FDP forciert „Talent-Schulen“ in sozialen Brennpunkten – eine Chance für benachteiligte Kinder? Oder doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein?

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DÜSSELDORF. Immer mehr Brennpunktschulen schlagen Alarm – sie können mit einer Standard-Personalausstattung die besonderen Herausforderungen, die ihre Schülerklientel an sie stellt, nicht mehr bewältigen. Die FDP will dagegen nun „Talent-Schulen“ einführen, besonders ausgestattete Gymnasien in sozial schwierigen Lagen. Unter Lehrerverbänden ist nun ein Streit über die Idee ausgebrochen: Ist das ein neuer Weg, der benachteiligten Kindern „echte Chancen“ gibt (wie „lehrer nrw“ meint). Oder doch nur „ein Tropfen auf den heißen Stein“ (VBE)?

Bonjour tristesse: Bild aus Duisburg-Marxloh. Foto: Sascha Kohlmann (CC BY-SA 2.0) Wikimedia Commons
Bonjour tristesse: Bild aus Duisburg-Marxloh. Foto: Sascha Kohlmann (CC BY-SA 2.0) Wikimedia Commons

„Weltbeste Bildung“, so stellte FDP-Chef Christian Lindner, dessen Partei mit Yvonne Gebauer ja seit dem Sommer die nordrhein-westfälische Schulministerin stellt, vollmundig in einem Gastbeitrag für die „Rheinische Post“ in Aussicht – und bewarb in diesem Zusammenhang eine „konkrete Idee“, mit der das (unter anderem) gelingen könne: „In 30 Stadtteilen unseres Landes mit den größten sozialen Problemen gründet das Land Elite-Gymnasien – ausgestattet mit den modernsten Mitteln für den naturwissenschaftlich-technischen Unterricht. Bereits im Kindergarten sollen die besten Talente entdeckt werden und sich für den Besuch dieser Schulen qualifizieren. Statt mit ihren Kindern aus den Schulen in diesen Stadtteilen zu fliehen, werden dann viele Eltern aktiv dorthin streben. Wo benachteiligte Kinder wohnen, schaffen wir besondere Exzellenz. Das sendet ein Aufbruchsignal ins ganze Land“, so schrieb Lindner.

Im Koalitionsvertrag

Tatsächlich fand der Vorstoß Eingang in den Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Angesichts sich häufender Hilferufe von Schulen in sozialen Brennpunkten führt das Projekt aber nun zu einem Disput unter Lehrerverbänden. Ist es wirklich sinnvoll, besonders gut ausgestattete „Talent-Schulen“ (auch noch Gymnasien) dorthin zu platzieren, wo offenbar nicht mal mehr die Basisversorgung in Sachen Bildung funktioniert?

Wie schlimm die Situation mancherorts ist, machte gestern der öffentliche Hilferuf einer Grundschulrektorin aus Frankfurt am Main anschaulich (News4teachers berichtete). Gemeinsam Alarm geschlagen hatten unlängst auch 15 Schulen aus einem als belastet geltenden Essener Stadtbezirk. „Wir benötigen sofort mehr Unterstützung, um unseren Aufgaben gut gerecht werden zu können“, sagte dazu der Leiter einer der beteiligten Grundschulen. „Allein an unserer Schule ist die Zahl der Schüler in nur einem Jahr von 260 auf 340 gestiegen wegen der Flüchtlingskinder.“ Die durchschnittliche Klassenstärke liege bei 28 Kindern – was viel zu hoch sei: „Sie können in einem sozialen Brennpunkt nicht mit so vielen Kindern in einer Klasse arbeiten, da kommt bei den einzelnen Schülern viel zu wenig an.“

Nach dem Brandbrief der Grundschulleiter nun der öffentliche Hilferuf einer Rektorin: So ist vernünftiger Unterricht nicht mehr möglich!

Die Schulleiter der Brennpunktschulen fordern sofort mehr Lehrerstellen, damit kleinere Klassen gebildet werden können – und Sozialarbeiter. Der Direktor eines beteiligten Gymnasiums beklagt grundsätzlich eine Personalplanung der Schulbehörden, die alle Schulen (unabhängig vom Standort) gleich behandle. Daraus resultierten die deutlich niedrigeren Übergangs-Quoten auf seine Schulform als in anderen, bürgerlicheren Bezirken der Stadt. „Dabei kann uns niemand erzählen, dass die Kinder im Süden schlauer sind. Was fehlt, ist Unterstützung der Eltern, die von der Schule aufgefangen werden muss“, sagt er.

Und da setzt nun der FDP-Vorschlag an – der jetzt von „lehrer nrw“ begrüßt wird. Es sei inzwischen eine schulpolitische Binsenweisheit, dass der Bildungserfolg in Deutschland stark vom sozialen Milieu der Schüler abhänge. Da sich die Förderung mit der Gießkanne als untauglich erwiesen hat, seien neue Denkansätze nötig – meint die Verbandsvorsitzende Brigitte Balbach. Sie betont: „Mit der Schaffung von 30 Talent-Schulen geht die FDP einen unkonventionellen Weg, der erfreulicherweise auch Eingang in den Koalitionsvertrag gefunden hat.“ Daraus ergäben sich „echte Chancen“ für Kinder aus bildungsfernen Schichten.

Immer mehr Eltern bekommen es nicht mal mehr hin, ihr Kind zur Schule anzumelden – Brennpunktschulen schlagen Alarm

Anders sieht das der VBE. „Wir brauchen nicht 30, sondern 5295 Talent-Schulen, wenn wir kein Kind zurücklassen wollen. Alle Schulen in unserem Land sollten selbstverständlich sehr gut mit Personal und Technik ausgestattet sein, doch leider bieten solche Bedingungen meist nur Leuchtturmprojekte. In sozialen Brennpunkten können Förderungen helfen, jedoch sind 30 Talentschulen nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. NRW braucht flächendeckend mehr Lehrkräfte, ausreichend Schulsozialarbeiter und moderne Schulgebäude“, meint VBE-Chef Udo Beckmann. „Statt Vorzeigemodelle brauchen wir massive Investitionen in alle Schulen. Dazu brauchen wir auch eine Aufhebung des Kooperationsverbotes oder zumindest eine Modernisierung, damit der Bund die Länder und Kommunen in schulischen Angelegenheiten besser unterstützen kann.“

Tatsächlich ist noch offen, welche 30 Schulen von der besonderen Förderung profitieren sollen. Nach einem Gutachten gibt es in Nordrhein-Westfalen 312 Schulen, die dem durch hohe Arbeitslosenzahlen und einem hohen Anteil von Migranten gekennzeichneten „Standorttyp 5“ zugerechnet werden – also:  Brennpunktschulen. Rund 90 Prozent von ihnen gehen dann also zunächst leer aus. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

GEW fordert schärferen Sozialindex – laut Gewerkschaft fehlen allein in NRW 2000 Lehrer an Schulen mit problematischem Umfeld

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Ich halte das für den falschen Weg.

Wir Lehrer müssen wieder mehr in die Lage versetzt werden, unsere Arbeit gut und besser zu machen. Es muss alles weg, was uns daran hindert. Das sind viele Sachen, die wir hier oft genannt haben. Aber es sind die Arbeitsbedingungen, die verbessert werden müssen. Das käme allen zugute !

Gerade die Kollegen an Brennpunktschulen brauchen massive Entlastungen und Unterstützungen !!! Heutigentags bekommt man als Lehrer ja nur mehr und mehr Steine in den Weg gelegt.

sofawolf
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Der Vorschlag der Partei der Besserverdienenden erinnert mich eher an Schulen für (künftig) Bessergestellte. Also einige wenige.

xxx
6 Jahre zuvor

Nehmen wir mal an, dass eine solche Eliteschule eröffnet wird. Für die Schüler an der Schule ist das gut. Für alle anderen Schulen ist das sehr schlecht, weil die schon jetzt sehr ungesunde soziale Mischung noch kranker wird, indem die wenigen noch halbwegs begabten Schüler abgezogen werden.

(Wie diese Schule mit dem freien Elternwillen vereinbar ist, sei einmal dahingestellt. Außerdem werden die finanziellen Möglichkeiten der anderen Schulen in der Umgebung noch weiter eingeschränkt, weil in der Summe sicherlich nicht mehr Geld ausgegeben werden soll.)

dickebank
5 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

@xxx – im Prinzip ist das die Rolle rückwärts. Es soll Zeiten gegeben haben, da gab es musische, altsprachliche/humanistische, neusprachliche, mathematisch/naturwissenschaftliche usw. Gymnasien.
Die Schaffung der differenzierten Oberstufen führte dann zu dem heutigen „Teller bunte Knete“ – also GY, an denen innerhalb einer möglichst großen Oberstufe jeder nach seinen Präferenzen seine Abifächer wählen konnte. Dank der bildungspolitischen Anstrengungen vor allem der CDU-geführten Länder wurden diese Wahlmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt. Wegen der Pflichtbindungen in D, Ge sowie M und einer Fremdsprache ist die Wahlmöglichkeit sehr stark eingeschränkt. Das will man nun ändern – und kommt so zurück in die Zukunft; es werden GY geschaffen, die Schwerpunkte setzen, um die Talente da abzuholen, wo sie stehen. In Großstädten eine prima Idee – nur wie sollen das GY schaffen, die in einer größeren Region ohne Konkurrenz sind?

xxx
5 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Das könnte dann auf eine Gesamtschule für alle auf dem Land und eine größere Spezialisierung in den Städten hinauslaufen. Weil die Abiturquoten überall mindestens gehalten werden müssen, befürchte ich ein weiteres Absinken der Anforderungen.

Pälzer
5 Jahre zuvor

Nun also Talentschulen. Aber Lernhelfer, zusätzliche Hilfskräfte in den normalen Klassen, das geht wohl nicht.

Pälzer
5 Jahre zuvor

Dass man mit 30 Schulen mal was Neues ausprobiert, ist an sich nicht verkehrt. Es würde aber auch ohne hochtrabenden Namen à la Germanys next Topschule gehen.