HANNOVER. Das Vorwissen eines Lernenden hat den größten Einfluss darauf, was jemand lernt, sagt Lernforscherin Elsbeth Stern.
Die Professorin der Hochschule Zürich referierte am letzten Tag der Bildungsmesse “didacta” darüber, wie sinnvoll gelernt wird. Wissen sei der Schlüssel zum Können. Das werde unterschiedlich erworben, bestimmtes Wissen wird etwa durch Wiederholung oder durch Visualisierung gelernt, wohingegen konzeptionelles Wissen, etwa in Naturwissenschaften, ungleich schwieriger sei zu lernen.
Dafür müsse an Vorwissen angeknüpft werden. „Schüler bringen immer eine Vorstellung von Funktionen mit, auch wenn sie etwa noch nie Physik hatten“, sagte Stern vor einem dicht gedrängten Publikum, dass es sich selbst in den Gängen gemütlich gemacht hatte, um sie zu hören.
“Warum schwimmt ein Schiff?“ Auf diese Frage haben alle Schüler eine Antwort wie beispielsweise „weil der Kapitän es lenkt“. Dort müssten Lehrer ansetzen und den Schüler von ihrer wissenschaftlichen Sichtweise überzeugen, sonst würde der Schüler die eigene Antwort immer im Hinterkopf behalten.
Sogenanntes Metakognitionstraining könne außerdem helfen, das Wissen zu verfestigen. Etwa wenn die Lernenden beschreiben sollen, was sie in der jeweiligen Stunde dazugelernt haben. Allgemeines Methodentraining hält die Lernforscherin dagegen für wenig sinnvoll. „Methodenmix hat keinen nachweisbaren Effekt, das kann man vergessen“, sagte sie. Lehrer sollten besser fachlich arbeiten und sich die richtigen Fragen für ihre Schüler überlegen.
Entscheidungen des Lehrers sind immer unsicher
Der Beruf des Lehrers beruht ebenfalls auf Wissen. Auf schlecht definiertem Wissen, betonte die Forscherin. Das habe im Falle des Lehrers die folgenden Vor- und Nachteile, erklärte Stern. Nachteil sei, dass ein Lehrer durch Erfahrung nicht unbedingt besser würde, im Gegensatz etwa zu Medizinern. Beim Lehren gerate man immer in einen Zielkonflikt, während man sich beispielsweise mit einem schwachen Kind beschäftigt, vernachlässigt man das leistungsstarke Kind. Entscheidungen des Lehrers seien so immer unsicher und diffus. Das müsse man akzeptieren. Im Gegensatz etwa zu einem Chirurgen, der einen Schnitt mache und wenn der Patient überlebe, das Ziel erreicht habe.
Vorteil des Lehrberufs hingegen ist: Im Gegensatz zu einem Chirurgen ist es nicht tragisch, wenn das Ziel nicht erreicht wird. Dann probiere man etwas Neues. Deshalb nenne man das Fachwissen des Lehrers adaptive Expertise. Adaptive Expertise können Lehrer stärken, indem sie immer mehrere Handlungsoptionen erwägten. Selbst in unkritischen Situationen, das würde helfen, das Repertoire zu erweitern. Darüber hinaus könne man bewusst herausfinden, welche Situationen sich zur Routinebildung eigneten und diese ausbauen. Außerdem ist die Grundhaltung wichtig. Das ist ungewöhnlich, denn „normalerweise findet man kaum einen Zusammenhang zwischen Einstellung und Verhalten“, sagte Stern. In einer Studie von 2002, an der sie beteiligt gewesen war, sei aber herausgekommen, dass Schülern bei Lehrern mit adaptivistischer Grundhaltung tatsächlich am meisten lernen. (nin)
(20.2.2012)
Leider werden derzeit die Lehrpläne im Zuge der Bildungsstandards in die Richtung geändert, dass es auf Wissen nicht ankomme. Beobachten kann ich das an den neueren Mathematik- und Physikbüchern oder am Lehrplan für das Fach “Naturwissenschaft”, wo sehr viele Sach-Inhalte in Biologie gestrichen oder oberflächlicher gefasst wurden.