungen sollen dann, so die Hoffnung, von der Staatsregierung aufgegriffen werden. Die SPD-Forderungen im Überblick:

MEHR BERUFSORIENTIERUNG: In der Mittel- und Oberstufe des Gymnasiums sollen fixe Berufsvorbereitungsmodule, etwa in Form von Praktika, verankert werden. Die Schüler würden aktuell viel zu wenig darüber informiert, welche Chancen etwa eine Ausbildung biete. Deshalb gebe es unter den Gymnasiasten ein enormes Potenzial für die Nachfrage der heimischen Industrie und Gewerbebetriebe nach Auszubildenden.

MEHR GEBUNDENEN GANZTAG: Aktuell gebe es kaum pädagogisch sinnvolle Ganztagsangebote an Gymnasien. Die SPD fordert daher neue Konzepte für mehr Sport und Bewegung, mehr Förderung und zusätzliche Projekte im Bereich der kulturellen Bildung.

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VERNETZTE SCHULFÄCHER: Die Aneinanderreihung einzelner Fächer im 45-Minuten-Takt soll es nicht mehr geben. Stattdessen sollen Kontingentstundentafeln (Schulen legen selbst fest, wann mit wie vielen Stunden ein Fach belegt wird) eingeführt werden. Dazu müssen alle Inhalte des Lehrplans zeitlich miteinander vernetzt werden.

SELBSTGESTEUERTES LERNEN: Pro Schultag sollen 90 Minuten vorgesehen werden, in denen die Schüler Zeit für selbstgesteuertes Lernen und Projektarbeit haben. Dadurch soll eine nachhaltigere Bildung möglich sein, die über das kurzzeitige Aneignen von Wissen hinausgeht.

MEHR DIGITALE LERNFORMEN: In allen Jahrgangsstufen soll es neben informatorischer Grundbildung als Unterrichtsfach digitale Lernformen geben. In allen fachlichen Kontexten sollen dann digitale Kompetenzen geübt und vertieft werden.

FÄCHERKANON: Ab der 8. Klasse soll das Fach Sozialkunde mehr demokratische Kenntnisse vermitteln. Den Fächern Biologie, Chemie und Geografie soll zudem für ein umfassendes Grundverständnis in allen Jahrgangsstufen mehr Zeit gegeben werden.

«Das muss man ja nicht morgen alles umsetzen, aber man braucht ein Ziel für die Schule im 21. Jahrhundert», betonte Güll. Um eine Überforderung von Lehrern und Schülern zu verhindern, müssten die Pädagogen bei zumutbaren Veränderung «mitgenommen werden». Für die Schüler müsse das Motto gelten: «seien wir mal mutig». Dies bedeute auch, dass bei der Schwerpunktbildung bewusst Themen wegfallen.

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drd
6 Jahre zuvor

Was die „Schule im 21. Jahrhundert“ angerichtet hat, kann man in Baden-Württemberg beobachten. Die SPD hat zwei Sachen bis jetzt nicht verstanden: 1. Linke Gesellschaftspolitik ist keine Bildungspolitik. Und 2.: Die Schule soll nicht das Leben abbilden oder reproduzieren, sondern in der Schule sollte man über das Leben nachdenken. Insofern ist der Ausdruck „Schule des 21. Jahrhunderts“ ziemlich dumm.

Pälzer
6 Jahre zuvor

Leider enthält diese SPD-Liste nichts wirklich Neues, sondern nur Forderungen, die in „roten“ Bundesländern verwirklicht und im Ergebnis sehr umstritten sind. Wir warten weiterhin darauf, dass die Richard-David-Precht-Schule eröffnet wird und uns mal zeigt, wie erfolgreich diese Ideen seien.

xxx
6 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Vielleicht eher „grüne“ Bundesländer …

An den Forderungen sieht man auch wieder, dass Opposition sehr einfach ist,, weil man sich um die Umsetzbarkeit oder gar Umsetzung keine Gedanken machen muss.

Cavalieri
6 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Wo ist das verwirklicht? Die SPD hängt doch in etlichen Ländern noch heute an G8, z.B. in Berlin und Bremen, auch in NRW und in BaWü wollte sie nicht zurück zu G9. Ausgerechnet die CSU hat vorgemacht, dass sie sich bewegen kann. Und Jamaika in Schleswig-Holstein.
Hier steht Genaueres dazu:
https://georg-rosenthal.de/news/spd-g9-braucht-paedagogische-vision/
Ich finde es eine Unverschämtheit, darin zu behaupten, das Gymnasium in Bayern sei doch mit 40 % Anteil die „neue Hauptschule“ und müsste sich jetzt primär um eine „intensive Berufsausbildung“ kümmern. Was machen eigentlich die anderen 60 % ? Hilfsarbeiter oder Hartz IV?
Der entscheidende Mangel des G8-Gymnasiums war doch, dass die Abiturienten nicht mehr studierfähig waren, nicht, dass sie nicht mehr Azubis werden konnten. Und um die Studierfähigkeit scheint sich der Genosse Güll nicht zu sorgen, denn Mathematik und Physik werden nicht erwähnt als Grundlage für die MINT-Fächer. Hauptsache, wir haben mit „gehirngerechtem Lernen“ mehr Geschwätz über Demokratie und politische Medienkompetenz, über Klimawandel, Energiewende, Gesundheitsvorsorge und Ernährung. Diese Dinge sind zwar auch wichtig, wurden aber nicht beim Übergang von G9 zu G8 abgeschafft. Dagegen wurden die Mathematikstunden reduziert. Unter „Demokratie-Lernen stärken“ steht explizit: „Das wesentliche Element ist aber die Veränderung in der Haltung, die der Demokratieerziehung den gleichen Stellenwert zumisst wie dem Mathematikunterricht.“ Wieviele Stunden pro Woche? Dann können wir künftig also die Mathematikklausur im Abitur durch eine zur Demokratieerziehung ersetzen?
Der Ganztag an Halbtags-Gymnasien mit Unterricht bis 16:30 Uhr war doch ein Stein des Anstoßes. Warum dürfen die Jugendlichen nachmittags nicht machen, was sie selber wollen? Und genügend viele Lehrer hat man doch nicht mal für den Halbtag.
Ich kann die Ausführungen des Genossen Güll nur so verstehen, dass sie die Einheitsschule als „zukunftsfestes Gymnasium“ vorbereiten sollen: Jeder geht künftig aufs Gymnasium, und ein Teil verlässt es mit dem MSA und geht in die duale Ausbildung. Es fällt auf, dass das Wort „Bildung“ als solches nicht mehr vorkommt. Es gibt nur noch Berufsausbildung, Bildungsstandards usw. Das „zukunftsfeste Gymnasium“ der Genossen entpuppt sich als die Abschaffung des Gymnasiums. Und das ausgerechnet in Bayern, wo selbst das G8-Gymnasium laut Vergleichstests noch ein gewisses Niveau gehalten hat. Josef Kraus und andere haben schon formuliert: „Wenn jeder aufs Gymnasium geht, dann geht keiner mehr aufs Gymnasium“. Dann haben wir die „Hauptschule für alle“.

Axel von Lintig
6 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

Aus der Perspektive der Opposition heraus kann man sich hervorragend Gedanken über die Schule der Zukunft machen, ohne in die Zwangslage zu kommen , derartige Hirngespinste umsetzen zu müssen.
Es geht diesen Bildungspolitikern nicht mehr um die Vermittlung von Bildung an die heranwachsende Generation, die Persönlichkeiten heranreifen lässt. Nein es steht die Umsetzung bereits in benachbarten Bundesländern gescheiterter Modelle im Fokus der so ersonnenen Veränderungen.
Es bleibt beim Aufzählen von Floskeln, wie „am wissenschaftlichen Fortschritt orientierte“Einführung von Berufspraktika in der Mittel- und Oberstufe. Warum dann aufs Gymnasium gehen ?
Ganztagsbetreuung durch Sport und kulturelle Angebote, alles in der Schule organisiert und mit noch weniger Zeit für selbstbestimmtes Leben außerhalb der Schulwelt.
Selbst gesteuertes Lernen mit Projektarbeit, hurra.Warum zu Hause keine eigenen Projekte kreieren und eigenen Hobbys nachgehen.
Digitale Lernformen, welche man eh lernt und nicht die Basis für eine eigene Entwicklung einer eigenen Schriftweise sind.Selbst Valentin Ickelsamer war zukunftsweisender, da er den schriftlichen Gebrauch der Sprache fördern wollte und dies auch förderte.