Schlechte Vorbilder? Zentralrat der Juden kritisiert Nationalspieler

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BERLIN. Ist die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ihrer Vorbildfunktion gegenüber jungen Deutschen nicht gerecht geworden? Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann, hat den Besuch einer Delegation des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) im früheren NS-Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau jedenfalls als ungenügend kritisiert. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach wies die Kritik zurück.

Fußball-Nationalspieler in der Kritik: Lukas Podolski (rechts) gedachte der Opfer in Auschwitz, Mesut Özil nicht. Foto: Saadick Dhansay / Flickr (CC BY 2.0)
Fußball-Nationalspieler in der Kritik: Lukas Podolski (rechts) gedachte der Opfer in Auschwitz, Mesut Özil nicht. Foto: Saadick Dhansay / Flickr (CC BY 2.0)

Insgesamt sei der Besuch zwar ein „gutes Zeichen“, aber er hätte gerne die gesamte Nationalmannschaft gesehen, sagte Graumann der Nachrichtenagentur AFP. „Mehr wäre besser gewesen“, fügte er hinzu. „Diese Leute sind Fußballidole und können mehr Leute erreichen als wir mit tausend Gedenkreden.“

Vor dem Beginn der Fußball-Europameisterschaft in Polen und der Ukraine hatten DFB-Präsident Wolfgang Niersbach, Bundestrainer Joachim Löw, Teammanager Oliver Bierhoff, Mannschaftskapitän Philipp Lahm sowie die polnischstämmigen Nationalspieler Miroslav Klose und Lukas Podolski die Gedenkstätte in Auschwitz-Birkenau besucht und der dort Ermordeten gedacht. „Wir wollen uns der historischen Verantwortung stellen“, erklärte Bierhoff.

In einer Rede beim Gemeindetag des Zentralrats in Hamburg hatte Graumann am Wochenende dem Nationalmannschaftsmanager „kolossale Gefühllosigkeit und Geschmacklosigkeit“ vorgeworfen, wie „stern.de“ berichtet. Bierhoff habe im März geäußert, dass noch nicht entschieden sei, in welcher Form das Thema Holocaust mit den Spielern erörtert werde, ob als „Kamingespräch“ oder als Vortrag. Der Begriff Kamingespräch sei unerträglich angesichts der in Auschwitz vergasten und verbrannten Menschen, befand Graumann.

Offiziell wollte man sich beim DFB zu den Angriffen zunächst nicht äußern. Präsident Niersbach wies die Kritik dann doch zurück. „Wir können das nicht verstehen, zumal wir zu Dieter Graumann im Vorfeld des Besuches Kontakt hatten. Wir wollten ein Zeichen setzen gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus. Wie man das rüberbringt, sollte man jedem selbst überlassen“, sagte Niersbach im EM-Quartier der deutschen Nationalmannschaft in Danzig. Die DFB-Delegation habe „viele positive Reaktionen bekommen, auch von der internationalen jüdischen Gemeinde. Auch Kanzlerin Angela Merkel hat mir eine SMS geschickt. Das ist uns wichtig“,  betonte Niersbach. Man sei vor der Euro nicht zur Holocaust-Gedenkstätte gereist, um eine öffentliche Wirkung zu erzielen, „sondern weil wir das als Verpflichtung gesehen haben. Wir haben das Gefühl und die Überzeugung, dass wir zum richtigen Zeitpunkt das Richtige getan haben.“

Bierhoff hatte zuvor betont, das Gedenken klein halten zu wollen, um „keine PR-Aktion“ daraus zu machen. Die „Rheinische Post“ erinnerte allerdings daran, dass der DFB unter dem ausgeschiedenen Verbandspräsidenten Theo Zwanziger seine historische Verantwortung angenommen habe. So stiftete der DFB einen Preis an den wahrscheinlich in Auschwitz ermordeten Fußballer Julius Hirsch. „Mit der Erinnerung an Julius Hirsch wendet sich der DFB seiner Vergangenheit zu. Hirsch steht für viele bedeutende jüdische Spieler. Unter dem Druck des Naziregimes haben sich der DFB und seine Vereine von diesen Helden und Pionieren abgewandt und sie damit ihrem Schicksal ausgeliefert. Nie wieder darf so etwas geschehen“, sagte Zwanziger seinerzeit. Auch habe sich der Verband unter Zwanzigers Leitung der Aufarbeitung seiner eigenen Bedeutung für die Naziherrschaft gewidmet, schreibt das Blatt. Nicht zufällig sei die Dokumentation „Fußball unterm Hakenkreuz“ entstanden.

Von den rund sechs Millionen während des Holocausts ermordeten Juden wurden mehr als eine Million in Auschwitz und Birkenau getötet. Die Lagerinsassen wurden 1945 durch die sowjetische Armee befreit. NINA BRAUN

(4.6.2012, aktualisiert am 5.6.2012)

 

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