Erstmals weniger neue Lehrverträge als Studienanfänger – „Deutschland ist kein Ausbildungsparadies“

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BERLIN. Die deutsche Wirtschaft hat auch 2013 weniger neue Ausbildungsverträge abgeschlossen als im Vorjahr. Industrie, Handel, Handwerk und freie Berufe zählten bis zum gesetzlichen Bilanzstichtag am 30. September insgesamt 482.400 neue Lehrverträge. Das sind 20.500 oder 4,1 Prozent weniger als 2012, teilten die Partner des Ausbildungspaktes – Wirtschaft, Bundesregierung und Bundesagentur für Arbeit (BA) – in Berlin mit. „Deutschland ist kein Ausbildungsparadies“, so kommentierte die GEW die Zahlen.

Lehrstellen-Bewerber und ausbildende Betriebe finden immer seltener zusammen. Foto: Tognum / flickr  (CC BY-NC 2.0)
Lehrstellen-Bewerber und ausbildende Betriebe finden immer seltener zusammen. Foto: Tognum / flickr (CC BY-NC 2.0)

Damit dürfte die Zahl der neuen Lehrverträge erstmals knapp unter derjenigen der Studienanfänger in Deutschland liegen. Universitäten und Fachhochschulen erwarten in diesem Jahr rund 500.000 Neueinschreibungen. Die Statistik wird allerdings durch die doppelten Abiturienten-Jahrgänge aus Nordrhein-Westfalen und Hessen leicht verzerrt.

Nach BA-Angaben hat die Wirtschaft in diesem Jahr ihr Lehrstellenangebot erneut reduziert. Den 561.200 Bewerbern bei den Arbeitsämtern (minus 0,1 Prozent) standen 504 500 Stellenangebote gegenüber (minus 2,4 Prozent). Im statistischen Schnitt kamen damit 1,19 Bewerber auf eine betriebliche Lehrstelle.

Vier Wochen nach dem Beginn des neuen Ausbildungsjahres (30. September) waren bei den Arbeitsagenturen noch immer 21.000 Lehrstellen-Bewerber als unversorgt registriert. Das sind 5.400 oder 34,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Weitere 62.500 junge Leute entschieden sich für alternative Maßnahmen wie einen weiteren Schulbesuch oder Nachqualifizierung, hielten aber gegenüber den Arbeitsagenturen ihren Vermittlungswunsch ausdrücklich aufrecht. Daneben gab es Ende September noch 33.500 unbesetzte Lehrstellen – etwa so viele wie im Vorjahr.

BA-Vorstandsmitglied Raimund Becker sagte: «Die Situation am Ausbildungsmarkt in Deutschland hat sich 2012/2013 ungünstiger als in den beiden Vorjahren entwickelt.» Probleme gebe es unter anderem in Teilen Nordrhein-Westfalens, in Berlin und Teilen Hessens.

«Dagegen haben manche Betriebe in Bayern, an der Ostseeküste und in Teilen Sachsens inzwischen Probleme, noch Auszubildende zu finden», sagte Becker. «Es ist inzwischen schwieriger geworden, Bewerber zusammenzubringen. Das sehen wir sowohl berufsfachlich, in Bezug auf die Qualifikation der Bewerber wie auch regional.»

Die Partner des Ausbildungspaktes sprachen in einer Mitteilung von einem stabilen Ausbildungsmarkt trotz veränderter Rahmenbedingungen. «Das Interesse der Betriebe, sich durch Ausbildung Fachkräfte insbesondere für den eigenen Betrieb zu sichern, ist nach wie vor hoch», hieß es in der gemeinsamen Erklärung der Wirtschaftsverbände, Bundesregierung, Kultusministerkonferenz und Bundesagentur.

DGB-Vize Elke Hannack kritisierte, dass die Zahl der neuen Verträge trotz stabiler Bewerberzahlen auf den niedrigsten Wert seit der deutschen Einheit gefallen sei. Jungen Menschen mit Haupt- und mittlerem Schulabschluss gelinge kaum noch der direkte Wechsel von der Schule in die Lehre. „Fast 2,2 Millionen junge Erwachsene zwischen 20 und 34 Jahren haben keinen Ausbildungsabschluss. Das ist ein gesellschaftspolitischer Skandal ersten Ranges, den wir uns aus sozialen Gründen, aber auch ökonomisch, nicht erlauben können“, erklärte Ansgar Klinger, im GEW-Vorstand für Berufsbildung verantwortlich.

„Junge Menschen brauchen die bestmögliche Bildung und Ausbildung, unsere Gesellschaft ist auf hochqualifizierte Fachkräfte angewiesen“, sagte Klinger weiter. Obwohl die Arbeitgeber vor dem Hintergrund der enorm hohen Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa stets den Eindruck eines „Ausbildungsparadieses Deutschland“ erwecken und vor dem Fachkräftemangel warnen, hätten sie die vergleichsweise gute konjunkturelle Lage nicht genutzt, um ein deutliches Plus an Ausbildungsplätzen zu schaffen. „Das führt unter anderem dazu, dass im Jahr 2012 knapp 270 000 junge Menschen ohne Ausbildung geblieben sind und in das so genannte Übergangssystem eintreten mussten“, so der GEW-Experte.

Die GEW setzt sich daher für eine Ausbildungsgarantie ein, die zugleich eine Voraussetzung für Inklusion in der beruflichen Bildung ist. „Das Recht auf Ausbildung darf nicht von der konjunkturellen Entwicklung in Deutschland abhängen. Deshalb fordern wir eine Ausbildungsplatzumlage, die ausbildungswilligen Unternehmen ermöglicht, zusätzliche Lehrstellen zu schaffen“, betonte Klinger. Er machte deutlich, dass nur noch gut ein Fünftel aller Betriebe ausbilde – Tendenz weiter fallend. „Das zeigt: Wer allein auf die Kräfte des Marktes setzt, wird seiner Verantwortung gegenüber der nachwachsenden Generation nicht gerecht“, unterstrich Klinger.

„Die Arbeitgeber sind zudem gut beraten, von ihrem hohen Ross herunterzukommen und die jungen Menschen nicht länger als ‚nicht ausbildungsreif‘ zu stigmatisieren. Hohe Abbrecherquoten deuten darauf hin, dass bei der Ausbildung in den Betrieben Einiges im Argen liegt“, ergänzte der Berufsbildungsexperte. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: Studie: Hälfte der Azubis kommt erst über Umwege in die Lehre

 

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