Studie: Jugendliche fühlen sich von Lehrern allein gelassen

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BERLIN. Jugendliche erleben das Klima in ihren Klassen größtenteils als kooperativ, aber fühlen sich von ihren Lehrern allein gelassen. Das ist das Ergebnis einer Studie der Humboldt-Universität.

Wissenschaftler haben für die Studie „Jugend-Schule-Zukunft“ während drei Jahren jeweils am Ende der 7., 8. Und der 9. Klasse rund 3000 Jugendliche aller Schulformen zu ihren Ansichten über die Schule befragt. Drei Viertel der Befragten stimmten dem Satz zu: „Wenn es darauf ankommt, hält unsere Klasse zusammen“, während die Ansicht „In unserer Klasse sieht jeder Schüler im anderen den Konkurrenten“ nur von knapp zehn Prozent geteilt wird. Überrascht waren die Forscher davon, dass die Aussage, man müsse vorsichtig sein, nicht zu viel für die Schule zu tun, um nicht als Streber zu gelten, schon in Klasse 7 nur zehn Prozent Zustimmung findet und die Zustimmung noch bis Klasse 9 weiter abnimmt.
Wie die Studie zeigt, haben die Jugendlichen einen guten sozialen Rückhalt im Elternhaus und Freundeskreis. Über 80 Prozent erleben eine hohe familiäre Geborgenheit. Die soziale Ressource, welche die Schule bereit stelle, nämlich die Lehrerunterstützung, sei für die Jugendlichen aber die unsicherste, schreiben die Wissenschaftler. Treffe es aber zu, dass der Lehrer als engagierte Person empfunden werde, habe das bedeutsame Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein der Schüler und, bei männlichen Jugendlichen, auch auf das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit, so die Forscher.

BU: Jugendliche, hier auf einem Pausenhof während einer Schulpause, stehen unter Leistungsdruck. Foto: Wolfra/Flickr (CC BY-NC 2.0)Jugendliche, hier auf einem Pausenhof während einer Schulpause, stehen unter Leistungsdruck. Foto: Wolfra/Flickr (CC BY-NC 2.0)

 

Durchwachsenes Lehrerbild
Das Lehrerbild der Heranwachsenden ist, laut Studie, durchwachsen und wird schlechter, je älter die Schüler werden. Die Jugendlichen beklagen autoritäres und extrem dirigistisches Lehrerverhalten, Tadel und Spott, Herabsetzung und Demütigung. In der neunten Jahrgangsstufe geben nur noch rund fünf Prozent aller Schüler (gegenüber rund 25 Prozent in Klasse 7) an, von allen Lehrern gerecht behandelt zu werden, und nur noch 15 Prozent in Klasse 8 und zehn Prozent in Klasse 9 erleben ihre Lehrkräfte als verständnisvoll.
Die Mehrzahl der Jugendlichen (fast 50 Prozent in Klasse 7 und über 60 Prozent in Klasse 9) sind der Meinung, dass keine oder nur wenige Lehrer wirklich daran interessiert sind, dass sie etwas lernen. Dass die Schüler sich in Deutschland von ihren Lehrern besonders schlecht unterstützt fühlen, habe auch Pisa gezeigt, schreiben die Forscher. Vor allem Jugendliche an Gymnasien beklagten dies. Aber auch die Grundschulstudie Iglu belege, dass viele Lehrkräfte sich nicht für das schulische Versagen der Schüler und Schülerinnen verantwortlich fühlten. Sie würden vielmehr denken, dass diese eben nicht in ihre Klasse passten.

Leistungserwartung setzt Jugendliche unter Druck
Negativ finden die Jugendlichen an der Schule außerdem, die Angst zu versagen, schlechte Noten zu bekommen, sitzen zu bleiben und den Schulabschluss nicht zu schaffen.
Auf der anderen Seite besteht bei den Jugendlichen eine hohe Wertschätzung der schulischen Leistung. Für etwa 90 Prozent von ihnen ist es wichtig, in der Schule erfolgreich zu sein, gut mitzukommen und gute Zensuren zu erreichen. Allerdings stehen die Jugendlichen unter großem Leistungsdruck. Dazu sagt beispielhaft der Schüler Julian im Studienprotokoll: „Das Schlimmste an der Schule ist der Leistungsdruck, den mir meine Mutter immer auferlegt.“ Fast 85 Prozent der Jugendlichen bejahen die Aussage: „Meine Eltern möchten, dass ich sehr gute Noten nach Hause bringe.“
Gute Noten seien aber ein knappes Gut, schreibt die Leiterin der Studie, die Berliner Professorin Renate Valtin, im „Berliner Tagesspiegel“: „Nur etwa ein Viertel der Jugendlichen erreicht in den sprachlichen und mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern ein gut oder sehr gut. Und nur knapp zehn Prozent stehen in allen diesen Fächern auf Eins oder Zwei. Von Klasse 2 an, als unsere Studie begann, verschlechtern sich die Noten mit jedem Jahr, das heißt, die schulischen Leistungen werden zunehmend schlechter beurteilt.“ Zudem seien die Noten sehr stabil: „Es ist schwer, schlechte Noten auszubügeln“, wie die Schülerin Lena dann auch in der Studie zu Protokoll gibt.
Entsprechend hoch sei die Leistungsängstlichkeit der Jugendlichen. Mehr als jeder Dritte traue sich nicht, mit schlechten Noten nach Hause zu kommen. Dann drohen elterliche Sanktionen wie Taschengeldentzug, enttäuschende Bemerkungen, Ausgangsverbot und sogar Schläge. Fast jeder Fünfte habe Angst davor, am nächsten Tag in die Schule zu gehen, und jeder Dritte mache sich abends im Bett oder auf dem Schulweg Sorgen wegen des Abschneidens in der Schule. NINA BRAUN

Die Studie zum Nachlesen: Johannes König, Christian Wagner, Renate Valtin: „Jugend – Schule – Zukunft. Psychosoziale Persönlichkeitsentwicklung. Ergebnisse der Längsschnittstudie Aida.“ 464 Seiten, 29,90 Euro, Waxmann Verlag 2011.

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