„Sie fordern immer mehr“: Lehrerinnen berichten von ihrem alltäglichen Kampf mit „Löwenmüttern“

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DÜSSELDORF. Der „Pinkel-Skandal“ von München, über den News4teachers am vergangenen Montag berichtete, hat Wellen geschlagen. Nicht nur dieser krasse Fall illustriert: Das Zusammenwirken zwischen Lehrkräften und Eltern gestaltet sich nicht selten schwierig. Sechs Grundschullehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen haben anonym ihre Alltagserfahrungen mit uns geteilt. Der Beitrag ist der Zeitschrift „Grundschule“ entnommen, in der er zuerst unter dem Titel „Mit dem Instinkt von Löwenmüttern“ erschien. 

Hier geht es zu Teil zwei des Beitrags.

So manche Mutter ist im Raubtiermodus unterwegs. Foto: Mathias Appel / flickr (CC0 1.0)
So manche Mutter ist im Raubtiermodus unterwegs. Foto: Mathias Appel / flickr (CC0 1.0)

Kurz vor den Halbjahreszeugnissen: Die Noten einiger Viertklässler zeigen nicht Richtung Gymnasium und für die betroffenen Eltern steht fest: Die Lehrerin ist schuld! Sie wollen erreichen, dass die Pädagogin die Klasse auf den letzten Metern abgibt, um zu retten, was noch zu retten ist. Das ist der Stoff mit dem das Theaterstück und der Film „Frau Müller muss weg“ seine Zuschauer unterhalten. Doch Grundschullehrer kennen solche Begegnungen aus dem Alltag.

Lehrer und Eltern sind in der Schule durch die Bildungs- und Erziehungspartnerschaft vereint. Doch das Verhältnis zwischen Ihnen kann durchaus problematisch sein. Das zeigen die Berichte der sechs Grundschullehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen. Sie lassen erkennen: Ein scheinbar verbreitetes Problem ist, dass Eltern die gemeinsame Verantwortung für den Schulerfolg der Kinder und deren Entwicklung zu selbstständigen, verantwortungsbewussten Persönlichkeiten vollständig den Lehrern übertragen.

„Eltern fühlen sich zunehmend überfordert im Alltag und sehen die Verantwortung für Ihre Kinder weniger in ihren und mehr in den Händen der betreuenden Institutionen“, sagt Laura K. (alle Namen vorkommender Personen von der Redaktion geändert). Sie ist seit zweieinhalb Jahren Grundschullehrerin und geht noch einen Schritt weiter: „Eltern sind derart überfordert, dass sie nicht in der Lage sind, die Verantwortung zu erkennen, die sie für ihr Kind haben. Sie zeigen sich komplett interessenlos.“

 

Die Zeitschrift 'Grundschule'

Der Beitrag ist der Ausgabe 3/2017 der “Grundschule” entnommen – Titel des Heftes: “Zielscheibe Lehrkraft. Wie Schüler und Eltern mit ihrem Verhalten Lehrkräften zusetzen und wie Sie sich dagegen wappnen können ”.

Hier lässt sich die Zeitschrift bestellen oder einzelne Beiträge herunterladen (kostenpflichtig). 

Kinder, die andere beleidigen, sich aggressiv verhalten, und Eltern, die sich beschweren, weil sie etwa mit den Noten des Nachwuchses nicht einverstanden sind – für Lehrkräfte gehören solche Situationen beinahe schon zur Stellenbeschreibung. Lehrervertreter sehen in der Verrohung des Umgangs eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich in den Schulen wiederspiegelt. Sie warnen: Ein primitiverer Umgangston senke die Hemmschwelle – sowohl für verbale als auch für physische Übergriffe. Dieser Problemlage widmet sich die Ausgabe der „Grundschule“. Sie beschäftigt sich unter anderem mit den Erfahrungen, die Lehrer mit solchen Situationen im Schulalltag gemacht haben, welche Folgen Gewalterfahrungen haben können und welche Unterstützungs- sowie Präventionsmöglichkeiten Lehrkräften zur Verfügung stehen.

 

Es sei frustrierend, wenn Mütter und Väter die Bemühungen der Lehrer nicht unterstützten. Verena S., seit dreieinhalb Jahren im Schuldienst, erlebt es ähnlich: Eltern nähmen Probleme zwar mit ihrer Unterschrift zur Kenntnis, zögen jedoch aus den betreffenden Mitteilungen nicht die notwendigen Konsequenzen. Ein Umstand, den auch Renate B. wahrnimmt. In ihren 31 Jahren als Grundschullehrerin hat sie zahlreiche Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Müttern und Väter gesammelt und stellt fest: „Eltern fordern von Lehrern immer mehr, sind aber immer weniger in der Lage, ihre Kinder zu erziehen und verpimpeln sie.“ Mittlerweile organisiere sie daher Elternabende, an denen ein Coach Erziehungsfragen beantwortet und Tipps für den Alltag gibt.

Zusätzlicher Stress

Nicht überraschend: Sobald Schwierigkeiten auftauchen – die Leistungen etwa nicht zufriedenstellend sind oder der Nachwuchs Probleme im sozialen Miteinander zeigt –, sei die Schule schuld, so die Grundschullehrerinnen. „Einige Eltern glauben, sie sind der Anwalt ihrer Kinder und müssen verhindern, dass ihnen Unrecht geschieht“, sagt Annika W., die seit dem Schuljahr 2014/2015 Grundschüler unterrichtet. Welches Ausmaß dieser Beschützerinstinkt annehmen kann, hat sie zu Beginn ihrer Lehrkarriere erlebt. Gegen Ende ihres Referendariats übernahm sie die Klassenleitung einer schwangeren Kollegin – nicht alle Eltern waren damit einverstanden. „Eine Mutter war der Meinung, ich sei zu jung dafür und ungeeignet, da ich mein Referendariat ja noch nicht beendet hatte. Sie hat sich schließlich aus unterschiedlichen Gründen bei meinem damaligen Schulleiter über mich beschwert.“

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Der “Pinkel-Skandal” von München – oder: Warum Lehrer heutzutage allen Ernstes mit Klagen überzogen werden

Dieser habe Annika W. zwar auf die angeblichen Missstände angesprochen, sich jedoch anschließend deutlich hinter seine Lehrkraft gestellt. „Er schrieb einen Brief an die Eltern, in dem er mir auch nach außen sein Vertrauen aussprach. Das war ein toller Schulleiter – so viel Unterstützung ist Gold wert.“ Denn selbst wenn Lehrkräfte wissen, dass Eltern in der Regel nicht über ihre fachliche Kompetenz verfügen, lässt nicht alle die Kritik am Unterricht oder der eigenen Lehrperson unbeeindruckt. „Mich stresst sowas ungemein“, gesteht Annika W. im Gespräch. „Ich habe dann die Befürchtung, ich werde nicht allen gerecht – dabei ist das doch meine Aufgabe! Das fühlt sich an, wie ein Stein, der auf meiner Brust liegt.“ Manchmal zweifle sie nach solchen Vorfällen an ihrer Kompetenz und überlege, was sie verändern könnte. „Ich wälze dann Literatur und tausche mich mit Kollegen aus, die mehr Erfahrung haben als ich. Ich will ja für alle das Beste.“

Stress verursachen Mütter und Väter auch, indem sie von den Lehrern verlangen, ständig für ein Gespräch zur Verfügung zu stehen oder durch überfallartige Kontaktversuche per E-Mail. Aus Sicht von Verena S. haben Smartphones das E-Mail-Problem noch verschärft. Eltern könnten nun „auch von unterwegs ganz schnell ihren Frust loswerden“. Sie empfiehlt, um diese Belastung klein zu halten, ein separates E-Mail-Postfach für solche Mitteilungen anzulegen, das die Lehrkraft nur zu festgelegten Zeiten kontrolliert. Alternativ könnten Lehrkräfte mit Eltern auch lediglich über das Hausaufgabenheft beziehungsweise persönlich kommunizieren. „Dann sind viele Dinge plötzlich nicht mehr so unglaublich wichtig.“ Konflikte mit Eltern belasten auch Esther U., die seit sechs Jahren als Grundschullehrerin tätig ist: „Der ‚Stress‘ wirkt sich selbstverständlich auch auf meine Laune aus. Dadurch bin ich dann viel schneller reizbar.“

Fehlendes Vertrauen

Einige der befragten Grundschullehrerinnen vermuten, dass das teilweise sehr belastete Verhältnis zu den Eltern daraus resultiert, dass diese keinen Respekt mehr vor der und kein Vertrauen mehr in die Schule hätten. Das hat Konsequenzen: Annika W. etwa protokolliert jeden noch so kleinen Vorfall schriftlich mit Datum und Uhrzeit, um ihn belegen zu können, denn nicht immer hinterfragten Eltern die Aussagen ihrer Kinder. Als besonders problematisch erscheint diese Tendenz, wenn Kinder lügen. Einen extremen Fall hat Regina B. erlebt, die seit 25 Jahren unterrichtet: „Ein Schüler hat eines Tages behauptet, ich hätte ihn geschlagen. Gott sei Dank haben das andere Kinder mitbekommen und waren sichtlich empört.“ Sie wandte sich direkt an ihren Schulleiter und bei einem anschließenden Elterngespräch habe die Behauptung widerlegt werden können. Anna Hückelheim, Redakteurin der Agentur für Bildungsjournalismus

Hier lässt sich die Ausgabe 3/2017 der Zeitschrift „Grundschule“ bestellen oder einzelne Beiträge herunterladen (kostenpflichtig). 

Wie sich die Lage beruhigen lässt: Lehrerinnen berichten von ihrem alltäglichen Kampf mit “Löwenmüttern” (Teil 2)

 

 

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sofawolf
6 Jahre zuvor

Das sind wohl auch die Folgen des berüchtigten „Lehrerhasserbuches“ und ich weiß noch, wie die Dame, die es schrieb, in Talk-Shows saß und ihr Machwerk anpreisen konnte.

Es ist auch Folge all der Bedingungen und Bestimmungen, was Lehrer alles dürfen und nicht dürfen. Es zeugt nicht von Vertrauen, sondern von einem grundsätzlichen Misstrauen. Lehrer stehen heute mit dem Rücken an der Wand.

(Stichwort: den Lehrerberuf wieder attraktiver machen)

sofawolf
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Ich finde, „Löwenmütter“ schmeichelt ihnen zu sehr; es sind vielmehr „Beißmütter“, die wild um sich beißen, um ihre Kinder vor allem und jedem zu beschützen. Und natürlich haben die Kinder immer Recht.

m. n.
6 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Um „beschützen“ geht es auch nicht, denn die Kinder werden ja nicht angegriffen. Es geht um die knallharte Durchsetzung des elterlichen Willens.
Die Politik hat mit ihrem ständigen Ausbau der Elternrechte und der Ermutigung zu Beschwerden kräftig zu dieser Entwicklung beigetragen, die durch Buhlen um die Sympathie der Eltern von den eigenen Fehlern ablenken soll.

Grundschullehrer
6 Jahre zuvor
Antwortet  m. n.

Ja, die im Artikel geschilderten Situationen spielen sich so oder so ähnlich im heutigen Schulalltag ab. Rückendeckung von der Politik gibt es nicht. Eher wird man durch die verstärkten Elternrechte noch den Löwenmüttern zum Fraß vorgeworfen. „Eltern dürfen alles“ (so ältere eine Kollegin).