Leistungsdruck und Ehrgeiz: Immer mehr Schüler bekommen Nachhilfe

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LÜBECK/MAINZ/HAMBURG. G8, schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, drohender Konkurrenzkampf: Immer mehr Schülerinnen und Schüler gehen zur Nachhilfe. Die GEW warnt vor einer bedenklichen Entwicklung.

Mütter sehen sich zunehmend unter Druck, den Schulstoff mit ihren Kindern nachzuarbeiten. (Foto. IowaPolitics/Flickr CC BY-SA 2.0)
Üben, üben, üben: Nachhilfe, ob privat oder bei professionellen Instituten, wird immer stärker nachgefragt. (Foto. IowaPolitics/Flickr (CC BY-SA 2.0)

Inzwischen klopfen schon die Jüngsten mit vermeintlichem Nachholbedarf bei Nachhilfelehrern an, wie der Sprecher des bundesweiten Nachhilfeanbieters Studienkreis, Thomas Momotow, erklärt: «Wir erklären uns das hauptsächlich mit dem gestiegenen Druck des Arbeitsmarktes, der auf den Familien lastet.» Die Eltern wollten, dass ihre Kinder möglichst ein Gymnasium besuchen. Mehrere Nachhilfeinstitute betonten, der gesellschaftliche und familiäre Druck wachse, einen guten Abschluss zu machen.

Nach Ansicht der Vorsitzenden des Elternvereins Rheinland-Pfalz, Irmtraud Heym, können die Schulen im Südwesten Deutschlands ihre Schüler oft nicht ausreichend individuell fördern, da dafür Lehrer fehlten. «Das System beansprucht für sich, dass Kinder ohne Nachhilfe durchkommen können, aber das ist nicht so», sagte Heym im pfälzischen Weisenheim am Berg. Nach Ihrem Eindruck nehmen immer mehr Schüler Nachhilfeunterricht.

Zwei Drittel des Nachhilfemarktes sind Schwarz- oder Graumarkt

Genaue Statistiken für Rheinland-Pfalz fehlen nach Angaben des Bildungsministeriums in Mainz jedoch. «Rund zwei Drittel der Nachhilfemarktes sind Schwarz- oder Graumarkt», erläuterte die Vorsitzende des bundesweiten Verbands für Nachhilfe- und Nachmittagsschulen, Cornelia Sussieck. Bei der Entwicklung spiele aber offenbar auch die Zusammenlegung von Haupt- und Realschule unter einem Dach eine Rolle: Die Einführung der Realschule plus habe zur Folge, dass Eltern ihre Kinder oft trotz Realschulempfehlung auf ein Gymnasium schicken, sagte Heym. «Diese Kinder werden dann Nachhilfe brauchen.»

Verbände und Bildungsministerium sind sich hier allerdings uneins. Nach Ansicht von Nachhilfeinstituten und dem Elternverein Rheinland-Pfalz hat die neue Realschule plus den Leistungsdruck auf Schüler erhöht. Ministeriumssprecher Wolf-Jürgen Karle dagegen sagte: «Dass da ein Druck wäre, mehr Nachhilfe in Anspruch zu nehmen, sehe ich nicht.» Die Schulreform habe bisher keine Auswirkung auf den Nachhilfebedarf von Schülern.

«Was sich verändert hat, sind die Wünsche der Schüler», erklärt dagegen die Vorsitzende des Verbands für Nachhilfe- und Nachmittagsschulen, Sussieck. «Es kommen viele, die gut sind und noch besser werden wollen. Die wenigsten sind wirklich versetzungsgefährdet.» Auch der massive Ausbau von Ganztagsschulen spiele eine Rolle. Seitdem kommen laut Sussieck immer mehr Schüler am Wochenende zur Nachhilfe. «Das war früher nicht der Fall.» Das bestätigte auch das Abacus-Nachhilfeinstitut in TRIER: Vor allem Nachhilfestunden am Freitag und Samstag würden nachgefragt, da unter der Woche meist die Zeit fehle.Institutsleiter Ulrich Bederke erklärt, dass Schüler nachmittags an den Schulen «vor allem untergebracht» würden: Sie machten zwar ihre Hausaufgaben, könnten aber nicht mehr gut lernen. Die Defizite versuchten sie mit Nachhilfe auszugleichen. Ein Großteil der Schüler sei in der Mittelstufe, zwischen siebter und neunter Klasse.

Insgesamt hat sich die Zahl der Nachhilfeschüler in Rheinland-Pfalz beim bundesweiten aktiven Studienkreis jedoch nach eigenen Angaben kaum verändert: «Die Nachfrage ist schon seit längerer Zeit relativ stabil», sagte Sprecher Momotow. In den rund 50 Studienkreisen in Rheinland-Pfalz seien etwa 3000 Schüler angemeldet. Die meisten gingen in die fünfte bis zehnte Klasse.

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G8 macht Druck

Die Studienkreis GmbH verzeichnet in Schleswig-Holstein Schülerzuwächse von bis zu zehn Prozent. In Hamburg findet im privaten Nachhilfeunterricht hingegen eine Verschiebung statt: Mehr Gymnasiasten und Grundschüler greifen auf Nachhilfe zurück. Am Gymnasium liege der Nachhilfeanteil bei fast 50 Prozent, sagte Kai Pöhlmann, Institutsleiter von Abacus in Hamburg, einer der größeren Anbieter auf dem Markt.

Diese Entwicklung ist unter anderem auf die Verkürzung von neun auf acht Gymnasialjahre zurückzuführen. Zudem sei das Bewusstsein dafür gestiegen, wie wichtig Bildung ist, ergänzte Sabine Angelkorte von der Schülerhilfe. «Nicht nur bei ehrgeizigen Eltern, sondern bei den Schülern selbst.» Der gestiegene Leistungsdruck führe dazu, «dass schon Grundschüler zur Nachhilfe geschickt werden, damit sie eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen», sagte Bernd Schauer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Schleswig-Holstein. Nachhilfe werde mehr und mehr zu einem dauerhaften privaten Zusatzunterricht, sagte Schauer.

Seit das Sitzenbleiben in Hamburg passé ist, springt die Stadt mit einer kostenlosen Förderung ein. Sobald ein Schüler ein Defizit hat, muss er in den Extra-Unterricht, bis er das Leistungsdefizit wieder wettmacht. Rund 20 000 Schüler nehmen die städtische Förderung jährlich in Anspruch, sagte Peter Albrecht, Pressesprecher der Schulbehörde. Etwa ein Drittel der Schüler kommen aus sozial benachteiligten Familien, so Albrecht.

Nachhilfeangebote nehmen Kinder und Jugendliche aus allen sozialen Schichten wahr

Laut Angelkorte spielt es keine Rolle, aus welcher sozialen Schicht ein Schüler stammt: Sowohl Kinder aus wohlhabenden Familien als auch aus Familien, die Hartz IV beziehen, würden zur Schülerhilfe kommen. Beim Anbieter Studienkreis in Schleswig-Holstein habe durch die Bildungsgutscheine nach dem Bildungs- und Teilhabegesetz die Zahl der Schüler aus einkommensschwächeren Familien zugenommen, sagte Pressesprecherin Silke Schenk.

Immer mehr Schulen in Schleswig-Holstein versuchen jedoch inzwischen, den Nachhilfeunterricht selbst zu organisieren. «Meine Schule vermittelt zum Beispiel Oberstufenschüler als Nachhilfelehrer an schwächere Kinder», berichtete Florian Lienau, stellvertretender Landesschülersprecher für Gymnasien. Tatsächlich werden nach Angaben Schenks nur und 20 Prozent des Nachhilfeunterrichts von professionellen Anbietern abgedeckt.
Teilweise müssen die Eltern für die private Nachhilfe ihrer Sprößlinge tief in die Tasche greifen. Bei Abacus kostet eine Einzelstunde zum Beispiel 24,50 Euro. Bei der Schülerhilfe und dem Studienkreis kosten 45 Minuten Gruppenunterricht knapp neun Euro. «Es gibt auch Leute, die das Geld richtig zusammenkratzen», sagte Dirk Mescher, Geschäftsführer der Hamburger GEW. Er sieht das skeptisch: «Der Weg, das schulisch anzubieten, ist der richtige. Da kommt es nicht aufs Geld an.» dpa

(2.3.2013)

 

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Freda
10 Jahre zuvor

Wann wird dieser Wahnsinn gestoppt !!
Abitur in 12.Jahren,warum ?!
Kind sein sich entwickeln ,warum müssen unsere Kinder so in unsere Erwachsenenwelt reingestresst werden?
Diese Jahre sind wichtig um die eigene Persönlichkeit zu finden und sie wachsen zu lassen.
Leistung ,Leistung…merkt eigentlich niemand das wir zukünftige kranke Persönlichkeiten heranziehen?
Es geht nicht um Leistungen und du bist nur dann was wert,sondern um gesunde Menschen die die Zeit bekommen sich zu finden!
Burnout ,wir Erwachsenen leiden häufig darunter wegen der ganzen Belastungen die von uns erwartet wird!
Nun machen wir das mit unseren Kindern genau so!
Mit kleinen Menschen die diese leistungsorientierte Welt noch nicht kennen!
Ist es wichtig Sich alles Käufen zu können?
Ja ,für die Wirtschaft,aber für den Mensch nicht
existenziell!
Wir haben schon für uns genug Ratgeber trotz Wohlstand,wie werde ich Glücklich weil wir nicht glücklich sind mit all den materiellen Werten.
Nachhilfe ,die Kinder brauchen keine Nachhilfe.
Wir sollten unsere Kinder beobachten und sehen wo mit sie eigentlich glücklich sind.
Davon könnten wir viel lernen,da die Kinder noch nicht so lange berieselt worden sind von dem was die erwachsene Gesellschaft als erstrebenswert empfindet!
Wir bräuchten alle dringend alle Nachhilfe im Sinne von…wie werde ich zufrieden und bekommen wieder Bodenhaftung!
Wann hält mal jemand diesen Wahnsinn an!!
Mein Sohn muss diesen Wahnsinn nicht erleben,er bekommt alle Zeit im Leben um sein Abitur evtl.in 20.Jahren zu
machen.
Ich weiß nur eins,er wird seine Kindheit und Jugend in guter Erinnerung haben,da ich ihm die Zeit geben werde!
Das ist die Basis für alles was er später macht!