Vier Jahre lang hat Henri gemeinsam mit seinen Klassenkameraden gelernt und gespielt. Nach der Grundschule möchte der Elfjährige mit Down-Syndrom gern wie seine Freunde aus Walldorf in Baden-Württemberg aufs Gymnasium wechseln. Er könnte dem Unterricht geistig nicht folgen und hätte daher ein anderes Lernziel als das Abitur – es wäre einer der ersten Fälle dieser Art auf einem Südwest-Gymnasium. Die Schule lehnt das bislang ab.
Henris Mutter Kirsten Ehrhardt ist völlig klar, dass ihr Sohn nie Abitur machen könnte. Darum gehe es aber auch gar nicht. «Er soll mit den Kindern zusammenbleiben, die er kennt», fordert sie. «Die Normalität, die wir jetzt vier Jahre lang aufgebaut haben, würde sonst verloren gehen.»
Das Gymnasium fühlt sich an den Pranger gestellt. Seit Jahrzehnten würden hier auch körperlich behinderte Kinder unterrichtet, sagt die Vorsitzende des Elternbeirats, Regina Roll. Allerdings seien diese – anders als Henri – in der Lage, dem Unterricht geistig zu folgen. Die Lehrer könnten dem Jungen momentan nicht gerecht werden. «Sie haben keine sonderpädagogische Ausbildung.» Am Gymnasium herrsche auch ein ganz anderes Tempo als an der Grundschule. Die Förderung, die Henri brauche, könne er hier nicht bekommen, sagt Roll.
Mutter Ehrhardt ist anderer Ansicht – schließlich stehe ihrem Sohn ein Sonderpädagoge zur Seite. Sie sieht ein grundsätzliches Problem: «In den weiterführenden Schulen ist das Thema Inklusion noch gar nicht angekommen.» Die Schulleitung des Gymnasiums in Walldorf bei Heidelberg will sich öffentlich nicht mehr zu dem Fall äußern. Inzwischen versucht die Landesregierung, in dem festgefahrenen Streit zu vermitteln.
Vor fünf Jahren trat die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft. Damit verpflichtete sich Deutschland, die Inklusion an den Schulen umzusetzen. Ziel ist es, Kinder mit Behinderung genauso zu fördern wie Lernschwache, Migranten und Hochbegabte. Da Bildung Ländersache ist, gelingt die Umsetzung je nach Bundesland unterschiedlich gut.
An Henris Grundschule habe der gemeinsame Unterricht bislang gut funktioniert, sagt Schulleiter Werner Sauer. «Ich weiß nicht, ob Henri auf einer Sonderschule so viel gelernt hätte.» Er will keine Schulempfehlung für den Jungen abgeben, betont aber: «Mir wäre daran gelegen, dass es in irgendeiner Form weitergeht, auf einer Regelschule.» Sonst fühle er sich veräppelt, sagt der Schulleiter. «Wir haben da so viel Zeit, Herzblut und Nerven reingesteckt.»
Der Leiter des Karlsruher Max-Planck-Gymnasiums, Uwe Müller, versteht die Vorbehalte des Walldorfer Gymnasiums. An seiner Schule besucht ein Jugendlicher mit Down-Syndrom die sechste Klasse. «Ich bezweifle, dass es gut ist für den betroffenen Schüler.» Die Lehrer seien anfangs optimistisch gewesen, inzwischen aber ernüchtert und frustriert. In der Sonderschule würde der Schüler Dinge lernen, die er fürs Leben wirklich brauche, zum Beispiel kochen, den Busfahrplan lesen oder eine Fahrkarte kaufen, sagt Müller. «Bei uns lernt er Latein und Mathematik, der er nicht folgen kann.» Christine Cornelius/dpa
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Für mich ist die Sachlage klar: Das Gymnasium besuchen in erster Linie die Kinder, die laut Einschätzung der Grundschullehrer(in) das Abitur anstreben können. Wenn sogar die Eltern zugeben, dass ihr Kind das Abitur niemals wird schaffen können, darf die Schulleitung bzw. die Lehrerkonferenz schon um das Kind zu schützen nicht anders entscheiden. Dabei spielt eine eventuelle geistige Behinderung des Kindes keine Rolle.
Wenn man in einer Sache begründet gegen einen Behinderten, Schwulen, Moslem, Juden, Ausländer usw. entscheidet, wird man gleich als behindertenfeindlich, schwulenfeindlich, moslemfeindlich, judenfeindlich, ausländerfeindlich dargestellt. Menschen dürfen wegen mir so schwul, muslimisch oder jüdisch sein wie sie wollen, so lange sie sich in meiner Auffassung normal verhalten. Insbesondere dürfen sie nicht versuchen, mir ihre Einstellung weiterzugeben.
Mich wundert das Bild – das ist doch sicher nicht das Kind, um das es in Walldorf geht??
Hallo Reinhard, nein hier handelt es sich nicht um das Kind, das sollte durch die Bildunterschrift eigentlich deutlich werden. Viele Grüße Nina Braun
Die selbsternannten Weltverbesserer werden immer versuchen, Ihnen ihre Vorstellungen aufzuzwingen. Sie halten ihre mit Moral gespickte “Wahrheit” für die allein richtige. Das erinnert an eine dogmatische Religiosität, die darüber entscheidet, wer im Licht wandelt und wer nicht, wer gut ist und wer böse oder wer zu den Gerechten gehört und wer nicht.
Gegen diesen Glauben nach Vorschrift ist bereits Luther vor Jahrhunderten vorgegangen und war damit menschlicher und moderner als viele derjenigen, die heute wieder auf der Kanzel stehen und mit dogmatischen Lehren das irdische Paradies herbeireden, in dem alle gerecht behandelt, gleich und frei sind.
Komisch nur, dass sich mit fortschreitender Missionierung immer mehr Menschen bevormundet, abgekanzelt und unfrei fühlen.
Wenn man einem Jungen mit geistiger Behinderung erlauben würde, ein Gymnasium zu besuchen, nur damit er nicht von seinen Freunden getrennt wird – wie soll man einem Hauptschüler / Gesamtschüler erklären, dass er nicht auch auf ein Gymnasium darf, obwohl er gerne mit seinen Freuden zusammen bleiben möchte?
Solange in Deutschland das dreigliederige (oder meinetwegen auch inzwischen das zweigliedrige) Schulsystem herrscht, wird es immer wieder diese Probleme geben. Schafft die unterschiedlichen Schulen ab, dann können auch alle Kinder mit ihren Freunden zusammen bleiben. Gingen alle auf eine einzige Schule mit diversen Abschlussmöglichkeiten, hätte sich das Problem von selbst gelöst. Die Frage ist nur, ob alle Deutsche damit einverstanden wären…
Solange es die Gymnasien gibt – und das scheint von der Politik und der Lobby wohl noch lange so zu bleiben – solange haben meinem Verständnis nach auch nur die Kinder etwas dort zu suchen, die dem Unterricht geistig zu folgen in der Lage sind. Für Kinder mit Lernschwierigkeiten gibt es Schulen mit mehr handelndem Lernen…
Und außerdem finde ich es schon überraschend, dass der Junge nur Gymnasiasten als Freunde hat. Hat er nicht auch Hauptschüler oder Gesamtschüler als Freunde, mit denen er zusammen bleiben kann? Ich persönlich hatte in meiner Grundschulzeit zwei enge Freundinnen: Eine von uns ging auf die Hauptschule, eine auf die Realschule und eine aufs Gymnasium. Wir hatten ziemlich gemischte Freundschaften…
Ziel des Gymnasiums ist die allgemeine Hochschulreife. Schüler, über die von vorneherein gesagt wird, sie würden diesen Abschluss mit Sicherheit nicht schaffen sind auf einem Gymnasium fehl am Platz. Nur weil die Freunde auf ein Gymnasium gehen, den Jungen auch auf das Gymnasium schicken zu wollen ist sinnfrei und der falsche Grund. Soll die Versetzung denn dann auch immer für die gesamte Clique garantiert werden ? Soll jeder aus der Clique die allg. Hochschulreife erreichen müssen, das gleiche Studium beginnen, zeitgleich den gleichen Abschluss machen und bei dem gleichen Arbeitnehmer eingestellt werden ?
Wege trennen sich, das erste Mal nach dem Kindergarten, dann nach der Grundschule, nach dem Abitur, nach dem Studium. Wo soll das enden, wenn Eltern aus dem Grund des “Zusammenbleibens” ihren Sohn auf eine vollkommen ungeeignete (wissentlich vollkommen ungeeignete) Schule schicken ?