Schulleiter warnen vor Schülerhandys „voll von Nacktfotos“

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BERLIN/CLOPPENBURG. Beim „Sexting“ verbreiten Schüler pornografische Bilder von sich und anderen, die nur scheinbar kurzlebig sind. Mit einem gemeinsamen Brief wollen fünf Schulleiter aus dem südniedersächsischen Cloppenburg jetzt Eltern für das wachsende Problem sensibilisieren.

Das «Sexting»-Problem ist den Schulleitern so wichtig, dass sie keine Zeit verlieren. «Wir … stehen vor einem Problem», schreiben die fünf Pädagogen aus dem niedersächsischen Cloppenburg gleich im ersten Satz ihres Briefes an die Eltern. Immer häufiger berichteten Schülerinnen und Schüler von Nacktbildern, die über Soziale Netzwerke und Smartphones verbreitet würden.

Smartphone
Viele Eltern wissen nicht, was ihre Sprösslinge mit dem Smartphone anstellen. Foto: Niko Korte / pixelio.de

Auf diesen Bildern seien auch eigene Schüler zu sehen, berichten die Schulleiter in dem Elternbrief, den der NDR auf seiner Webseite veröffentlichte. Der Schulleiter des Cloppenburger Clemens-August-Gymnasiums, Günter Kannen, sagte, dass oft 13- bis 14-jährige Mädchen auf den Bildern zu sehen seien. Die Fotos würden schnell weitergereicht, «so dass alle Handys voll von Nacktfotos sind», sagte er dem NDR. «Ich finde es sehr erschreckend, vor allen Dingen wenn ich bedenke, dass wir Lehrer ebenso wie die Eltern von diesen Dingen tatsächlich nichts wissen.»

Kannen und seine Kollegen sind auf ein Phänomen gestoßen, das aus den USA nach Deutschland herüberschwappt: das «Sexting». Das Kunstwort setzt sich aus «Sex» und dem englischen «texting» zusammen, was «SMS schreiben» bedeutet. Vor allem Jugendliche schießen anzügliche oder nackte Fotos von sich und anderen und stellen sie ins Internet oder verschicken sie mit dem Handy.

Denn ihre Smartphones benutzen Teenager schon lange nicht mehr vorrangig zum Telefonieren, wie es die Eltern vielleicht erwarten. Stattdessen kommunizieren sie über Apps wie WhatsApp, Snapchat oder Facebook. Auf Facebook sind 81 Prozent der 12- bis 19-Jährigen aus Deutschland aktiv, zeigen Zahlen der JIM-Studie über Jugendliche im Netz. Mit der App Snapchat können Nutzer Bilder verschicken, die sich innerhalb weniger Sekunden selbst zerstören. Der Anschein der Vergänglichkeit sorgte für einen Nutzeransturm, über 200 Millionen Bildchen werden inzwischen nach Angaben der Firma pro Tag verschickt.

Jugendliche nutzten auch die Frage-Webseite Ask.fm, um erotische Bilder hochzuladen, berichtet Stefanie Rack von der Initiative klicksafe. Sie hat Material zum Thema für Lehrer entwickelt. Teenager machten sich oft wenig Gedanken darüber, wie sich die Bilder im Internet verbreiten können, sagt sie. «Sie glauben immer noch, dass das nur ein eingeschränkter Kreis sehen kann.» Weil die Apps ständig verfügbar sind, landeten Fotos schnell im Netz. Das sollten Eltern beim Smartphone-Kauf bedenken, warnen die Schulleiter. «Sie kaufen ein Gerät mit unbeschränktem Zugang zum Internet.»

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Zu überprüfen, was Kinder und Jugendliche damit anstellen, ist gar nicht so einfach. «Viele dieser Gespräche zwischen Jugendlichen laufen inzwischen versteckt», sagt der US-Forscher Justin Patchin von der Universität von Wisconsin. Früher führten Jugendliche etwa Telefonate vom gemeinsamen Familienapparat in der Küche, SMS und WhatsApp-Nachrichten dagegen sind für Eltern eben meist uneinsehbar.

Patchin forscht zu digitalem Mobbing, neben Nacktbildern ein weiteres Problem. Doch er warnt davor, die Verantwortung auf die Technik zu schieben: Dieses Schikanieren habe es lange gegeben, «bevor es diese Technologie gab», sagte er kürzlich bei einem Kongress gegen Cybermobbing in Berlin. Er rät Eltern, sich über Technik-Trends zu informieren, um ihren Kindern Rat geben zu können.

Eltern sollten mit Kindern und Jugendlichen über ihren Umgang mit Technologie sprechen, meinen die Experten. Denn die Verbreitung von Pornobildern könne auch rechtliche Folgen haben: «Die machen sich strafbar, wenn sie das anderen Jugendlichen zugänglich machen», warnt klicksafe-Expertin Rack. Sie rät Teenagern dazu, die Selbstdarstellung privat auszutesten – mit dem eigenen Partner, nicht dem Smartphone. (Jessica Binsch, dpa)

Der Brief der Schulleiter (NDR)

Hier gibt es Unterrichtsmaterialien zu Jugendsexualität, Internet und Pornografie

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3 Kommentare
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mehrnachdenken
10 Jahre zuvor

Hier zwei Kommentare (anonymisiert) aus der HAZ, die ich mal kommentarlos zur Diskussion stelle:

„Gab’s schon vor einigen Tagen im TV incl. Kommentaren von Kid’s, man kann nur sagen, denn sie wissen nicht was sie tun. Unsere Jugend verblödet immer mehr und keiner sagt es ihnen. Welch eine Zukunft!“

„Als ich gestern abend vom Hauptbahnhof zum Döhrener Turm mit der U-Bahn wieder zurückgefahren bin, konnte man, irgendwie auch passend zu Halloween, die Horde völlig technikhöriger Kids und über 20-jähriger Kinder mal wieder amüsiert beobachten, die nur noch mit dem Smartphone, dem neuen Götzen (trotz NSA :D) in der Hand rumläuft, kein Blick mehr für anderes.
Meine 80-jährige Nachbarin nennt das immer „krankhaft“, „affig“ und „autistisch“.
Recht hat sie.

Ich habe vor wenigen Tagen zufällig ein Essay von Thomas Mann über Goethe gelesen.
Schon Goethe hat damals in Bezug auf die jungen Leute gesagt, dass der Welt nur mit dem Aussergewöhnlichen gedient ist, und dass es kein Verdienst ist, sich bloss auf dem Niveau auszuruhen, das andere gestiftet haben.
Und das „Ausserordentliche“ kann ich bei der jungen Generation heute nicht mehr erkennen.
Alles stromlinienförmige Technik-Lemminge mit gleichgeschalteten Interessen, abkopierten Frisuren, stil- und phantasielosen Billig-Klamotten-Einheitsbrei, die sich auf der Leistung der vorhergehenden Generation ausruhen und deren Denken von einem völlig entgleisten Anspruchsprofil deformiert ist.“

timo
10 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Beeindruckende, treffsichere Kommentare, wenn auch verallgemeinert. Die Richtung stimmt auf jeden Fall.

Ursula Prasuhn
10 Jahre zuvor

Ich denke auch, dass die Richtung stimmt, und frage mich nach den Ursachen für dieses kollektive Suchtverhalten. Einsamkeit trotz scheinbarer Gemeinsamkeit scheint mir eine Rolle zu spielen.