Frau Wehs Kolumne: Pädagogische Inkontinenz

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DÜSSELDORF. Witz, Charme und einen tiefen Blick in die Seele einer Grundschullehrerin erlaubt Frau Weh auf ihrem Blog „Kuschelpädagogik“, unter Oje Frau Weh“ auf stern.de und jetzt auch auf news4teachers.de. Frau Weh heißt im wahren Leben nicht Frau Weh, aber ihre Texte sind häufig so realitätsnah, dass sie lieber unter Pseudonym schreibt.

“Wissen Sie, Frau Rützelbach”, ich zwinge mich tief Luft zu holen, “diese Elternbriefe, die ich schreibe, sind tatsächlich nicht nur Kühlschrankdeko! Es wäre ganz sinnvoll, sie auch mal zu lesen!”

Mir platzt gerade die Hutschnur. Seit geraumer Zeit muss ich mich auf dem Flur von einer Mutter ganz besonderer Sorte ankeifen lassen, weil ich nach unendlich vielen erfolglosen Kontaktversuchen und unerhörten Bitten um Rückgabe eines Anmeldezettels nun Ernst mache und ihr Kind nicht mit auf den geplanten Ausflug nehme. Erst habe ich es mit Zuhören und ruhigem Erklären versucht. (Vergeblich.) Dann habe ich um Einsicht gebeten. (Fruchtlos.) Zu guter Letzt habe ich an ihre Verantwortung als Mutter appeliert. (Schwerer Fehler.) Wie ein angepikster Ballon braust Frau Rützelbach los und überhäuft mich seitdem mit Nettigkeiten, für die ich ihren Sohn dem Klassenrat überantworten würde.

Schon merke ich die verräterische Röte aus meinem Ausschnitt kriechen, die verlässlich den Siedepunkt des Blutes, den gesprächstaktisch so gefährlichen Point of no Return anzeigt, da mischt sich eine Kollegin ein: “Frau Weh, du musst mal dringend ans Telefon, das Schulamt.”

Die kleine My ist das digitale Ich von Frau Weh. (Foto: Privat)
Die kleine My ist das digitale Ich von Frau Weh. (Foto: Privat)

Ich blicke irritiert auf, gehe aber nach einem letzten Blick auf die impertinent weiterschimpfende Mutter ins Büro und nehme den Telefonhörer an mich. Nichts. Erregt will ich das Ding wieder auf die Gabel knallen, als ich höre, dass die Kollegin auf dem Flur die zuvor von mir attackierte Mutter zu beruhigen versucht. Unbeirrt hingegen versucht diese weiterhin die Welt über meine Frechheit, Arroganz und Unfähigkeit aufzuklären. Unterdessen betritt die weltbeste Sekretärin mit einem Stapel Kopien den Raum und lupft teilnahmsvoll die Brauen:
“Schokolädchen, Mädchen?”

Ich nicke. Voller Mitgefühl hält sie mir einen Riegel hin. Gemeinsam kauend lauschen wir der Tirade, die in ungebremster Lautstärke und Vehemenz durch den Flur schallt, in der Lehrertoilette gegen die gekachelten Wände knallt und als verzerrtes Echo vermutlich noch im Nebengebäude zu hören ist. Soweit ist es also mit mir gekommen, dass ich mich im Sekretariat vor Eltern verstecke. Ich seufze tief.

Plötzlich halten die Sekretärin und ich im Kauen inne und reißen die Augen auf.

“Hat sie wirklich gerade gesagt, du seist pädagogisch inkontinent?”

Nach einer kurzen Schrecksekunde platzen wir beide heraus. “Wie geil ist das denn!?”, die Sekretärin verschluckt sich und ich muss ihr auf den Rücken klopfen. Lachtränen laufen ihr übers Gesicht und auch ich ringe um Fassung. Wie es draußen weitergeht, kann ich nicht mehr verfolgen, ich lehne mich an den Tresor und lasse mich von Lachen geschüttelt zu Boden sinken. Irgendwann kommt Frau Mandel grinsend ins Büro: “Ich habs geschafft, sie ist weg! Wo ist denn unsere nicht stubenreine Kollegin?”

Ich winke japsend hinterm Schreibtisch hervor und bedanke mich für die Rettung.

“Keine Ursache. Wir didaktischen Frauenleiden müssen doch zusammenhalten!”

„Ansichten über Schule überdenken“ – Grundschullehrerin und Bloggerin Frau Weh im Interview

Frau Wehs Blog „Kuschelpädagogik“

Frau Wehs Familiengeschichten „Oje Frau Weh“ auf stern.de

 

Karikatur: Natascha Welz
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