Wenn Eltern mit großem Getöse um ihre Kinder herumschwirren: „Helikopter“ nerven Lehrer

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MÜNCHEN. Etliche Kinder werden in Watte gepackt. Von der Wiege bis in den Hörsaal der Universität werden die Söhne und Töchter rund um die Uhr umschwirrt und versorgt, mit gelegentlich unfreiwillig komischen Folgen, die man nun in einem Buch nachlesen kann. Das geht der Frage nach: Wer sind diese Helikoptereltern eigentlich?

Bereit zum Abflug: Eltern im Helikopter. Foto: Ellie / flickr (CC BY-SA 2.0)
Bereit zum Abflug: Eltern im Helikopter. Foto: Ellie / flickr (CC BY-SA 2.0)

Eltern können anstrengend sein. Wer in Kindergarten, Schule oder Sportverein tätig ist, weiß das. Das richtige Essen (nur Bio), die passenden Noten (mindestens gut), die beste Förderung (für das eigene Kind), all das fordern besorgte Mütter und Väter ein. Das Beste, Schönste, Größte, drunter geht es nicht für die Sprösslinge, die nur deshalb so anstrengend seien, weil sie so genial sind. Helikopter-Eltern werden diese Erwachsenen auch genannt, die mit großem Getöse um ihre Lieblinge schwirren. Mit dem Wirbel, den sie dabei veranstalten, sind sie ein unerschöpfliches Thema für Anekdoten.

Etwa die von dem Siebtklässler, der mit zwei Mädchen ins Kino gehen wollte. Allerdings hatte er nicht mit seinen Eltern gerechnet, die eine Bedingung stellten: Die Mutter würde ihnen inkognito folgen. Was für ein entspannter Ausflug, zumal für einen Teenager! Als die Deckung aufzufliegen drohte, stellte sich die Frau als eine Nachbarin vor. Auch nicht schlecht: Eltern, die einen 50 Jahre alten Apfelbaum im Garten fällen, weil ihrem Kind kein Apfel auf den Kopf fallen soll. Und dass bei schlechten Noten so manche Familien den Lehrern gleich mit dem Anwalt drohen, ist ohnehin nichts Neues mehr, wenn sie sich nicht direkt an die Schulaufsicht oder das Ministerium wenden. Ärgerlich auch die Eltern, die ihre Lieblinge in dicken Autos bis vor die Schultür karren. Rücksichtslos versperren sie die Gehwege und bringen andere Kinder, die zu Fuß kommen, in große Gefahr.

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«Ich sitze seit Jahren auf Elternabenden in der Schule, wo die Lehrer darum bitten, dass die Eltern die Referate nicht für die kleinen Kinder schreiben», sagt die Journalistin Carola Padtberg, die mit ihrer Kollegin Lena Greiner die Auswüchse des Helikopterns in einem sehr vergnüglichen Buch zusammengetragen hat: «Verschieben Sie die Deutscharbeit – mein Sohn hat Geburtstag!» (Ullstein, 9,99 Euro). Padtberg, die in Hamburg lebt, weiß auch von Eltern zu berichten, die sich noch in die Berufsausbildung der Kinder einmischen oder sie bis an die Universität verfolgen und dort wissen wollen, wann der erste Elternabend stattfindet.

Auswüchse, die nicht gut sein können. «Jeder muss mal scheitern, braucht mal ein aufgeschürftes Knie», sagt Padtberg, selbst Mutter. Josef Kraus, früher Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes, kam zu einem ähnlichen Schluss. Er machte die Überidentifizierung der Eltern mit ihren Kindern dafür verantwortlich. «Immer mehr Eltern reagieren auf Misserfolge ihres Kindes mit narzisstischer Kränkung», sagte er damals. «Es wird eine unmündige Generation erzogen.»

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So dramatisch sieht es der Kinder- und Jugendpsychiater Michael Schulte-Markwort aus Hamburg nicht: «Ich freue mich sehr darüber, dass Eltern fürsorglicher geworden sind», meint er. «Es gibt überhaupt keine Hinweise, dass unsere Kinder lebensunfähiger oder psychisch unpraktischer geworden sind». Man dürfe die Beziehung nicht diskreditieren, die in vielen Familien sehr gut sei.

Verständnis hat auch Simone Fleischmann, Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV). «Eltern wollen für ihr Kind das Beste und das ist sehr legitim», meint die langjährige Rektorin. Viel wichtiger sei die Frage: «Warum muss eine Mutter wie ein Helikopter um das Kind kreisen?». Sie macht das Schulsystem verantwortlich, das die Mitarbeit der Eltern geradezu einfordere und in dem sich viele Familien alleingelassen fühlten.

Auch Padtberg und Greiner räumen im Schlusswort ihres Buches ein, dass die meisten Eltern in Ordnung sind. Padtberg versucht selbst, cool zu bleiben, auch auf die Gefahr hin, als Rabenmutter zu gelten, etwa wenn ihr Kind hinfällt und sie nicht Globuli oder passende Hausmittel parat hat. «Deswegen trage ich nicht 24 Stunden am Tag eine halbe Zwiebel in meiner Handtasche. Aber es gibt Mütter, die das tun, die schaukeln sich auch gegenseitig hoch», hat die Journalistin beobachtet. «Vielleicht kann unser Buch dazu beitragen, dass man sich reflektiert und sich selbst beobachtet, wenn man sein Kind begleitet.»

Doch – Hand aufs Herz – wer hat sich nicht schon mal selbst dabei ertappt, wie er es mit der Fürsorge übertreibt? «Irgendwie hat jeder schon mal so was erlebt, hält sich aber selbst nicht für betroffen», meint die Autorin. «Helikopter, das sind immer nur die anderen.» Von Cordula Dieckmann, dpa

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