Eltern: Lehrer sind zu wenig auf hochbegabte Schüler eingestellt

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STUTTGART. «Individuelle Förderung» gilt als hohes Ziel an Schulen bundesweit. Doch nach Meinung von Eltern und Experten hapert es mit der Umsetzung noch ganz gewaltig – vor allem bei Hochbegabten. In Baden-Württemberg kocht der Streit hoch.

Erkennen Lehrer einen hochbegabten Schüler - oder fehlt es ihnen dabei an Diagnosekompetenz? Foto: Angelique / flickr (CC BY-ND 2.0)
Erkennen Lehrer einen hochbegabten Schüler – oder fehlt es ihnen dabei an Diagnosekompetenz? Foto: Angelique / flickr (CC BY-ND 2.0)

Die Lehrer sind nach Ansicht von Experten und Elternverbänden zu wenig auf Hochbegabte eingestellt. «Wir brauchen gut ausgebildete Lehrkräfte, die mit Heterogenität umzugehen wissen», forderte Markus Siehr, Vorsitzender des Landesverbandes Hochbegabung in Stuttgart. Viele Lehrer hätten jedoch noch kaum etwas über Hochbegabte gehört. «Hier ist sehr vieles im Argen», bestätigt Professor Detlef H. Rost von der Universität Marburg. Die Diskussion um Hochbegabung sei ein Weg, Lehrer daran zu erinnern, dass jedes Kind anders sei. Die baden-württembergische CDU fordert, Pädagogen so auszubilden, dass sie Hochbegabung besser und früher erkennen.

Als hochbegabt gelten Kinder und Jugendliche, deren Intelligenzquotient (IQ) bei 130 und darüber liegt. Nachgewiesen wird dies mit Tests. 2,28 Prozent aller Schüler sind Rost zufolge nach dieser Definition hochbegabt. In Baden-Württemberg entspricht das bei 1,057 Millionen Schülern rund 24.100 Kindern und Jugendlichen.

Neben geschulten Lehrern brauche es mehr schulbegleitende Programme für unterforderte Kinder, machte Michaela Duhme von der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind in Ludwigsburg deutlich. Gerade überdurchschnittliche Schüler würden meist nicht hinreichend gefördert, beklagten die Elternverbände. Auch mangele es oft an gesellschaftlicher Akzeptanz. «Es gibt immer noch eine Menge Vorurteile», sagte Siehr. Informationen seien wichtig. «Es ist keine Krankheit, es ist eine Fähigkeit», machte Duhme deutlich.

CDU: Grundschulen besonders ertüchtigen

Die CDU im Ländle kritisiert, dass sich die Hochbegabtenförderung seit dem Regierungswechsel von Schwarz-Gelb zu Grün-Rot kein Stück verbessert habe. Ihre Partei bereite gerade Anträge zu dem Thema für den Landtag vor, sagte CDU-Bildungsexperte Georg Wacker. «Die Lehrerausbildung muss ganz besonders in den Blick genommen werden. Vor allem die Diagnosefähigkeit muss verbessert werden.» Zudem sollten – nach Bedarf – mehr dezentrale Hochbegabtenzüge an Gymnasien angeboten werden. Auch müssten Grundschulen besonders für den Umgang mit Hochbegabten ertüchtigt werden.

Das SPD-geführte Kultusministerium sieht hingegen auch in den neuen Gemeinschaftsschulen ein geeignetes Umfeld für Hochbegabte: «Das Lernkonzept der Gemeinschaftsschule ermöglicht eine passgenaue Förderung und Begleitung. Hochbegabte finden dort eine Lernumgebung, in welcher der Leistungsbereitschaft und der Leistungsfähigkeit auch dieser Schüler entsprochen werden kann», teilte eine Sprecherin mit.

Nicht alle Blitzgescheiten setzen ihre Intelligenz in überdurchschnittliche Leistungen um. Bei einigen bleibt die schulische Leistung weit hinter den eigentlichen Fähigkeiten zurück. «Das ist allerdings eine kleine Minderheit», macht Bildungsforscher Rost deutlich.

Grundsätzlich hätten seine Studien gezeigt, dass sich Kinder mit sehr hohem IQ nicht mehr im Unterricht langweilen als andere. «Das ist ein Gerücht», sagte der Wissenschaftler. Der Eindruck entstehe, weil sich in den Hochbegabten-Verbänden häufig Eltern zusammenfänden, deren Kinder in der Schule aufgefallen seien. «Man gründet ja keine Selbsthilfegruppe für Sonnenscheinkinder. Problemfälle sind hier überrepräsentiert.»

Für sehr intelligente Kinder, die sich in Regelklassen schwertun, bietet das Landesgymnasium für Hochbegabte in Schwäbisch Gmünd derzeit 240 Plätze. Zudem gibt es laut Kultusministerium in 14 größeren Städten in Baden-Württemberg Hochbegabtenzüge an Gymnasien. Doch der Sonderunterricht wird auch hinterfragt.

Prof. Rost hält Andersartigkeit für einen Wert, der auf der Strecke bleibe, wenn die hochbegabten Kinder abgeschottet würden. Es sei Aufgabe der Schulen, auch diese Kinder in normalen Klassen aufzufangen und zu fördern. «Die Hochbegabtenklassen sind im Grunde ein Zeichen dafür, dass unser Bildungssystem auf einen Bankrott zusteuert.»   WENKE BÖHM, dpa

(26.3.2013)

Zum Bericht: „Keinen Sonderstatus: Hochbegabte Schüler brauchen ein normales Umfeld“

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Aufmüpfer
11 Jahre zuvor

„Prof. Rost hält Andersartigkeit für einen Wert, der auf der Strecke bleibe, wenn die hochbegabten Kinder abgeschottet würden.“
Komisch, dass er nicht gleich sagt, dass Andersartigkeit ein Menschenrecht ist.
Regelschulen, d. h. die Lehrer, sollen also das Kunststück fertig bringen, hochbegabten und behinderten Kindern in normalen Klassen ebenso gerecht zu werden wie den Durchschnittsschülern, die auch noch sehr unterschiedlich sind
Vor kurzem hieß es noch, dass erheblich mehr Personal für das inklusive Lernen eingestellt werden müsste. Jetzt ist davon kaum mehr die Rede. Stattdessen lautet die Botschaft, dass Lehrer nicht genügend eingestellt seien auf die unterschiedlichsten Begabungen.
Die Lehrer haben also Mängel, nicht die Hohenpriester der Moral, Menschlichkeit und Politik.
Ein paar Fortbildungskurse sollen diese Defizite dann vermutlich beseitigen. Und wer anschließend noch immer nicht fertig wird mit dem menschengerechten inklusiven Unterricht, gilt vermutlich wieder als „fauler Sack“ oder Versager.
Liebe Kollegen, wir sollten uns nicht fortwährend Moral und Menschenrechte aufschwatzen lassen, die wünschenswert, aber utopisch sind. Dagegen anzugehen ist schwer, weil man dann ja als Gegner der Menschenrechte dasteht.
Ich habe schon länger die Vermutung, dass Ethik und Menschenrechte fremden Zwecken dienen. Und das macht mir Angst. Nicht nur im Bereich der Bildung ist der Missbrauch höherer Werte zu beobachten. Diese sind leider ganz schön auslegbar und damit geeignet für alle Zwecke.

Ich
2 Jahre zuvor

„Prof. Rost hält Andersartigkeit für einen Wert, der auf der Strecke bleibe, wenn die hochbegabten Kinder abgeschottet würden.“
Ich bin Hochbegabt. Und ich möchte 2 Dinge klarstellen. 1. Ich war/bin schon immer anders als andere. Deswegen würde ich auch von „normalen“ Kindern gemobbt. Dadurch habe Ich Psychische Probleme entwickelt.
2. Meine Lehrer haben nicht gemerkt, dass ich Hochbegabt bin. Ich fand Mathe z.B. langweilig, habe dort oft anstatt Aufgaben zu machen in die Luft geschaut und Fantasie-Kulturen entworfen. Bei meiner Lehrerin machte das natürlich keinen super Eindruck. Aufgefallen ist ihr nur, das ich mich nicht lange konzentrieren konnte. Ich war also ein PROBLEMKIND. Leider werden hochbegabte oft als solche gesehen. Ich finde, wenn man eine Begabung hat, sollte man sie so gut es geht nutzen.