„Lebenskunde“ als Wahlfach neben Religion? Jetzt muss wohl Karlsruhe entscheiden

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DÜSSELDORF. Erziehung zu Verantwortung und Toleranz – aber ohne Religion. Der Humanistische Verband will einen solchen Unterricht an den Schulen. Eine Klage zur Einführung des Fachs Lebenskunde zunächst in Nordrhein-Westfalen zog er aber zurück, weil er nicht sagen kann, wie viele Schüler das Fach wählen würden.

Lässt sich das Menschsein ohne Gottesbezug erklären? Detail aus dem Deckenfresko zur Schöpfungsgeschichte in der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo. Foto: Wikipedia Commons
Lässt sich das Menschsein ohne Gottesbezug erklären? Detail aus dem Deckenfresko zur Schöpfungsgeschichte in der Sixtinischen Kapelle von Michelangelo. Foto: Wikipedia Commons

An den Schulen in Nordrhein-Westfalen wird es vorerst kein Unterrichtsfach Humanistische Lebenskunde als Alternative zum Religionsunterricht geben. Der Humanistische Verband NRW zog seine Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Münster auf Einführung eines solchen Fachs zurück. Der Verband, der sich als Interessenvertretung religionsfreier Menschen versteht, konnte keine Angaben zur Zahl seiner Mitglieder und zum Bedarf für einen Lebenskunde-Unterricht machen.

Hintergrund für die Rücknahme der Klage ist eine Vorschrift im NRW-Schulgesetz. Die sieht den Unterricht bei einem ordentlichen Lehrfach erst ab einer Klassenstärke von zwölf Schülern vor. Das Gericht machte in der mündlichen Verhandlung deutlich, dass es für eine Entscheidung belastbare Zahlen brauche. Es müsse die Gewähr für eine dauerhafte Durchführung des Unterrichts bestehen. Die Frage nach der potenziellen Schülerzahl wolle und könne der Verband nicht beantworten, erklärten Verbandsvertreter vor Gericht.

Das Oberverwaltungsgericht misst dem Fall grundsätzliche Bedeutung bei. Der Vorsitzende Richter Bernd Kampmann sprach zu Beginn der mündlichen Verhandlung von einer der spannendsten Verfassungsfragen überhaupt, die durch das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe höchstrichterlich geklärt werden müsste. «Wenn es nur darum ginge, die Frage zu untersuchen, ob Religionsunterricht auch Weltanschauungsunterricht sein kann, würde der Senat mit Sicherheit die Revision zulassen», sagte Kampmann. Dazu seien aber belastbare Zahlen für den Bedarf nötig.

«Und das ist genau unser Problem. Wir können es nicht, weil wir gegen unsere ureigensten Prinzipien verstoßen würden», erklärte der Präsident des Humanistischen Landesverbandes NRW, Jürgen Springfeld, in Münster. Da die Humanisten einen selbstbestimmten Menschen wollten, könnten sie die Eltern nicht fragen, ob ihre Kinder in Zukunft am Humanismus-Unterricht teilnehmen wollen. «Das wäre paradox», sagte Springfeld. Ob dieses Prinzip gebrochen wird, um zu einer juristische Entscheidung zu kommen, soll jetzt auch auf Bundesebene diskutiert werden.

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„Die Zulassung von Humanistischer Lebenskunde in Nordrhein-Westfalen würde ein großer Schritt auf dem Weg der Gleichstellung von nichtreligiösen Menschen sein“, hatte Frieder Otto Wolf, Präsident des Humanistischen Verbandes Deutschland, vor der Verhandlung erklärt. „Der Schritt ist überfällig, nachdem sich in Berlin und Brandenburg deutlich gezeigt hat, dass unser Angebot bei vielen Eltern und Schülern auf Zustimmung trifft. Hier ist Humanistische Lebenskunde neben den bekenntnisorientierten Fächern der Religionsgemeinschaften ein starker Träger der Wertebildung geworden.“

Das Verfahren in Münster ist mit der Rücknahme der Klage aber nicht beendet. Der Verband hält die Berufung gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Düsseldorf aufrecht, weil sonst das Urteil aus der ersten Instanz rechtskräftig geworden wäre. Das Verfahren in Nordrhein-Westfalen läuft bereits seit sechs Jahren, nachdem im Juli 2007 das (seinerzeit CDU-geführte) Schulministerium einen Antrag auf Zulassung abgelehnt hatte. Zur Begründung hieß es damals, dass Religionsunterricht gegenüber weltanschaulichen Alternativfächern durch das Grundgesetz privilegiert sei. Dieser Auffassung schloss sich vier Jahre später auch das Verwaltungsgericht Düsseldorf an – es stehe mit der Entscheidung aber „im eindeutigen Widerspruch zu den Vorschriften des Grundgesetzes“, meint der Humanistische Bund.

Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) begrüßte dagegen die Rücknahme der Klage. «Wir haben in NRW ein breites Unterrichtsangebot, das neben dem Religionsunterricht der verschiedenen Glaubensrichtungen auch praktische Philosophie und Philosophie umfasst», teilte sie in Düsseldorf mit. Rund 144.000 Schüler werden ihren Angaben zufolge im Fach Praktische Philosophie unterrichtet, weitere rund 100.000 Schüler nehmen am Philosophieunterricht teil.

Lehrinhalt für das geforderte Unterrichtsfach ist laut Verbandsangaben der Humanismus mit seinem Bemühen um Humanität und solidarisches Miteinander, Menschenwürde, freie Persönlichkeitsentfaltung und die damit verbundene Gestaltung des Lebens und der Gesellschaft. «Dieses Fach soll aber kein Gegenbekenntnis zur Religion wie Agnostizismus oder Atheismus verkünden», versicherten Verbandsvertreter am Rand der Verhandlung in Münster. dpa

 

 

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Reinhard
10 Jahre zuvor

Was spricht eigentlich gegen „Ethik“, das Fach, das seit Jahrzehnten und völlig weltanschauungsneutral etabliert ist?