Die „didacta“ beginnt mit Forderung nach mehr Bildungsgerechtigkeit

3

KÖLN. Ob Sitzenbleiben, Plagiate, Lernen im digitalen Klassenzimmer oder mehr Gerechtigkeit im Bildungssystem: Die weltgrößte Bildungsmesse „didacta“ spiegelt die Themen wider, die Schüler, Eltern, Pädagogen und Politiker aktuell umtreiben.

Zur "didacta" in Köln werden mehr als 100.000 Besucher erwartet - die meisten davon Lehrer. Foto: Koelnmesse Bilddatenbank
Zur „didacta“ in Köln werden mehr als 100.000 Besucher erwartet – die meisten davon Lehrer. Foto: Koelnmesse Bilddatenbank

Experten verlangen mehr Gerechtigkeit im deutschen Bildungssystem – unabhängig von sozialer Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern. Weiterhin kommen vor allem Schüler aus bildungsfernen Schichten oder mit Migrationshintergrund zu kurz, aber auch überproportional viele Jungen, wie Bildungsforscher Wassilios Fthenakis zur Eröffnung der weltgrößten Bildungsmesse, der „didacta“ in Köln, unterstrich. Nur 20 Prozent der jungen Erwachsenen erreichten einen höheren Abschluss als ihre Eltern – international seien es 37 Prozent in den entwickelten Ländern.

Fthenakis, Präsident des Bildungsverbands Didacta, verlangte für mehr Fairness einen einheitlichen nationalen Bildungsplan, der die unterschiedlichen Pläne in den 16 Bundesländern ersetzen solle. Bildung «made in Germany» sei ein Qualitätssiegel, es gebe aber viele Makel: Die Förderung der individuellen Stärken reiche nicht aus; die reine Wissensvermittlung werde überbewertet. Statt das wichtige Lernen mit digitalen Mitteln zu stärken, würden die Lernmitteletats der Schulen gekürzt.

Zur Debatte um ein Abschaffen des Sitzenbleibens sagte der Verbandschef, um Schülern ein Wiederholen zu ersparen, müsse früher gegengesteuert werden: «Dem Sitzenbleiben geht ein langanhaltender Prozess voraus.» Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) hatte die Wiederholung von Schuljahren erst am Sonntag als eine «Verschwendung der Lebenszeit» bezeichnet. Zur Eröffnung der didacta sagte sie, ein Drittel des Nachwuchses sei Verlierer des Bildungssystems.

Die Messe mit 840 Ausstellern aus 23 Ländern sollte eigentlich von CDU-Politikerin Annette Schavan eröffnet werden, die aber wegen der Plagiatsaffäre als Bundesbildungsministerin zurückgetreten ist.

Anzeige

Plagiate im Klassenzimmer spielen eine große Rolle bei der „didacta“ mit insgesamt 1600 Seminaren und Kongressen für Pädagogen. Im Mittelpunkt vieler Anbieter steht das digitale Lernen: Verlage präsentieren digitale Unterrichtsassistenten für Lehrer – oder Schulbücher, die interaktive Übungen sowie Video- und Audiomaterial enthalten. Als Neuheit präsentiert wird ein Tisch mit komplett berührungsempfindlicher Oberfläche für die Gruppenarbeit in Schulen. Auch interaktive Tafeln sind zu sehen.

Löhrmann warb zu Beginn der fünftägigen Veranstaltung für die rechtlich verpflichtende Inklusion – das gemeinsame Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern an allgemeinbildenden Schulen. «Inklusion ist die Vollendung der individuellen Förderung.» Davon profitierten auch Schüler ohne speziellen Förderbedarf. Es gebe viele Ängste und Vorbehalte gegen das inklusive Lernen.

Schavan-Nachfolgerin Johanna Wanka (CDU) kam nicht nach Köln, weil sie laut Ministerium erstmals an einer Kabinettssitzung in Berlin teilnahm. Die Messe rund um Kindergärten, Schulen, Hochschulen, Aus- und Weiterbildung hatte 2012 in Hannover, 2011 in Stuttgart stattgefunden. dpa

(19.2.2013)

Zum Bericht: „didacta“-Bildungsbotschafter: „Es hat noch keiner den Knall gehört“

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

3 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
mehrnachdenken
11 Jahre zuvor

„Statt das wichtige Lernen mit digitalen Mitteln zu stärken, würden die Lernmitteletats der Schulen gekürzt.“

Von welcher Lobbygruppe wird W.Fthenakis gesponsert?

Ursula Prasuhn
11 Jahre zuvor

Wassilios Fthenakis sollte etwas mehr seinen gesunden und nicht ideologisch verbohrten Verstand einsetzen.
Die Zahlen des Mikrozensus sind doch kein Anzeichen für eine Unfairness im Bildungssystem, wie er sie nach gut sozialistischer Art sieht.
Will er die Naturgesetze verändern, die in diesem Zusammenhang eine erhebliche Rolle spielen? Ist der Mensch etwa das einzige Lebewesen, bei dem Gene keine Rolle spielen?
Und ist er das einzige Lebewesen, das nicht auf Umwelteinflüsse reagiert?
Wenn Herr Fthenakis die Umwelt für alle gleichmachen will, müssen die Kinder schon bald nach der Geburt vom Staat einkassiert und in uniformen Einrichtungen großgezogen werden. Solch menschenverachtende Einheitserziehung haben Bolschewismus und Kommunismus bereits in den verbreiteten „Gemeinschaftshäusern“ vorgemacht.
Wollen wir dasselbe unter scheindemokratischer Flagge?
Die Frage der Vererbung müsste dann auch noch gelöst werden. Vielleicht durch genetische Manipulationen? Wollen wir auch das?
Die Begriffe „Chancengleichheit“ und „Bildungsgerechtigkeit“ sind ebenso irreführend wie scheinheilig. Mit Fug und Recht können sie auch als Bedrohung gelten.

Reinhard
11 Jahre zuvor

Da digitales Lernen teurer ist als Bücher und Computer öfter erneuert werden müssen als Tafeln, wird auf der Bildungsmesse natürlich dafür geworben. Wir Lehrer wissen ja, dass das für Lernerfolge unwesentlich ist. Verwunderlich ist daran nur die unkritische Berichterstattung durch Medien, die nicht mitverdienen.