Viele Lehrer für Hessen – viele Probleme für Ministerin Beer

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WIESBADEN. Für knapp 800 000 Schüler in Hessen beginnt bald das neue Schuljahr. Genügend Lehrer stehen bereit, sagt die neue Kultusministerin. Die FDP-Politikerin muss sich in einigen schulpolitischen Streitfällen bewähren. Kurz vor dem Start des neuen Schuljahres haben die Grünen die Pläne Beers als «perspektiv- und orientierungslos» kritisiert.

Nicola Beer sieht die Schulen in Hessen für das neue Schuljahr gut gerüstet - Kritik gibt es von den Grünen; Foto: Frank Ossenbrink / Kultusministerium Hessen
Nicola Beer sieht die Schulen in Hessen für das neue Schuljahr gut gerüstet – Kritik gibt es von den Grünen; Foto: Frank Ossenbrink / Kultusministerium Hessen

Die hessische Kultusministerin Nicola Beer sieht die Schulen des Landes gut gerüstet für das neue Schuljahr, das am 13. August beginnt. Die Lehrerversorgung in Hessen sei nie besser gewesen, sagte die FDP-Politikerin in Wiesbaden. Gleichzeitig wurde deutlich, dass der neuen Ministerin schulpolitisch ein heißer Herbst bevorsteht. Entscheidungen stehen an über eine weitere Reform der Gymnasien, über islamischen Religionsunterricht und die Einrichtung eines Landesschulamtes. Nicht bei allen Themen sind sich die Koalitionspartner Union und Liberale einig.

«Hessens Schulen geht es gut», bekräftigte Beer, die das Ministeramt Anfang Juni von Dorothea Henzler (FDP) übernommen hat. Gut ein Jahr vor der Landtagswahl in Hessen soll die ehemalige Europa-Staatssekretärin der Schulpolitik der Regierung mehr positive Aufmerksamkeit verschaffen. Die Oppositionsparteien nannten Beers Auftritt enttäuschend: Sie bleibe Antworten schuldig und setze keine eigenen Akzente.

Grüne: Bildungspläne der Regierung sind orientierungslos

Die Grünen haben die Pläne Beers als «perspektiv- und orientierungslos» kritisiert. Beer hatte zuvor mitgeteilt, dass zum neuen Schuljahr weitere 150 Lehrerstellen geschaffen werden sollen und die Gesamtzahl damit auf fast 50 400 Stellen steige. Damit halte die Ministerin ihr Koalitionsversprechen einer Überversorgung der Schulen mit 105 Prozent an Lehrkräften aber nicht ein, sagte der Grünen-Abgeordnete Mathias Wagner in Wiesbaden.

«Leider zeichnet sich die Landesregierung und auch die neue Kultusministerin dadurch aus, dass zentrale Wahlversprechen nicht eingehalten werden», betonte er. So arbeite die Landesregierung beim Ausbau der Ganztagsschulen «im Schneckentempo». Den geplanten islamischen Religionsunterricht wollen die Grünen nach Äußerungen des CDU-Fraktionsvize Hans-Jürgen Irmer bei einer Sondersitzung im Landtag zum Thema machen. Irmer hatte bezweifelt, dass die türkische Moscheengemeinschaft Ditib Partner für Schulunterricht sein kann.

Insgesamt hielt Wagner Beer zugute, dass sie eloquenter sei und die Themen besser verkaufen könne als ihre Vorgängerin. «Aber auch ein herzlich gebrochenes Versprechen bleibt ein gebrochenes Versprechen», sagte der Grünen-Politiker.

Die Baustellen der hessischen Kultusministerin im Überblick

Lehrerversorgung: Zum Schuljahresbeginn gibt es einen Höchststand von 50 400 Lehrerstellen. 150 Stellen seien neu eingerichtet worden, sagte Beer. Damit haben CDU und FDP von den 2.500 neuen Stellen, die sie in ihrem Koalitionsvertrag versprochen haben, 2.300 geschaffen. Der Rest soll im Sommer 2013 folgen. Gleichzeitig sinkt die Schülerzahl in diesem Sommer erstmals unter 800.000. «Noch nie war die Schüler-Lehrer-Relation so gut wie heute», betonte die Ministerin. Alle Stellen seien so gut wie besetzt. Nach der Rechnung von Beer fehlen fünf Tage vor Unterrichtsbeginn noch 18 Lehrer. Schwierig sei es, Lehrkräfte für Physik an Gymnasien oder für Metall- und Elektrotechnik an Berufsschulen zu finden. In Frankfurt fehle es an Grundschullehrern. Am Koalitionsziel einer Überversorgung der Schulen mit 105 Prozent an Lehrkräften hielt Beer generell fest, obwohl der Durchschnitt weiter nur wenige Zehntelpunkte über 100 liegt. Durch zusätzlich eingestellte Lehrer seien Verbesserungen erreicht worden. Die Verkleinerung von Klassen habe 880 Stellen erfordert. Ganztagsangebote würden weiter ausgebaut. Das Ziel einer 105-prozentigen Lehrerversorgung dürfe nicht aufgegeben werden, mahnte der Hessische Philologenverband (HPhV). «Wir brauchen mehr Reserven für Vertretungen und individuelle Förderung der Schüler.»

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Islamischer Religionsunterricht: «Das ist ein Projekt der Koalition», bekräftigte Beer. Auch Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) stehe dazu. Kritik von CDU-Fraktionsvize Hans-Jürgen Irmer nannte sie eine «Einzelmeinung». Irmer hatte bezweifelt, dass die türkische Moscheengemeinschaft Ditib Partner für Schulunterricht sein kann. Mit der Ditib gebe es noch Gespräche, um sicherzustellen, dass der Unterricht dann unabhängig vom türkischen Staat sei und die Gleichberechtigung von Mann und Frau gewahrt werde, sagte Beer. Ihr Ministerium prüft derzeit Anträge von Ditib und Ahmaddiya auf islamischen Unterricht und theologische sowie juristische Gutachten dazu. Bei diesem verwaltungsrechtlichen Vorgang liege die Entscheidung nicht im Landtag oder im Kabinett, sondern im Kultusministerium, sagte Beer. Sie kündigte eine Entscheidung für Herbst an, ohne einen Termin zu nennen. Ab Sommer 2014 könne voraussichtlich an ersten Schulen Islam-Unterricht erteilt werden.

Wahlfreiheit G8/G9: Bis Ende September will die Ministerin festlegen, was an der umstrittenen verkürzten achtjährigen Gymnasialzeit bis zum Abitur (G8) verändert werden kann. Grundsätzlich bleibe es bei G8, sagte sie. Zugleich soll den Gymnasien die Wahl eingeräumt werden, auch wieder G9 anzubieten. Dies hatten Bouffier und die CDU vor dem Sommer angekündigt und die neue Kultusministerin vor vollendete Tatsachen gestellt.

Landesschulamt: Mit einer neuen Zentralbehörde will Schwarz-Gelb Doppelarbeit der 15 staatlichen Schulämter abschaffen und Kapazitäten freisetzen. Beer verteidigte den Gesetzentwurf, der noch unter ihrer Vorgängerin in den Landtag eingebracht wurde. Das Landesschulamt soll zum Beginn 2013 eingerichtet werden. Nicht nur die Opposition befürchtet ein teure «Monsterbehörde». Zur Landtagsanhörung am 30. August gehen auch viele kritische Stellungnahmen von Experten ein.

Inklusion: Der gemeinsame Unterricht behinderter und nicht behinderter Kinder sei mit einer neuen Verordnung geregelt, sagte die Ministerin. Das Land setze 1.500 Förderschullehrer an Regelschulen ein. Daneben blieben die Förderschulen erhalten. Die Grünen befürchten trotzdem Probleme, wenn Eltern behinderte Kinder auf Regelschulen schicken wollen: «Frau Beer weiß ganz genau, dass sich jederzeit mit Verweis auf fehlende Mittel über den Elternwillen hinweggesetzt werden kann.» dpa

(9.8.2012)

Zum Bericht: Hessen: Wahlfreiheit für Gymnasien zwischen G8 und G9 ab 2013

Zum Bericht: Hessen: Kultusministerin Beer will Schulverwaltung verschlanken

Zum Bericht: Rolle rückwärts bei G8? Hessens CDU plant für Gymnasien die Wahlfreiheit

Zum Bericht: Hessen: Bouffier ruft bei G8 neue Schuldebatte hervor

 

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sofawolf
11 Jahre zuvor

Die „Überversorgung der Schulen“ mit Lehrern in Höhe von 105 % dient ja meines Wissens dem Auffangen von Krankheitsfällen (also Vertretungsstunden). Das ist gut, auch wenn es ja noch nicht erreicht werden konnte. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis zu reduzieren, ist eine Grundvoraussetzung, wenn all die tollen „Bildungsideen“ der Politiker auch nur ansatzweise realisiert werden sollen. In Berlin kam die Tochter eines Freundes von mir am Mittwoch in ihre neue 7. Klasse am Gymnasium. 32 Schüler!!! Was für ein Wahnsinn! So werden die hohen Anforderungen an den Bildungsbereich nie verwirklicht.