Aktueller Bericht: Bundesländer schicken alljährlich Tausende von Lehrkräften während der Ferien in die Arbeitslosigkeit – immer noch!

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NÜRNBERG. „Das Niveau der Arbeitslosigkeit ist zwar gering  – die Arbeitslosenzahl schwankt aber im Jahresverlauf sehr stark“, so heißt es in einem aktuellen Bericht der Bundesagentur für Arbeit (BA) zum Lehrerarbeitsmarkt. Der richtet den Fokus auf ein bekanntes Phänomen: „Aufgrund vieler Arbeitslosmeldungen schnellt die Zahl arbeitsloser Lehrkräfte regelmäßig anlässlich der Sommerferien stark nach oben. Nach den Sommerferien beendet eine ähnliche Anzahl von Personen die Arbeitslosigkeit wieder durch die Aufnahme einer Beschäftigung.“ Die Ursache: Die Verträge von befristet beschäftigten Lehrer enden vor den Ferien – Anschlussverträge gibt’s dann erst mit Beginn des neuen Schuljahrs. Das BA-Papier macht deutlich, dass trotz aller Kritik an dieser Praxis, mit der Bundesländer Geld sparen, sich bislang kaum etwas daran geändert hat. Die GEW zeigt sich empört.

Finden Junglehrer in 15 Jahren noch eine Stelle an einer Schule? Offenbar fraglich. Foto: Bettenburg / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0 DE)
Trotz des wachsenden Lehrermangels in Deutschland immer noch Anlaufstelle für Tausende Lehrer: die Bundesagentur für Arbeit. Foto: Bettenburg / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0 DE)

Gute Lehrer werde man nur finden, wenn der Staat fair mit ihnen umgehe, erklärte Volker Kauder, Chef der Unionsfraktion im Bundestag, im August. „Und da ist es nicht akzeptabel, dass junge Lehrerinnen und Lehrer sehr oft mit Beginn der Sommerferien in die Arbeitslosigkeit entlassen werden und erst im neuen Schuljahr wieder angestellt werden.“ Selbst die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel nannte das Verfahren „absolut daneben“. Ein aktueller Bericht der BA macht deutlich, wie verbreitet diese Praxis nach wie vor ist. Pikant: Drei Bundesländer ragen in der Statistik heraus – und in zwei davon regieren Kultusminister der Union. Kauder und Merkel könnten ihre Kritik also durchaus bei ihren Parteifreunden auf dem kurzen Dienstweg anbringen.

Dem  nun erschienenen BA-Bericht zufolge waren 2016 während der Sommermonate 11.400 Lehrkräfte arbeitslos gemeldet, rund 5800 mehr als in „normalen“ Monaten. Heißt: Die Arbeitslosigkeit unter Lehrerinnen und Lehrern verdoppelte sich durch die Maßnahme. 2017 haben sich in den Sommerferien insgesamt rund 4.900 Lehrkräfte arbeitslos gemeldet, etwas weniger als im Vorjahr. Die BA sieht die Ursache für den Rückgang in einem gestiegenen Bedarf aufgrund der vielen Flüchtlingskinder – von einem grundsätzlichen Umdenken der Bundesländer ist in dem Papier keine Rede.

Quelle: Bundesagentur für Arbeit / Lehrerarbeitslosigkeit in den Sommerferien

 

Nach wie vor gilt: „Die Hauptursache für die kurzfristige Lehrer-Arbeitslosigkeit in den Sommerferien dürfte in befristet geschlossenen Arbeitsverträgen und Referendariaten zu suchen sein“, stellt die Bundesagentur fest. „Offensichtlich wird der Zeitraum der Sommerferien bei vielen befristet geschlossenen Arbeitsverträgen zumindest teilweise ausgespart. Eine eventuelle Anschlussbeschäftigung erfolgt erst mit Beginn des neuen  Schuljahres. Die betroffenen Personen melden sich für die Dauer der Sommerferien (oder  eines Teiles davon) arbeitslos.“

Besonders häufig seien jüngere Lehrkräfte betroffen – und weibliche.  61 Prozent der Lehrkräfte, die im August 2017 arbeitslos wurden, waren dem Bericht zufolge unter 35 Jahre alt. Da überwiegend Frauen den Lehrerberuf ergreifen, gehe ein  Großteil der Arbeitslosmeldungen auf Frauen zurück (74 Prozent). Vor allem drei Bundesländer fallen auf: Die  rund 4.900  Arbeitslosmeldungen in den Sommerferien 2017 entfallen vor allem auf Baden-Württemberg), Bayern und Niedersachsen. Aus diesen drei Ländern kommen 61 Prozent der Sommerferien-Arbeitslosmeldungen“, so heißt es.

Große Dunkelziffer

Die GEW zeigt sich in einer aktuellen Pressemitteilung empört. „Das Hire-and-Fire-Prinzip wird weder den Schülerinnen und Schülern noch den Lehrkräften gerecht. Auch Bayern als Arbeitgeber saniert sich so auf Kosten der Beitragszahler der Sozialkassen“, stellte der bayerische Landesvorsitzende Anton Salzbrunn mit Blick auf den Freistaat fest. Die GEW meint, dass es bei der Zahl der Betroffenen auch noch eine große Dunkelziffer gibt. „Zu den gemeldeten Arbeitslosen ist noch eine unbekannte Zahl entlassener Lehrkräfte hinzuzurechnen. Diese melden sich gar nicht erst arbeitslos, da sie wegen fehlender Leistungsvoraussetzungen kein Arbeitslosengeld erwarten oder auf einen Anschlussvertrag nach den Ferien hoffen“, erklärt Salzbrunn. Personalräte berichteten zudem, dass auch andere Schulferien bei Vertretungsverträgen gerne ausgespart würden.

Salzbrunn wies auf die Konsequenzen dieser Befristungspraxis hin: „Die Schulen haben zu Beginn eines neuen Schuljahres noch keine Gewissheit über die Lehrkräfteversorgung und müssen die Stundenpläne oft zwei Wochen oder länger ändern. Darunter leiden auch die Schülerinnen und Schüler. Für die betroffenen Lehrkräfte bedeutet dieses Sparmodell andauernde Jobunsicherheit und unbezahlte Arbeit. Denn: Auch wenn der Arbeitsvertrag ausgelaufen ist, der Unterricht für das neue Schuljahr muss trotzdem vorbereitet werden. Bei gleichzeitigem Lehrkräftemangel ist das eine unhaltbare und völlig unverständliche Situation.“

Der Deutsche Lehrerverband begrüßte die Forderung Kauders nach einer Beendigung der Praxis seinerzeit.  Verbandspräsident Heinz-Peter Meidinger nannte das „überfällig“. Allerdings übte Meidinger auch Kritik am Verhalten Kauders – dieser müsse seinen Worten Taten folgen lassen und nun auch unter den von der Union gestellten Kultusministern darauf dringen, „diese Praxis der Ausbeuter-Verträge ohne bezahlte Ferien zu beenden“. Angekündigt ist bislang nichts dergleichen. bibo / Agentur für Bildungsjournalismus

Hier geht es zu dem Bericht der BA.

“Wo soll da die Motivation herkommen?” Merkel nennt Lehrer-Entlassungen über die Ferien “absolut daneben”

 

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Uwe Freese
6 Jahre zuvor

Diese unhaltbare Praxis muss unverzüglich beendet werden. Diese Praxis ist zu wenig bekannt. Also muss der GEW verstärkt in allen Medien, unter Nennung von Bundesländern und verantwortlichen Politikern, massiv gegenhalten. Es ist eine Schande, dass keine Partei sich dieser Praxis bisher angenommen hat. Wie lange wollen wir uns das noch bieten lassen? Auf die Strasse, alle, besonders Lehrkräfte mit festem Arbeitsvertrag. Solidarität ist hier oberstes Gebot.