Kleinere Klassen, späterer Unterrichtsbeginn: „Lehrer des Jahres“ startet Initiative zur Schulreform

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BERLIN. Berlins „Lehrer des Jahres“, der unlängst als einer der besten Pädagogen Deutschlands ausgezeichnete Gymnasiallehrer Robert Rauh, nutzt seine frische Popularität für einen Aufruf: Er sucht Unterstützer, um Deutschlands Schulen zu reformieren. Seine Initiative „schulgerecht“ ist jetzt gestartet. Einen ersten Erfolg hat Rauh vorzuweisen: Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) hat ihn zu einem Gespräch eingeladen.

Wurde unlängst mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet: der Berliner Gymnasiallehrer Robert Rauh. Foto: Deutscher Lehrerpreis, Semmer
Wurde unlängst mit dem Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet: der Berliner Gymnasiallehrer Robert Rauh. Foto: Deutscher Lehrerpreis, Semmer

Das deutsche Schulwesen sei keine „Katastrophe“, so schreibt er in einem Vorwort. Die Schüler würden auch nicht „immer dümmer“. Und Lehrer seien keine „faulen Säcke“. „Und dennoch: Das deutsche Schulwesen muss sich verändern! Keine Revolution. Sondern eine realisierbare Reform der Rahmenbedingungen – ohne Tabu. Dabei geht es uns nicht darum, von der Politik ‚nur‘ mehr Geld für Bildung zu verlangen – obwohl das ‚reiche‘ Deutschland bei Bildungsinvestitionen noch immer unter dem OECD-Durchschnitt liegt. Wir fordern konkrete Veränderungen vor Ort. Für eine Verbesserung der Schulqualität! Um unsere Kinder zu unterstützen in der Entwicklung zu kritischen, selbständigen und zivilcouragierten Persönlichkeiten, die nicht nur Wissen ‚wissen‘, sondern entsprechend ihrer Fähigkeiten die Kenntnisse auch anwenden können“, schreibt Rauh.

Er und seine Mitstreiter – Lehrer, Schüler, Referendare, Lehramtsstudenten und Eltern aus verschiedenen Schulformen und Bundesländern – wollten eine Debatte anstoßen. „Uns ist durchaus bewusst, dass nicht alle Punkte auf Zustimmung stoßen werden. Aber unser Aufruf ist auch keine Gesetzesvorlage. Der Forderungskatalog steht zur Diskussion – und kann oder soll auch verändert bzw. erweitert werden. Er richtet sich an alle, die im engen und weiteren Sinne mit Schule zu tun haben, an alle Interessierten und natürlich an die Politiker in Bund und Ländern.“

Zu den Forderungen, die die Initiative stellt, gehören: „Gleiche Anforderungen in allen Bundesländern – wir fordern bundesweit gleiche Schulabschlüsse sowie einheitliche Kerncurricula und Kompetenzstandards“ und „Weniger Inhalte, mehr Kompetenzen – wir fordern eine Reduzierung der Lehrplaninhalte und eine kompetenzorientierte Schulausbildung“. Angesichts einer sich revolutionär verändernden Wissenschaftsgesellschaft müssten alle Lehrplaninhalte auf den Prüfstand – im Hinblick auf ihre zeitgemäße Relevanz. „Das stupide Pauken von Stoffmengen für einen Test bzw. für eine Klausur in bis zu 16 Fächern produziert Stress und ‚Bulimie-Wissen‘“, so heißt es.

Darüber hinaus fordern Rauh und seine Mitstreiter „kleinere Lerngruppen und längere ‚Stunden‘“. Wie im 19. Jahrhundert säßen in der Mittelstufe häufig mehr als 30 Schüler dicht gedrängt in viel zu kleinen Klassenräumen und absolvierten im 45-Minuten-Takt bis zu sieben Fächer am Tag. Eine individuelle Förderung bleibe dabei eine Illusion. „Wir fordern maximal 25 Schüler in einer Klasse und eine längere Unterrichtsstunde.“ Um einen binnendifferenzierten Unterricht zu ermöglichen, sollte die Zeit für eine Unterrichtsstunde von 45 Minuten auf 60 oder 90 Minuten umgestellt werden.

„Um Kindern aus sozial benachteiligten Elternhäusern gleiche Bildungschancen einzuräumen, müssen kostenlose Angebote wie Hausaufgabenbetreuung oder Nachhilfeunterricht in der Schule sowie zusätzlicher Sprachunterricht zur Verfügung stehen. Dazu muss der flächendeckende Ausbau von Ganztagsschulen vorangetrieben werden – mit mehr Personal und einer qualitätsgerechten und bezahlbaren Essensversorgung in Schulkantinen.“ Darüber hinaus sollten sich die Schulen weitgehend selbst verwalten. „Sie sollen demokratisch über die Verwendung ihrer finanziellen und personellen Ressourcen sowie geeignete pädagogische Konzepte entscheiden können“ – bei angemessenen Etats, die eine gute räumliche und mediale Ausstattung ermöglichten.

Das Schulsystem soll den Initiatoren zufolge vereinfacht werden – hin zur Zweigliedrigkeit in allen Bundesländern. „Ein dreigliedriges Schulsystem existiert nur noch in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Alle anderen Bundesländer haben Haupt- , Real- und Gesamtschulen zu einer Schulform (‚Sekundarschulen‘, ‚Regionalschulen‘ oder ‚Oberschulen‘) zusammengefasst. Das erhöht nicht nur die Chancengleichheit, sondern erleichtert auch die immer wieder geforderte Mobilität – beim Umzug von einem Bundesland ins andere.“ Das Gymnasium solle als Schulform erhalten bleiben, allerdings als neunjähriger Bildungsgang.

Außerdem wünschen sich die Reformer einen späteren Schulbeginn: zwischen 8.30 und 10.00 Uhr. Denn: Der „fördert die Lernmotivation und wirkt sich positiv auf das seelische Gleichgewicht der Jugendlichen aus“.

Hier geht es zur Seite der Initiative.

 

 

 

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mehrnachdenken
10 Jahre zuvor

Ich gratuliere dem Kollegen. Allerdings möchte ich auch gerne wissen, was R. Rauh als „besonderen“ Lehrer auszeichnet.
Ich möchte seine Verdienste ja nicht kleinreden, aber wer weiß, von wem diese Preise verliehen werden und wie viel Lehrkräfte sich daran beteiligen, sieht alles etwas relativer.

Schon wieder eine Initiative in Sachen „Bildung“! Zumindest plant er keine „Revolution“ Ach, wie tröstlich!!

realo
10 Jahre zuvor

Kann mir mal jemand erklären, warum es immer wieder heißt „reiches Deutschland“? Hat unser Staat nicht schwindelerregende Billionenschulden und weist die sog. Schuldenuhr nicht täglich weitere Schuldenmillionen aus? Was ist daran reich? Und warum muss ein angeblich reiches Land eine Schuldenbremse einführen?
Manche Falschbehauptungen sind Selbstläufer, die sich allein von häufiger Wiederholung ernähren und nicht von Fakten.
Und warum wird die alte Kamelle wiederholt, dass Deutschlands „Bildungsinvestitionen noch immer unter dem OECD-Durchschnitt“ lägen, wenn doch der OECD-Vertreter Andreas Schleicher in einem Fernseh-Talk selbst eingeräumt hat, dass Deutschland hier inzwischen recht gut dasteht? Auch hier der gewohnte Selbstläufer?

Beate S.
10 Jahre zuvor
Antwortet  realo

Zu Ihrer Frage, warum unser hoch verschuldetes Land immer „reiches Deutschland“ genannt wird:
Heute ist im Fernsehen bei ntv (Video-Text, Tafel 105) die Schlagzeile zu lesen „Deutschlands Schulden sinken“.
Wer weiter liest erfährt dann, dass nicht die Schulden sinken, sondern nur der veranschlagte Betrag für die Aufnahme neuer Schulden. Und auch das ist nur eine hoffnungsvolle Prognose.
Sie haben völlig Recht, „realo“, der deutsche Staatshaushalt steckt in einem Schuldensumpf von über 2 Billionen Euro und wächst ständig weiter. Von einem Sinken der Schulden kann keine Rede sein, geschweige denn von einem „reichen Deutschland“.
Was das für Renten, Pensionen und vor allem die Zukunft der jüngeren Generationen bedeutet, macht sich kaum einer klar. Da genügt nach wie vor die Mär vom reichen Deutschland, um täglich weitere gutmenschliche Forderungen in die Welt zu setzen.
Wir leben in einem Schneeballsystem, in dem Zinszahlungen und soziale Wohltaten nur durch immer neue Staatskredite, Steuererhöhungen und eine schleichende Enteignung der Bürger durch Niedrig- oder Nullzinsen auf Sparguthaben, welche unter der Inflationsrate liegen, möglich sind. Mickrige oder gar keine Zinsen erleichtern zwar die Schuldenaufnahme und Zinszahlungen des Staates, vermindern aber durch die Hintertür den Wert jedes privaten Sparguthabens, auch das zur Altersvorsorge.
Wer da munter immer neues Geld für Wohltaten verlangt, handelt dumm und verantwortungslos, auch wenn ihm die ignorante, ach so edle Umwelt auf die Schulter klopft.
Ich gehöre zur alten Generation und kann nur hoffen, dass ich nicht mehr erlebe, was sich in großen Schritten abzeichnet. Mir müsste es relativ leicht fallen zu sagen „nach mir die Sintflut“. Tut es aber nicht. Berlins „Lehrer des Jahres“ ist Jahrzehnte jünger als ich. Dennoch setzt er bei seinen Reformvorschlägen u. a. auch wieder aufs Geld des angeblich reichen Deutschlands.
Wenn die Jüngeren zwar diffus wissen, dass ihre finanzielle Zukunft nicht rosig aussieht, sich aber Zusammenhänge nicht mehr klar machen und darum blauäugig mitdrehen an den Schuldenschrauben, ist ihnen kaum zu helfen.