Mehr als 100.000 Studierende in Deutschland betreiben Hirndoping

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BERLIN. Etwa fünf Prozent der Studierenden in Deutschland – mehr als 100.000 junge Menschen – betreiben Hirndoping. Dies ist das Ergebnis einer Untersuchung des Instituts für Hochschulforschung im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums.

Das ADHS-Medikament Methylphenidat, besser bekannt unter dem Markennamen Ritalin, wird häufig zum Hirndoping verwendet.. Foto:
Das ADHS-Medikament Methylphenidat, besser bekannt unter dem Markennamen Ritalin, wird häufig zum Hirndoping verwendet. Foto: ADHD Center / Flickr (CC BY-NC 2.0)

Jeder 20. Student nimmt also verschreibungspflichtige Medikamente, Schmerzmittel, Beruhigungsmittel, Psychostimulanzien oder Aufputschmittel ein, um die Studienanforderungen besser bewältigen zu können. Weitere fünf Prozent der Studierenden zählt die Studie zur Gruppe der „Soft-Enhancenden“. Dies sind Studierende, die „weiche“ Mittel wie Vitaminpräparate, homöopathische und pflanzliche Substanzen, Koffein oder ähnliches konsumieren, um ihre Leistungen zu steigern. Die große Mehrheit greift allerdings selten bis sehr selten zu vermeintlich oder tatsächlich leistungssteigernden Mitteln, so berichten die Autoren der Studie, die erstmals repräsentativ die Verbreitung von Hirndoping unter Studenten beleuchtet. Für die Untersuchung wurden die Angaben von knapp 8.000 Studierenden ausgewertet, die im Wintersemester 2010/11 an einer Online-Befragung teilgenommen hatten.

Mehr Frauen nehmen sanfte Mittel

Männer und Frauen greifen der Studie zufolge zu ähnlich hohen Anteilen auf Hirndoping zurück, um das Studium besser zu bewältigen. Unter den „Soft-Enhancenden“ ist der Anteil der Studentinnen jedoch deutlich größer. Hirndoping tritt darüber hinaus bei älteren Studierenden eher auf als bei jüngeren. Der höchste Anteil an Hirndopenden findet sich mit zwölf Prozent in der Gruppe der 28- bis 29-Jährigen. Hirndoping ist vor allem unter Studierenden der Studienbereiche Veterinärmedizin (18 Prozent) und Sport/Sportwissenschaft (14 Prozent) verbreitet. Am seltensten greifen Studierende der Studienbereiche Mathematik/Informatik und Geowissenschaften/Physik (je 3 Prozent) zu pharmakologischen Mitteln der Leistungssteigerung.

Die Autoren der Studie konnten zeigen, dass die Bereitschaft zur Einnahme leistungssteigender Mittel mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen einhergeht. So haben Hirndopende doppelt so häufig hohe Neurotizismuswerte wie Studierende, die nicht zu den entsprechenden Mitteln greifen. Für Menschen mit hohen Neurotizismuswerten sind Eigenschaften wie Nervosität, Anspannung, Unsicherheit und eine stärkere Reaktion auf Stress kennzeichnend. Insbesondere männliche Hirndopende weisen zudem eine geringere Gewissenhaftigkeit auf.

„Besonders wichtig war es für uns, mehr über die Motive der Studierenden für die Einnahme leistungssteigernder Mittel zu erfahren, denn sie sind entscheidend dafür, welche Mittel konsumiert und in welchen Situationen sie konsumiert werden“, erläutert Projektleiterin Dr. Elke Middendorff. „Wie unsere Befragung ergab, greifen Studierende besonders häufig zu Hirndoping, um Nervosität und Lampenfieber zu bekämpfen. Erst an zweiter Stelle steht das Ziel, die geistige Leistung zu steigern.“ Leistungsbeeinflussende Mittel werden am häufigsten zur Vorbereitung auf Prüfungen eingesetzt. Für 55 Prozent der hirndopenden Studierenden ist das eine typische Anwendungssituation. Fast ebenso viele (53 Prozent) greifen bei generellem Stress zu leistungssteigernden Substanzen. Die eigentliche Prüfungssituation ist für 45 Prozent der hirndopenden Studierenden der Anlass für die Einnahme entsprechender Mittel.

„Unsere Studie ist eine Momentaufnahme und lässt lediglich Aussagen über die Situation im Wintersemester 2010/11 zu. Ob der Anteil der Studierenden, der Hirndoping betreibt, in Deutschland steigt, kann erst eine Wiederholungsbefragung zeigen“, betont Middendorff.

„Der Druck auf die Schwächeren ist groß“

Dass die Bereitschaft unter Schülern und Studenten hoch ist, ihrem geistigen Leistungsvermögen durch Einnahme von Pillen auf die Sprünge zu helfen, haben auch schon frühere Umfragen von Prof. Dr. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsmedizin Mainz und Autor eines Buches zum Thema („Hirndoping: Warum wir nicht alles schlucken sollten“), ergeben. „Wir wissen, dass der Konsum in bestimmten Zirkeln stattfindet“, sagte Lieb dem Lehrermagazin „Forum Schule“. In Kreisen, in denen ohnehin eine Neigung zum Drogen- oder Alkoholmissbrauch besteht, ist auch Hirndoping weiter verbreitet. Und: Schlechte Schüler und Studenten sind deutlich gefährdeter als gute. Lieb: „Der Druck auf die Schwächeren ist groß. Also versuchen manche, mit chemischen Substanzen das Letzte aus der Zitrone herauszuquetschen.“ NINA BRAUN

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