Manchmal sind Eltern das größte Schulweg-Risiko

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ERFURT. Die Schulwege in Thüringen werden besonders auf dem Land länger. Mehr Gefahren für die Schüler bedeute das nicht unbedingt, sagen Polizei und Verkehrswacht. Stattdessen seien bisweilen die Eltern das eigentliche Schulweg-Risiko.

Für etwa 234 000 Kinder und Jugendliche beginnt am Montag wieder die Schule. Vor allem vor Grundschulen werden sich dann lange Autoschlangen bilden. Es wird auch gehupt und gewarnblinkt; Halteverbotsschilder gelten so manches Mal nichts. Beim Versuch, ihre Kinder mit dem Auto bis möglichst in den Klassenraum zu fahren, verlieren Mama und Papa manchmal alle Hemmungen. Dieses Verhalten, sagen Verkehrsexperten übereinstimmend, berge größere Gefahren für die Schüler als die länger werdenden Wege von zu Hause in die Schulen.

Dabei mutet dieses Aussage besonders in einem Flächenland wie Thüringen zunächst paradox an, da die Schulwege im Freistaat seit langem eher länger als kürzer werden. Mit der Schließung von Schulen gerade im ländlichen Raum müssen immer mehr Kinder immer weitere Strecken mit dem Bus fahren. «Tatsächlich aber sind die Schulbusse das sicherste Verkehrsmittel für den Schulweg überhaupt», sagt Christine Aßmann, die bei der Landesverkehrswacht Thüringen das Projekt «Sicher unterwegs mit Bus und Bahn» leitet. Dabei werden Grundschulkinder gezielt auf das richtige Verhalten bei der Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln vorbereitet. «Es stimmt nicht, dass durch die größer werdenden Entfernungen Schulwege unsicherer geworden wären», sagt Aßmann.

Auch der Sprecher der Thüringer Landespolizeidirektion, Dirk Sauter, sieht durch die länger werdenden Schulwege kein gestiegenes Gefahrenpotenzial. Die Statistik lasse auf keinen Zusammenhang zwischen der Länge des Weges zwischen Wohnung und Schule und der Unfallhäufigkeit schließen, sagt er. Zwar habe es von 2011 auf 2012 einen leichten Anstieg bei der Zahl der Schulwegunfälle und der dabei verletzten Kinder gegeben. Doch bewege sich dieser Anstieg im Rahmen der üblichen Schwankungen und sei nicht signifikant.

Nach Angaben von Sauter wurden 2011 in ganz Thüringen bei 55 Schulwegunfällen 52 Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren verletzt; 2012 waren es 63 Schulwegunfälle mit 60 verletzten Kindern in dieser Altersklasse. Zum Vergleich: 2010 waren es 56 Schulwegunfälle mit 56 verletzten Kindern im entsprechenden Alter.

Statt sich also über die Gefahren der langen Wege mit Bus – und manchmal auch Bahn – Gedanken zu machen, sollten die Elter ihre Kinder nicht mit dem Auto bis unmittelbar vor die Schule bringen, fordern Sauter und Aßmann. „Der Gefahrenpunkt vor der Schule ist hausgemacht – von den Eltern», sagt Aßmann. Sauter formuliert das so: «In ihrem Wunsch, die eigenen Kinder möglichst bis vor die Schultür zu begleiten, gefährden viele Eltern andere Kinder.» Die unübersichtliche Verkehrssituation überfordere gerade junge Schüler, weshalb es nicht verwunderlich sei, dass die meisten der auf dem Schulweg verletzten Kinder zuletzt als Fußgänger einen Unfall erlitten hätten.

Verordnung soll Sicherheit von Kindern erhöhen; Foto: Günter Havlena / pixelio.de
Eltern gefährden häufig andere Kinder, wenn sie ihre eigenen zur Schule bringen; Foto: Günter Havlena / pixelio.de

Sauter sagt bezeichnenderweise, Polizisten erlebten bei Verkehrskontrollen in der Nähe von Schulen zum Schulanfang immer wieder, dass die meisten Autofahrer, die zu schnell unterwegs seien, sich sofort einsichtig zeigten. Bei denen, die falsch und chaotisch parkten, seien die Reaktionen dagegen gemischt. «Das reicht von Einsicht bis zu Rechtfertigungsversuchen», sagt Sauter.

Auch Thüringens Kultusminister Christoph Matschie (SPD) plädiert dafür, lieber ein paar Meter von der Schule entfernt zu parken und die übrige Distanz zu Fuß zurückzulegen. «Kinder bis ganz vor die Schule zu fahren, ist nicht unbedingt der sicherste Weg», sagt Matschie. «Es tut allen gut, wenn auch mal ein paar Meter gelaufen wird.» Sebastian Haak/dpa

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mehrnachdenken
10 Jahre zuvor

Ja, das waren noch Zeiten, als wir Fünftklässler aus einem kleinen Dorf kommend, vom Frühjahr bis in den späten Herbst hinein fast bei jedem Wetter mit dem Fahrrad zur weiterführenden Schule fuhren. Dabei kamen am Tag über 25 km zusammen. Es handelte sich fast ausschließlich um Fahrräder ohne Gangschaltung. Kleiner Nebeneffekt: Wir litten ganz selten unter Erkältungskrankheiten und mit unserer sportliche Fitness konnte kaum ein Stadtkind mithalten.
Natürlich gab es in jedem noch so kleinen Dorf eine Schule, in der manchmal nicht einmal 30 Kinder von einer Lehrkraft in einem Schulraum unterrichtet wurden. Zur Schule ging’s selbstverständlich zu Fuß.
Das geschilderte Verhalten vieler Eltern halte ich für unverantwortlich. Gutes Zureden scheint da wenig zu bewirken. Deshalb verstehe ich nicht, warum an den Schulen nicht eine parkfreie Zone eingerichtet wird, sodass die Kinder dann gezwungermaßen die letzten Meter gehen müssen. Ausnahmen sollte es nur für Kinder geben, die z.B. aufgrund von körperlichen Beeinträchtigungen keine längeren Wege zurücklegen können.