Yogeshwar: „Kulturförderung ist eine Frage der politischen Priorität“

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DÜSSELDORF. Viele Bibliotheken kämpfen um eine bessere Ausstattung. Der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar hält das in einem reichen Land wie Deutschland für eine Schande. Für sein Engagement für Büchereien erhält er in diesem Jahr die Karl-Preusker-Medaille des Bibliotheksverbands. Warum er die öffentlichen Buchausleihen für wichtig hält, erzählt er im Interview.

Herr Yogeshwar, Sie sind einem Millionenpublikum durch Fernseh-Shows bekannt, in denen Sie Naturwissenschaft allgemeinverständlich darstellen. Das sieht immer leicht aus. Ist Ihnen auch schon einmal etwas richtig schief gegangen?

Natürlich geht da immer mal wieder etwas schief. Deshalb muss man vorher gut darüber nachdenken, was man in einem solchen Fall tut. Vor einigen Jahren zum Beispiel bin ich in Düsseldorf an der Glasfassade der Staatskanzlei an Saugnäpfen hinaufgeklettert. Oben hat dann die Elektronik ausgesetzt. Da war ich froh, dass wir eine gute Sicherung hatten.

Aber woher kommt Ihre Motivation, Naturwissenschaften mit diesem Engagement zu vermitteln?

Ich denke, das hat zwei Gründe: Zum einen ist es für mich in vielen Bereichen eine Bewusstseinserweiterung, Dinge selbst zu erfahren. Mitte des Jahres war ich zum Beispiel in der Arktis. Wir haben bei minus 17 Grad übernachtet, und ich berichte nicht nur darüber, sondern weiß dann selbst, wie das ist. Das hat auch in der Vermittlung eine andere Qualität. Ich gebe nicht nur Angelesenes weiter, sondern etwas, das ich selbst erfahren habe.

Sie sind für Ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet worden. Jetzt kommt eine weitere Auszeichnung hinzu, die Karl-Preusker-Medaille der Bibliotheken. Was bedeutet diese Auszeichnung für Sie?

Also, sie hat für mich vor allem einen sehr schönen, familiär begründeten Aspekt. Mein Großvater war ein recht bekannter indischer Bibliothekswissenschaftler. Ich bin also mit Bibliotheken und Bibliothekaren aufgewachsen. Das System Bibliothek ist für mich dadurch zu einer gewissen Lebenshaltung geworden. Dass die Bibliotheken auch mein Engagement wert schätzen, freut mich außerordentlich.

Was meinen Sie mit Lebenshaltung?

Wir haben heute in unserer modernen Welt eine sehr starke Fokussierung auf materielle Dinge. Aber es gibt noch eine andere Qualität im Leben. Eine inhaltliche, kulturelle jenseits des Kommerzes. Sie lebt davon, dass man von einer Sache wirklich begeistert ist. Das ist ein Stück Kultur, das man nicht in Euro und Cent ausdrücken kann. Diese Haltung hat mir mein Großvater vermittelt. Er wollte damit sagen, es gibt Wichtigeres im Leben als profane materielle Dinge.

Sehen Sie Bibliotheken als Kontrapunkt zu einer kommerzialisierten Welt? Bibliotheken stehen ja für einen Grundsatz, nämlich: Wissen zu teilen, Orte zu haben, an denen man nicht bezahlen muss. In unserem Leben muss man doch für alles bezahlen. Bibliotheken hingegen sind sehr lebendige Beweise dafür, dass es in einer Gesellschaft um mehr geht als um Sonderangebote und Schnäppchenpreise.

Ranga Yogeshwars findet, dass Wissen frei zugänglich bleiben muss. (Foto: Nina Yogeshwar)
Ranga Yogeshwars findet, dass Wissen frei zugänglich bleiben muss. (Foto: PR/Nina Yogeshwar)

Brauchen wir Bibliotheken im digitalen Zeitalter denn überhaupt noch?

Das ist doch überhaupt keine Frage. Bibliotheken erfüllen für unsere Gesellschaft so viele Funktionen. Sie sind nicht nur Orte, an denen Bücher und Wissen gespeichert werden. Gute Bibliothekare sind auch in der Lage, den Lesern zu helfen, ihnen Orientierung zu bieten, Wissen zu ordnen, zu priorisieren. Diese Aufgaben werden immer wichtiger. Gerade im Internet kursiert so viel Wissen, das nicht verifiziert ist.

Aber werden Bibliotheken auch als Orte gesucht?

Gerade als Orte haben Bibliotheken besondere Qualitäten. Wir hängen doch nicht nur alle isoliert vor Bildschirmen. Wir sind soziale Wesen und brauchen gemeinsame Orte. Diese Funktion erfüllen Bibliotheken bestens. Man trifft sich dort und kann dennoch allein oder in Gruppen miteinander konzentriert arbeiten. Zudem gibt es in Bibliotheken auch Leseförderungen, Bibliotheksnächte, Veranstaltungen und vieles mehr. Dabei geht es immer um ein Miteinander. Bibliotheken sind lebende Organismen wie schon mein Großvater gesagt hat.

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Bibliotheken verändern sich auch selbst durch die neuen digitalen Medien. Ist das zu ihrem Vorteil?

Oh, ja, sie verändern sich derzeit gewaltig. Aber das muss ja nicht zwangsläufig ein Nachteil sein. Wichtig ist vor allem, dass Wissen unabhängig vom Portemonnaie des Nutzers verfügbar bleibt. An diesem Konsens darf sich nichts ändern. Nur weil ein Medium digital ist, nur weil ein Zugang zu Wissen ein anderer wird, muss sich die Grundhaltung dazu doch nicht ändern. Ich plädiere ganz klar dafür, dass es ein Recht darauf gibt, freien Zugang zu digitalen Medien wie E-Books oder E-Journals zu bekommen. So wie es auch bei den Medien der vordigitalen Stufe ist.

Da werden Ihnen die Verleger, die das alles bezahlen, heftig wiedersprechen?

Man kann diese Debatte natürlich in kommerziellen Kategorien betrachten und sich fragen, wer am meisten profitiert, die Verlage, die Suchmaschinen, die Leser? Aber es geht auch um ein Stück Kultur, das man mit aller Konsequenz bewahren muss. Mir fehlt dazu eine offensive Politik, die klipp und klar sagt: Am freien Zugang wird nicht gerüttelt und wenn ein E-Book-Publizist hier in Deutschland tätig wird, muss er das akzeptieren.

Wie können sich Bibliotheken in dieser Debatte verhalten?

Ich glaube, wir stehen da ganz am Anfang. Der User muss bestimmte Inhalte kostenlos nutzen können, zwar zeitlich befristet, aber auch zu Hause am eigenen Bildschirm. Was Bibliotheken derzeit über die e-Ausleihe anbieten, finde ich genau richtig. Dazu brauchen sie aber entsprechende Lizenzen von den Verlagen. Darauf müssen sie drängen.

Und woher soll das Geld kommen?

Das Geld ist doch da. Es ist vielmehr so, dass die politische Prioritätenliste falsch ist. Mir soll keiner erzählen, dass in einem der reichsten Länder der Welt nicht genug Geld für Bibliotheken vorhanden ist. Gerade in Deutschland geht es um Köpfe. Bibliotheken spielen dabei eine zentrale Rolle, gerade in ihrer Arbeit vor Ort in der Kommune. Sie haben einen offensiven Kulturauftrag. Da sollte es eine politische Selbstverständlichkeit sein, dass sie dazu in die Lage versetzt werden. Stattdessen kämpfen viele Bibliotheken mit ihrer katastrophalen Ausstattung. Sie erhalten nicht genügend Mittel und werden im Stich gelassen. Neben der politischen ist es aber auch eine Frage der gesellschaftlichen Haltung. Nehmen Sie meine Familie und mich. Wir könnten uns natürlich Bücher auch einfach kaufen. Aber meine Kinder gehen regelmäßig bei uns in die Stadtbibliothek.

Wann waren Sie selbst denn das letzte Mal in einer Bibliothek?

Das war vor unserem Urlaub. Da haben wir uns mit Lektüre eingedeckt. Ich muss aber ehrlicherweise sagen, dass ich unsere Stadtbibliothek heute eher mit meinen Kindern nutze. Für die Fachliteratur, die ich brauche, gehe ich in der Regel in wissenschaftliche Bibliotheken. Zurzeit stehe ich auch in Kontakt mit einer Bibliothek in Lissabon. Dort werde ich demnächst hinreisen, um mir einige Originalschriften anzusehen.

Was wünschen Sie den Bibliotheken für die Zukunft?

Ich wünsche Ihnen, dass sie eine Zukunft haben. Eine, die intensiv in dieser Gesellschaft verankert ist, und die mit all der Liebe, derer die Bibliotheken bedürfen, gefördert wird.

(29.10.2012)

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