POTSDAM. Der Experten-Bericht erschüttert. Die Haasenburg-Heime in Brandenburg werden nun geschlossen. Doch es bleibt die Frage: Wohin mit den Jugendlichen aus ganz Deutschland, die sonst niemand haben wollte? Hamburg sucht bereits nach Alternativen.
Nach Misshandlungsvorwürfen und einem erschütternden Experten-Bericht zieht Brandenburgs Jugendministerin Martina Münch (SPD) die Reißleine: Die umstrittenen Kinder- und Jugendheime der Haasenburg GmbH in Brandenburg werden geschlossen. In den kommenden zwei Wochen werde der Entzug der Betriebserlaubnis vorbereitet, sagte Münch. «Pädagogisches Konzept und Realität klaffen weit auseinander», sagte die Ministerin. Durch willkürliche Machtausübung in den Heimen bestehe eine latente Gefährdung des Kindeswohls. Sie sehe keine Alternative zur Schließung, so Münch. Die Haasenburg GmbH will sich juristisch wehren.
In den Heimen mit insgesamt 114 Plätzen – 56 davon geschlossen – haben Jugendämter aus ganz Deutschland schwer erziehbare Kinder und Jugendliche untergebracht. Hamburgs Sozialbehörde sucht jetzt nach Alternativen. «Wir haben das Familieninterventionsteam heute Morgen beauftragt, die alternative Betreuung umzusetzen», sagte Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD).
Die umstrittenen Haasenburg-Heime hatten im Sommer für großen Wirbel gesorgt. Teile der Opposition forderten damals vergeblich, alle Kinder sofort zurückzuholen. Die Hamburger Grünen fragten sich nun, «warum Hamburgs Sozialsenator trotz aller Alarmsignale bis zuletzt an der Haasenburg-Unterbringung festgehalten hat», erklärte die Bürgerschaftsabgeordnete Christiane Blömeke. Auch der familienpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Finn Ole Ritter, kritisierte: «Hamburgs Sozialsenator hat die Missstände viel zu lange geleugnet.»
Die Sozialbehörde dagegen verwies darauf, im Juni 2013 als erstes Bundesland einen Belegungsstopp verfügt zu haben. Mit den Jugendlichen, die blieben, habe es regelmäßigen Kontakt gegeben. Missbrauchsvorwürfen sei umgehend nachgegangen worden und hätten sich in den Fällen der Hamburger Jugendlichen nicht bestätigt.
Derzeit befinden sich laut Scheele noch zwei Minderjährige aus Hamburg in der Einrichtung. Ein Dritter werde aus dem Urlaub bei der Mutter nicht mehr nach Brandenburg zurückkehren und werde vom Kinder- und Jugendnotdienst betreut. Der Bericht der Untersuchungskommission in Brandenburg habe Hamburg erst am Mittwoch erreicht und werde nun ausgewertet. Eine Bewertung wollte die Sozialbehörde deshalb derzeit nicht vornehmen.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt in etwa 70 Verfahren gegen Erzieher und Betreiber. In den teils geschlossenen Heimen sollen Kinder und Jugendliche gedemütigt und misshandelt worden sein. Grundlage von Münchs Entscheidung ist der Bericht einer Untersuchungskommission. Die Experten haben schwere Missstände in den Heimen und erheblichen Reformbedarf festgestellt. Knapp vier Monate werteten sie interne Unterlagen aus, befragten aktuelle und frühere Heimbewohner sowie Mitarbeiter und besuchten die Einrichtungen. «Es herrscht kein freundlicher und wohlwollender Geist», berichtete der Vorsitzende der Kommission, Martin Hoffmann. Die schlimmsten Schilderungen beschrieben «härteste Methoden aus den finstersten Ecken der “schwarzen Pädagogik” der 1950er Jahre».
Derzeit sind laut Ministerium noch 37 Bewohner in den Heimen, nur zwei kämen aus Brandenburg. Gemeinsam mit den Jugendämtern soll nun nach Alternativen gesucht werden. «Wir setzen natürlich die Jugendlichen nicht auf die Straße», betonte Münch.
Laut Expertenkommission blieben die meisten Maßnahmen der Kontrollbehörden wirkungslos. «Es hätte früher und konsequenter gehandelt werden können», sagte der Vorsitzende der Kommission, Martin Hoffmann. Dies gelte für die örtlichen Jugendämter, das Landesjugendamt – und das Ministerium.
Münch kündigte eine Überprüfung der Behörden an. Die Heimaufsicht werde neu aufgestellt und personell verstärkt, wenn das Landesjugendamt – wie schon länger geplant – zum Januar 2014 ins Ministerium integriert werde. «Die deutlichen Hinweise der Kommission zu den Versäumnissen in der Heimaufsicht machen klar, dass eine detaillierte Untersuchung der Vorwürfe notwendig ist», sagte sie. Von Marion van der Kraats und Stephanie Lettgen, dpa
Zum Bericht: «Ich bin ein Bettnässer» – Solinger Heim erinnert an Misshandlungen
Audiatur et altera pars – Man müsste auch die andere Seite hören.