Die Grenzen der Inklusion: Der Fall Henri wird zum Politikum

44

Ein Kommentar von NINA BRAUN

Die Bildungsjournalistin Nina Braun. Foto: Bildungsjournalisten.de
Die Bildungsjournalistin Nina Braun. Foto: Bildungsjournalisten.de

Der Fall Henri bewegt die Gemüter – auch in den Foren von News4teachers. Leserin „Kira2“ hat recht. Sie kommentiert die Frage, ob ein geistig behinderter Junge aufs Gymnasium darf, weil die Eltern es so wollen: „Solange es keine vollständige Inklusion gibt, (das heißt: Abschaffung von äußerer Differenzierung nach der Grundschulzeit), sehe ich keinen Sinn darin, einem geistig behinderten Kind zu gestatten, auf das Gymnasium zu gehen und einem ‚normal begabten‘ Hauptschüler nicht“, so schreibt sie. „Inklusion heißt ja nicht: Behinderte Kinder zu bevorzugen, sondern ihnen das ‚gleiche Recht auf Bildung‘ zukommen zu lassen. Und das gleiche Recht wie jeder, der auf einem Gymnasium nicht klarkommt, heißt in meinem Verständnis: Eine Schule zu finden, die ihm eher entgegenkommt.“

Tatsächlich: Sollten sich Henris Eltern durchsetzen und ihr Kind (von dem sie selber sagen, dass es das Abitur niemals schaffen wird) aufs Gymnasium schicken dürfen, dann ist dies nichts Geringeres als der Anfang vom Ende des gegliederten Schulsystems. Denn Schulformen für unterschiedlich leistungsstarke Schüler machen keinen Sinn (mehr), wenn in jeder Schulform das komplette Leistungsspektrum zu finden ist. Insofern hat auch die GEW recht, wenn sie die Inklusion – so wie sie Inklusion versteht jedenfalls – als Türöffner für ein einheitliches Gesamtschulsystem in Deutschland ansieht.

Aber muss man die Inklusion wirklich so verstehen? Darf es in Zeiten der Inklusion überhaupt noch Schulen geben, die sich an eine Leistungselite richten? Aus meiner Sicht: ja. Inklusion bedeutet nicht (das steht auch nirgends), sämtliche Hürden zu schleifen, bis auch wirklich jeder hinübergelangt, damit alle immer alles gemeinsam tun können. Inklusion bedeutet, allen die gleichen Chancen auf eine bestmögliche Entwicklung zu geben. Das heißt aber auch: die Leistungsstarken nicht zu bremsen. Im Sport etwa ist es selbstverständlich, dass Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen in getrennten Klassen antreten. Niemand kommt auf die Idee – bislang jedenfalls nicht –, Fußballvereine zu zwingen, Gehbehinderte in ihre Leistungsmannschaften aufzunehmen. Auch im Beruf gibt es Zugangshürden, die in der Sache begründet liegen. Niemand würde einen Menschen mit geistiger Behinderung beispielsweise zum Arzt machen wollen.

Anzeige

Soll ein Kind mit Downsyndrom also nicht aufs Gymnasium gehen dürfen? Doch, natürlich  – wenn die begründete Aussicht besteht, dass es den gymnasialen Anforderungen gerecht werden kann. Das ist im Fall Henri offenbar nicht gegeben. Hier scheint der Streit ums Prinzip wichtiger zu sein als das Wohl des Kindes. Und der Grundgedanke der Inklusion, Menschen mit Behinderten volle Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen, wird ad absurdum geführt. Denn der Junge würde am Gymnasium zweifellos zum Außenseiter.

Baden-Württembergs Kultusminister Stoch ist nicht um die Aufgabe zu beneiden, über die Aufnahme Henris am Gymnasium entscheiden zu müssen. Entscheidet er zum Wohl des Jungen, fallen die Ideologen aus dem eigenen grün-roten Lager über den Sozialdemokraten her. Entscheidet er sich fürs Prinzip, wird er bundesweit Kopfschütteln ernten. Ein Gutes hat die Sache allerdings: Endlich wird in Deutschland einmal breit über das Thema Inklusion und die Folgen diskutiert. Gerade nach den jüngsten Erfahrungen mit G8 darf man gespannt sein, wie sich die Debatte entwickelt. Auch wenn die Politik so tut: Darüber, wie Inklusion in der Praxis später einmal aussehen wird, ist noch lange nicht entschieden.

Zum Bericht: Geistig behindertes Kind aufs Gymnasium? Mutter findet Aufregung übertrieben

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

44 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
klexel
9 Jahre zuvor

Bericht aus der HAZ von 6/2012:
2 Klassenlehrer für die Klasse mit einem Kind mit Downsyndrom
1 Integrationsassistentin
1 Förderschullehrerin für 5 Std. die Woche
Enormer Planungsaufwand für die FachlehrerInnen

Wer kann das leisten und vor allem: Wer kann das in dieser Form landesweit / bundesweit und an allen Schulen finanzieren?

http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Gymnasium-trotz-Down-Syndrom

Kira-2
9 Jahre zuvor
Antwortet  klexel

Toll, dass das an der Schule so gut klappt – und hoffentlich halten die Lehrer ihr Engagement die ganze Zeit über bei.
Aber nichtsdestotrotz bleibt der Widerspruch erhalten, wenn ich einem Kind sagen muss: „Du darfst leider nicht auf das Gymnasium, weil du nicht geisitg behindert bist. Du bist einfach zu gut. Daher darfst du zur Hauptschule gehen – und nicht auf das Gymnasium!“ – Ich halte das für fatal und kontraproduktiv. *seufz*

mehrnachdenken
9 Jahre zuvor
Antwortet  Kira-2

Nee, hoffentlich macht dieser Wahnsinn nicht weiter Schule!!

Wie können Sie dem Beitrag von klexel nur entnehmen, was ich von Ihnen dazu lese?

klexel will doch mit ihrem Beitrag bestimmt nicht „das hohe Lied auf die Inklusion anstimmen“, sondern mit dem Beispiel vielmehr verdeutlichen, welcher personelle und finanzielle Aufwand da für ein einziges Kind notwendig ist. Hinzu kommt noch der enorme Arbeitsaufwand für die Lehrkräfte.
Rechnen Sie die Kosten mal für ganz Niedersachsen hoch.

Ganze fünf Stunden in der Woche wird das Kind aber nur von einer Förderschullehrerin betreut. Also kommt die Fachkraft für eine Stunde am Tag. Auf diese Betreuung kommt es aber m.E. an. Was bringt dieser riesige Aufwand am Ende für das Kind?

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor
Antwortet  Kira-2

@mehrnachdenken hat absolut Recht. Sagen Sie doch einfach offen und ehrlich, dass Sie für die absolute Inklusion sind – auch unter Abschaffung des Gymnasiums. Ihre Bedenken sind rein formaler Art und zeugen von Ihrer Unzufriedenheit darüber, dass nicht längst jedwede Gliederung unserer Schulsyteme beseitigt wurde.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor
Antwortet  klexel

Nein, diese Frage zu stellen, ist nicht unanständig. Genauso wenig ist es unanständig, die Inklusion grundsätzlich in Frage zu stellen und nicht nur die unzureichenden Rahmenbedingungen.
Es fällt aber auf, wie sehr Menschen, die sich skeptisch äußern und dafür gute Gründe vorbringen, fast automatisch eine Verteidigungshaltung einnehmen, so als müssten sie befürchten, schief angesehen zu werden.
Der moralische Druck, unter dem auch andere gesellschaftliche Themen stehen, ist bedenklich. Er sorgt für Meinungsunterdrückung und erlaubt dadurch, dass Pläne realisiert werden, die besser in der Schublade verschwunden wären.

@klexel möchte ich ausdrücklich zustimmen in seinen/ihren Bedenken gegen die Finanzierbarkeit der Inklusion. Bei einzelnen Vorzeigeschulen ist sie noch machbar, doch Gemeinschaftsschulen als Regelschulen sind unbezahlbar – es sei denn, die Rahmenbedingungen würden im Vergleich zu denen am Kurt-Schwitters-Gymnasium in Hannover erheblich verschlechtert.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

@alexander Leider habe ich nicht aufgepasst und meinen vorigen Kommentar an die falsche Adresse geschickt. Er war aber für Sie gedacht.

alexander
9 Jahre zuvor

Glaubt denn tatsächlich irgendjemand, dass der kleine Henri auf einem ganz normalen Gymnasium mit dem ganz normalen Leistungsdruck und Notenstress glücklich werden kann? Und ist es unanständig, die Frage zu stellen, ob Henris Mutter Kirsten Ehrhardt, Vorsitzende einer Elterninitiative, mit ihrer Kampagne ihren Sohn nicht nur publikums- und medienwirksam für ihre Zwecke instrumentalisiert, ohne tatsächlich primär das Wohl ihres Sohnes zum Ziel zu haben?

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  alexander

Klar wird der glücklich, denn er bekommt – da in seinem Fall ja das Verfahren zur Feststellung des somderpädagogischen Förderbedarfs abgeschlossen ist – kein Zeugnis wie seine Klassenkameraden. Soweit geht die Inklusion nämlich nicht. Er bekommt ein umfangreiches Wortzeugnis in dem seine individuelle Entwicklung und seine individuellen Lernfortschriitte beschrieben werden müssen.

Spannend an der Situation ist ja, dass die Ziele des Gymnasiums und die für H. individuell zu definierenden und festzulegenden (Lern-)Ziele soweit auseinander klaffen, dass eine gemeinsame Unterrichtung selbst bei maximaler Binnendifferenzierung überhaupt nicht möglich ist.

Michael B
9 Jahre zuvor

Nehmen wir mal an Henri wird zugelassen, dann müssen allen geistig behinderten die Möglichkeit gegeben werden auch diese Schulform zu besuchen. Weiter im Sinne der Gleichberechtigung haben auch nicht behinderte Haupt- oder Realschüler dann das Recht auf einen Gymnasiumsplatz. Wenn dann in einer solchen Klasse 2/3 der Schüler die Leistungen nicht erbringen können, wie soll denn der Unterricht bzw. das hinarbeiten auf das Schulziel funktionieren? Mal abgesehen vom benötigten Personalaufwand. Inklusion könnte funktionieren wenn eine Schule mehrere Schulformen im gleichen Hause anbietet, aber in verschiedenen Klassen.
Das könnte ich mir vorstellen.

Markus Vöge
9 Jahre zuvor

Es wird wieder nur über Henri geschrieben! Dabei handelt es sich um eine _Gruppenlösung_ mit drei inklusiv beschulten Kindern. Da zwei der Kinder zielgleich, eins zieldifferent unterrichtet werden, kommt vor Ort nur dass Gymnasium als weiterführende Schule in Frage. Nur durch die Gruppenlösung ist auch die umfängliche sonderpädagogische Betreuung möglich. Erforderliche bauliche Maßnahmen wurden auch zugesagt. Alle drei Inklusionskinder profitieren von der Gruppenlösung.

Da ohne den Schulversuch auch die beiden anderen Kinder in getrennte Klassen kommen, hat dies zur Folge, dass sie bei ihren Benachteiligung viel weniger unterstützt werden. Weiter wird viel mehr Verantwortung auf den schon benachteiligten Kindern liegen, um die ihnen zustehende Unterstützung zu erhalten.

Wie an anderer Stelle zu lesen ist, wird Henri an jeder Regelschule zieldifferent unterrichtet werden müssen. Daher ist es erst einmal egal, an welche Regelschule er geht. Da sich in Walldorf sich die Gruppenlösung an der Grundschule ergeben hat, ist die logische Konsequenz, diese an einer weiterführenden Schule fortzuführen. Da zwei der Kinder eine Gymnasialempfehlung erhalten haben, fällt die Wahl auf das örtliche Gymnasium. Es ist ausdrückliche Politik der Landesregierung und des Kultusministers Herrn Stoch, dass Inklusion Aufgabe aller Schulen — auch der Gymnasien — ist. Jetzt wenn es darauf ankommt, muss diesen Aussagen auch Handeln folgen.

Denen, die sich zur Zeit vehement gegen die vorgeschlagene Lösung (Gruppeninklusion, umfängliche sonderpädagogische Betreuung) wehren, sei in Erinnerung gerufen, dass es bisher in Baden-Württemberg keine inklusive Beschulung geistig behinderter Kinder in einer Gruppenlösung an einem Gymnasium gemäß Schulversuchsordnung gab. — Wann, wenn nicht jetzt? Die äußeren Rahmenbedingungen sind hervorragend.

(Wer gegen die in Walldorf vorgeschlagen Lösung den Fall aus Karlsruhe einwenden möchte, sollte sich bitte vorgängig über die jeweiligen Rahmenbedingungen informieren.)

In der Gruppe sind die Kinder in ihrer Andersartigkeit nicht alleine, was prinzipiell für Gruppenlösungen spricht. In Walldorf ergibt sie sich aus den oben genannten Gründen am Gymnasium.

Habt den Mut und wagt den Schritt für ALLE KINDER in der Gruppe!

m. n.
9 Jahre zuvor
Antwortet  Markus Vöge

Sie können die Situation an der Grundschule doch nicht einfach aufs Gymnasium übertragen und dort Synergieeffekte durch zwei körperbehinderte Mitschüler mit Gymnasialempfehlung konstruieren.
Entscheidend ist, dass Henri niemals zum Abitur hingeführt werden kann und im Gegensatz zur Situation in der Grundschule hier krasser Außenseiter ist, was er täglich zu spüren bekommen wird.
Auch wenn er zieldifferent unterrichtet wird, kann dieser Unterricht für ihn qualitativ niemals so gut sein wie eine Fördereinrichtung, die speziell auf Kinder wie ihn zugeschnitten ist. Statt Hilfe erfährt er auf dem Gymnasium nur Notbehelf.
Und Mut braucht es nicht für die Entscheidung, geistig behinderte Kinder aufs Gymnasium zu schicken. Das ist der falsche Appell. Es braucht gründliche Abwägung der Chancen und Risiken für die Kinder.

Inklusionsbefürworter
9 Jahre zuvor
Antwortet  m. n.

In Sonderschulen lernen Kinder mit unterschiedlichsten Behinderungen. Auch dort wird es keinen zielgleichen Unterricht geben können.
Auch geistig Behinderte gehören in unsere Mitte und haben so die größtmögliche Chance zu lernen und zu arbeiten. (Beim Arbeiten geht es nämlich weiter – und auch dort sollte es zu Inklusion kommen!) Denn Kinder lernen eben immer auch noch von Kindern.
Und noch was: Wissen Sie, wie schwer es z.B. ist Kinder mit Autismus zu inkludieren, wie sich da Gymnasien sträuben? Trotz nachgewiesener hoher Intelligenz? Die Kinder sollen ja auch auf Sonderschulen.
Zu den Argumenten der Finanzierung: Wieviel kostet noch mal der Bau von Stuttgart21? Dafür ist Geld da und für die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft nicht? Was sagt uns das?

Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe.

gudrun
9 Jahre zuvor

Vielleicht erweitern Sie mal mit diesem aktuellen Artikel und den Kommentaren dazu Ihren verengten Blickwinkel:

https://www.news4teachers.de/2014/05/mutter-fordert-von-nrw-schulministerin-erhalten-sie-die-foerderschulen/#comment-21879

DMB Dresden
9 Jahre zuvor

@Inklusionsbefürworter: Dass für Behinderteneinrichtungen zu wenig Geld da sei, das ist schlicht falsch. Schauen Sie sich einmal an, wie solche Einrichtungen ausgestattet sind, welchen Betreuungsschlüssel man dort vorfindet und welche Beihilfen für Pflege und Betreuung die Angehörigen erhalten. All dies ist richtig und muss auch so bleiben.
Aber auf Teufel komm raus zusätzliche Gelder in ideologisch motivierte Projekte zu pumpen und sich dabei nicht ansatzweise zu fragen, ob das Nachteile für die Ausbildung und Lernerfolge von Nichtbehinderten erzeugt, ist falsch. Inzwischen ist ja sogar die Frage verboten, ob meinem Kind in der Schule dadurch Nachteile entstehen könnten. Nicht zu reden, dass in ein normales Schulsystem fremde Betreungskonzepte von außen eingepresst werden und die Lehrer nun plötzlich vor Bedingngen gestellt werden, für die sie a) nicht ausgebildet sind und gegen die sie b) Argumentationsverbot von seiten der fundamentalistischen Randgruppen ausgesprochen bekommen.

Knut M.
9 Jahre zuvor
Antwortet  DMB Dresden

Wieder ein prima Kommentar! Sie haben meine uneingeshränkte Zustimmung.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor

@Inklusionsbefürworter
Ja, es ist schwer, Kinder mit ausgeprägtem Autismus zu integrieren. Sie können intelligent sein und haben gehäuft Inselbegabungen, die nicht selten mit einer geistigen Behinderung einhergehen. Es ist allerdings auch bekannt, dass größere Gruppen für sie meist eine Qual sind. Sie brauchen ihre kleine, ruhige, möglichst gleich bleibende Welt und reagieren mit Angst, Panik und Fehlverhalten auf die vielfältigen Reize in einer Schulklasse.
Ihr Kriterium „Intelligenz“ ist mir bei diesen Kindern zu oberflächlich. Mir sind überhaupt die üblichen Begründungen für die Einheitsschule meist zu oberflächlich, undifferenziert und auch lebensfremd. Das ganze Konstrukt „Inklusion“ scheint vornehmlich vom Gedanken „bloß nicht ausgrenzen!“ und dem Schlagwort „Menschenrecht“ zu leben.
Manchmal frage ich mich, ob die Protagonisten wirklich die Kinder im Auge haben oder vor allem das schmückende Prinzip.
Am Schluss Ihres Kommentars bemühen Sie die Gebetsmühle der Inklusionsbefürworter: „Wer will, findet Wege, wer nicht will, findet Gründe.“ Allgemein betrachtet ist an der Redewendung ja vieles dran – aber ebenso an dem Spruch: „Die Menschen, die den richtigen Weg gehen wollen, müssen auch von Irrwegen wissen“. (Aristoteles)

Inklusionsbefürworter
9 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

Manchmal muss man auch einfach mal loslaufen. 🙂

Apropos: Ich beziehe mich auf einen oberen Absatz von Ihnen – Inklusion ist nicht mehr zu hinterfragen. Deutschland hat 2009 die entsprechende Konvention unterschrieben – ob Ihnen das jetzt passt oder nicht. Es geht um fundamentale Menschenrechte. Finde ich irgendwie auch seltsam, dass nicht Betroffene sich hier so vehement äußern und meinen zu wissen, was für andere, die sie nicht kennen, richtig ist oder falsch.

dickebank
9 Jahre zuvor

Widerspruch; die Art und Weise der Umsetzung muss ganz klar hinterfragt werden. Per Ordre de Mufti ist das nämlich nicht zu machen. Warum werden eigentlich Pathologiepfleger nicht auf Intensivstationen eingesetzt oder Veterinärmediziner an den örtlichen Krankenhäusern beschäftigt?

Bernd
9 Jahre zuvor

Aber was besagt die von Deutschland unterzeichnete Behindertenrechtskonvention denn? Das ist doch der Knackpunkt. Nirgends wird darin ausgeführt, was inklusive Beschulung denn bedeutet. Sind Förderschulen für Kinder, deren Eltern sich eine besondere Beschulung wünschen, erlaubt? Steht nix zu drin. Sind besondere Förderklassen an Regelschulen erlaubt? Steht nix zu drin.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor

@Inklusionsbefürworter
„Einfach loslaufen!“ ist die bildungspolitische Devise seit Jahrzehnten. Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, hat die Auswirkungen so beschrieben:
“Die größte Bedrohung unseres Bildungswesens ist eine Politik mit der Abrissbirne. Was gestern noch Gebot der Stunde war, wird morgen munter umstrukturiert, umbenannt und umgestoßen.”
Der nachfolgende Link bzgl. der UN-Konvention wurde hier zwar schon mehrfach angegeben, für Sie sei er aber noch mal genannt.

http://www.elternverein-nrw.de/inklusion/un-konvention-gutachtl-aeusserung%202011-4.pdf

@dickebank
Sie haben absolut Recht, was die UN-Konvention betrifft, „die Art und Weise der Umsetzung muss ganz klar hinterfragt werden.“

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

Der Ausschluss von allgemeiner Bildung und der Besuch einer Förderschule sind ja keine Gegensätze. Die Crux tritt ja erst an andere Stelle zu Tage, wenn alle behinderten Kinder das Recht haben, eine allgemeinbildende Schule zu besuchen, haben sie dann auch einen Anspruch auf ein Abschlusszeignis? Und wenn, auf welches? Die Vollzeitschulpflicht endet nach 10 Schuljahren , was passiert dann mit den vormaligen I-Kindern. Die berufliche Ausbildung ist nicht Teil der allgemeinen Bildung. Bleiben eigentlich nur die gymnasialen Oberstufen oder die Berufsvorbereitungsklassen der Berufkollegs.

Bemängelt am deutschen Förderschulsystem wurde doch lediglich, dass so viele SuS die Förderschulen ohne einen Schulabschluss verlassen. Ändert sich das jetz, wenn die behinderten Kinder Regelschulen besuchen aber zieldifferent unterrichtet werden müssen.

Warum soll ein I-Kindnach 10 Schuljahren zumindest den Hauptschulabschluss nach klasse 9 erhalten, wenn Regelkinder mit gleichen leistungen keinen formalen Schulabschluss zugesprochen bekommen. Gleiches im Ungleichen, um eine Ungleichbehandlung einer Minderheit a priori auszuschließen?

DMB Dresden
9 Jahre zuvor

@Inklusionsbefürworter:
Sie schreiben kritisch gegenüber den Inklusionsskeptikern: „Es geht um fundamentale Menschenrechte. Finde ich irgendwie auch seltsam, dass nicht Betroffene sich hier so vehement äußern und meinen zu wissen, was für andere, die sie nicht kennen, richtig ist oder falsch.“
Diesen Satz könnte man Ihnen und anderen Befürwortern genauso entgegen halten. Was ist mit den Rechten und schulischen Entwicklungsbedingungen der nichtbehinderten? Warum maßen sie sich an zu wissen, was für jene das Beste sei? Warum werden deren einwände bzw. die ihrer Eltern nciht gehört und teilweise inzwischen sogar diffamiert?
Teilweise scheint mir bei manchen der normale Maßstab für die Sachlage völlig abhanden gekommen zu sein.

geli
9 Jahre zuvor
Antwortet  Ursula Prasuhn

Vielen Dank und uneingeschräkte Zustimmung. Ich habe es selbst ein paar Mal erlebt, dass ich durch meine Bedenken gegen die Inklusion und gegen die Auflösung der Förderschulen ganz schön abgebürstet wurde mit genau den beiden Parolen, die Sie nennen. Da fühlt man sich klein, hilflos und der Unmoral angeklagt. Zwei löchrige Thesen ergeben zusammen doch einen wirkungsvollen Maulkorb.
Ich verstehe nicht, warum sich so viele Menschen für die Inklusion instrumentalisieren lassen und noch stolz darauf sind.

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  geli

Die allgemeine Antwort auf diese Fragen lautet „Nachteilsausgleich.

Wir werden vermutlich in Hinblick auf die Regelungen zum individuellen Nachteilsausgleich demnächst für I-Kinder folgendermaßen verfahren, jeder der seinen Namen auf die Prüfungsblätter zur ZP10 fehlerfrei schreiben kann, wird für diese teilnahme an der Prüfung die Note „ausreichend“ bekommen.

Wer die Regelungen für den HA9 kennt (AO-SI), weiß, das praktisch alle Notenbilder zum Abschluss führen – außer Deutsch und Mathe sind beide „mangelhaft“.
Ein weiteres Hauptfach (Technik, Hauswirtschaft, Physik, Chemie, Biologie) darf ebenfalls „mangelhaft“ sein, Englisch ist „Nebenfach“. Bei den Nebenfächern darf ebenfalls noch ein mangelhafte bzw. eine ungenügende Leistung hinzukommen.

Mit solchen Leistungen wird der Absolvent vermutlich keinen Ausbildungsplatz bekommen, aber er darf ins Berufsvorbereitungsjahr – sofern er kein Inklusionsschüler ist.

geli
9 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Danke für Ihre Antwort. Gefühlsmäßig hatte ich bisher den Eindruck, dass diese Leute sich furchtbar edel und gut vorkommen mit ihrem schmalspurigen und eintönigen Humanitätsgefasel, das mehr ihrem Selbstwertgefühl dient als denjenigen, für die sie sich einsetzen. Mit den Wölfen zu heulen, bringt eben mehr als gegen den bildungspolitisch korrekten Strom zu schwimmen.
Die Mehrzahl der Inklusions- bzw. Einheitsschulvertreter sind wahrscheinlich nur Lemminge, die den edlen Parolen der Führenden hinterherlaufen. Auf die geistigen Anführer trifft allerdings das zu, was Sie zum Nachteilsausgleich sagen. Sie wollen Gleichmacherei auf niedrigstem Niveau, ohne dies jedoch offen zu sagen. Das wäre dem Heer der nützlichen Mitläufer abträglich.
Ich finde es gut, dass Sie immer wieder auf Hintergründe aufmerksam machen. Sie erleichtern das Durchschauen dessen, was sich in der Bildungspolitik scheinbar gegen jeden gesunden Menschenverstand tut.

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  geli

Nun, Verfechter der Einheitsschule bin ich auch. Würde ich sonst an einer IGS unterrichten? Nur wenn ich eine „Einheitschule“ will, dann doch bitte wie in Australien. Es gehen wirklich alle Kinder in ein und das selbe Schulgebäude. Nur dann gibt es z.B. in Mathematik ggf. fünf Kurse auf unterschiedlichen Kompetenzniveaus neben einander. Das kann ein Kurs für Förderschüler sein, auch wenn es nur 2 oder 3 sind. Und das kann am anderen Ende auch ein voruniversitärer Kurs (einem LK vergleichbar) sein, für 1 oder 2 Schüler, und dem rest dazwischen. Glauben Sie nicht? gibt es, Austauschschüler haben das erlebt und nach ihrer Rückkehr davon berichtet. Gut einen Haken hat die sache, die Kosten je Schüler sind deutlich höher als in Deutschland. Und das liegt nicht an den höheren Transportkosten in diesem weit besiedelten lLnd.

Peter walcz
9 Jahre zuvor

Liebe Kommentatoren ich Habe mir das jetzt durchgelesen und macht nur sagen, das, egal.alles ob sie Inklusion oder Integration, wie davor oder sich irgendjemand noch was neues aus dent – wenn nicht wir als Menschen unsere Here öfters und Mensche, die Anders sind in unseren Mitte lassen, wenn wir sie nicht voll als Teil unserer Gesellschaft und als Chance für uns zu lernen sehen, wenn wir das nicht von Klein auf unseren „normalen“ kindern and Herz legen bzw. beibringen, so lange wird egal.alles was nicht funktionieren. Erst wenn wir Andersartigkeit annehmen, one Furcht und auf Augenhöhe ist alles möglich. In meinen Augenhöhe ist diese Inklusions Agenda wieder nur eine Makulatur und Augenwischerei aktion, die leider keinen wirklich Zukunft hat. Zu dem Fall an sich kann und will ich mich nicht äußern. Jeder und Jede sollten einfach für sich seine Motive und Ansichten auf den Prüfstand stellen. Es geht name ich am Ende doch immer nur darum, wie Wende ich das in meiner Leben an. Danke und ein schöne Wochenende.

alexander
9 Jahre zuvor
Antwortet  Peter walcz

… cooler text ;o) ….

geli
9 Jahre zuvor

@dickebank
Die australische Gemeinschaftsschule ist für mich ein weitaus mehr gegliedertes Schulsystem als wir es bei uns kennen und bsher kannten, allerdings unter einem Dach. Ich heiße es sofort willkommen. Hinter ihm steckt der Gedanke, dass Kinder verschiedene Förderung in unterschiedlichsten Gruppen brauchen. Außerdem spielt der Leistungsgedanke noch eine Rolle, der bei uns eher verpönt ist.
Sie wissen aber ebenso gut wie ich, dass Einheits- bzw. Gemeinschaftsschulen hierzulande etwas ganz anderes bedeuten. Sie sind im Gegensatz zum australischen System ein finanzielles Sparmodell., das sich gut verkauft unter frommen Parolen von Recht, sozialer Gerechtigkeit, Nicht-Ausgrenzung und gleicher Chance.
Oder habe ich da etwas missverstanden?

dickebank
9 Jahre zuvor

Nein, das derzeitige Modell der äußeren Differenzierung in den Hauptfächern ist eine riesiige Ressourcenvergeudung. Das Einsparpotential kann erfolgversprechend ausgebaut werden, indem E- und G-Ebene binnendifferenziert unterrichtet werden. Wenn jemand Bildungsarmut mit „arm an Bildung“ übersetzt, dann ist dem nicht mehr zu helfen. Beati sunt pauperes in spiritu – Glücklich ist, wer die Bildung arm macht.

Bildung ist ein hohes Gut, sie muss vor dem Volke geschützt werden. Wenn Wissenschaftsbereiche sich mit Bildungsökonomie befassen, dann ist etwas faul im Staate Dänemark.

Bildung ist unser Kapital. Begrenztes Kapital muss gezielt investiert werden, nur so entstehen Leuchtturm-Projekte und Exellenz-Cluster. Wohlgemerkt – im Land der tief stehenden Sonne werfen selbst (bildungs-)Zwerge lange Schatten.

Kira-2
9 Jahre zuvor

Das Problem bei der ganzen Inklusions-Debatte (und allen anderen „Schulverbesserungen“) ist ja, dass funktionierende Schulsysteme aus anderen Löndern nur zum Teil in unser bestehendes integriert werden sollen – ohne dass sich grundlegend etwas an unserem Schulsystem ändern darf. „In anderen Ländern funktioniert das doch auch!“, heißt es dann immer. Ja, andere Länder haben auch ganz andere Voraussetzungen, andere Länder haben ein ganz anderes Schulsystem und vor allem: andere Ländar haben eine ganz andere Schulphilopsophie!

Es kommt immer wieder vor, dass bewährte Maßnahmen aus anderen Ländern unserem Schulsystem übergestülpt werden – die zum einen nichts kosten dürfen – und zum anderen mit dem bisherigen Schulsystem nicht kompatibel sind, um einen Begriff aus der Computersprache zu verwenden.

Insofern muss alles scheitern, was nur mit halbem Herzen eingeführt wird. Entweder findet eine vollkommene Überarbeitung unseres bestehenden Schulsystems statt – oder jegliche Neueinführung wird früher oder später in eine Katastrophe führen…

stillmann
9 Jahre zuvor
Antwortet  Kira-2

„vollkommene Überarbeitung“ geschieht doch seit Jahrzehnten. Dieses ständige Umkrempeln hat unsere Schulen erst so richtig in Schieflage gebracht und die Schülerleistungen auf Talfahrt.
Was bedeutet überhaupt „Überarbeitung“? Man kann auch etwas zum noch Schlechteren hin überarbeiten, wenn die Sache wieder nur mit frömmelnden statt realistischen und erfahrungsorientierten Vorstellungen angegangen wird.
Sie wollen, soweit ich Ihre Kommentare verfolgt habe, eine konsequente Einheitsschule, die auch das traditionelle Gymnasium abschafft. Wenn das die „vollkommene Überarbeitung“ ist, dann kommt mir das Grausen.

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  stillmann

Das liegt am Kulturkampf vergangener Jahrzehnte. Die Verhinderung der Koop-Schule – heute von CDU-Anhängern gerne als Gemeinschaftsschule propagiert und als gegenmodell zur Sekundarschule verkauft – wäre bereits in den Siebzigern das probate Mittel gewesen, die Schulstruktur komplett umzukrempeln.

Um auf dem platten land ein umfassendes schulisches Angebot bei sinkenden Schülerzahlen aufrecht zu erhalten, bleibt gar nichts anderes übrig, als verschiedene Schulformen unter einem Dach unter zu bringen. Das Inhalte revidiert und angepasst werden müssen, ist u.a. darauf zurück zu führen, dass in den schulpflichtigen jahrgängen der Anteil der „Kinder mit einem Zuwanderungshintergrund“ bei in etwa 42% liegt. Verringertes Sprachverständnis senkt die Unterrichtsgeschwindigkeit.

Kira-2
9 Jahre zuvor
Antwortet  stillmann

Es geschieht keineswegs eine „Vollkommene Überarbeitung“, sondern immer nur die stückweise Übernahme von anderen Schulsystemen. Es ist nie was Halbes und was Ganzes – es ist immer nur etwas Neues zum Nulltarif. Daher das ganze Desaster.

Und was ich will oder nicht will habe ich hier noch nie zum Ausdruck gebracht – soweit zu Ihren (und anderer Leute) Unterstellungen.
Ich sage nur immer wieder (auch wenn ich mich dabei wiederhole): Wenn Inklusion (Übersetzung: „das Miteinbezogensein; gleichberechtigte Teilhabe an etwas“) wirklich so gemeint ist, wie es das Wort erklärt, wäre die letzte Konsequenz die Abschaffung des differenzierten Schulsystems – denn spätestens beim Ausschluss der Real- und Hauptschüler vom Gymnasium hat man die Inklusion schon wieder durchkreuzt.

Mehr habe ich dazu bisher nicht gesagt – und Sie, lieber stillmann (und die anderen Damen und Herren, die in meinen Artikeln nur das lesen, was sie lesen wollen) können mir da nicht widersprechen, dass „Inklusion“ sich nicht allein auf Förderschüler/innen beziehen darf, sondern ALLE Menschen mit einbeziehen muss. Sonst wird es irgendwann rechtliche Schwierigkeiten geben.
Das hat nichts mit meinem WILLEN zu tun – sondern nur mit einer LOGISCHEN KONSEQUENZ aus den Vorgaben – oder sind Sie da anderer Meinung und (um Ihnen auch einmal ungerechtfertigter Weise etwas zu unterstellen) würden den Förderschülern eine Sonderstellung geben und allen normalbegabten Hauptschülern vor den Kopf werfen: „Du kannst leider zu gut selbstständig lernen, daher darfst du das Gymnasium nicht besuchen.“

(Manchmal habe ich das Gefühl, dass einige Herrschaften nur einen Teil von dem lesen, was geschrieben wird, damit sie eine Angriffsfläche für Streit finden können… Das ärgert mich immer wieder…)

stillmann
9 Jahre zuvor
Antwortet  Kira-2

Tut mir leid, wenn ich Ihnen etwas unterstellt habe. Das war gewiss nicht meine Absicht, ich sehe aber ein, dass Sie mich so verstehen mussten.
Ich will Ihnen begründen, wie ich zu meiner Meinung kam: Sie haben immer auf die fehlende rechtliche Grundlage für Henris Gymnasiumsbesuch hingewiesen und sinngemäß gesagt, dass entweder alle (also auch Hauptschüler) dieselben Rechte wie Henri bekommen müssten oder keiner, also auch Henri nicht, weil das sonst ungerecht wäre.
Bis hierhin habe ich Sie verstanden und Ihnen voll zugestimmt.
Als Sie jetzt aber eine vollkommene Überarbeitung unseres bestehenden Schulsystems forderten, kam ich zwangsläufig zu dem Schluss: Kira-2 will also, die konsequente Einheitsschule, zu der alle Zugang haben und die auch das Gymnysium einschließt und damit im Grunde genommen abschafft. Alles andere wäre ja keine vollkommene Überarbeitung, sondern nur ein klareres und strikteres Regelwerk (für unser bestehendes Schulsystem), das nicht mehr dem einen gestattet, was es dem anderen verwehrt.
Ich hoffe, ich konnte meine Logik bzw. Schlussfolgerung verständlich machen.

Kira-2
9 Jahre zuvor
Antwortet  stillmann

Mein Hinweis auf die „vollkommene Überarbeitung“ der Schulsysteme hat mit der Inklusion an sich nicht direkt was zu tun – sondern mit allen „Verschlimmbesserungen“, die in den letzten Jahren so gemacht wurden. Es wurde alles mögliche „erneuert“, was dann in eine Katastrophe führte und was dann ganz schnell wieder abgeschafft wurde – ob es die jahrgangsübergreifenden Eingangsklassen waren, bei denen plötzlich ein Lehrer zwei vollkommen unterschiedlich weite Schülergruppen gleichzeitig unterrichten musste (mag in anderen Schulen möglich sein, weil die Struktur eine andere ist – in vielen Schulen war die plötzliche Einführung der jahrgangsgemischten Klassen aber nur eine Überstülpung eines Systems, das ohne Abänderung anderer Strukturen nicht klappte) , ob es das G8 war (bei dem ja inzwischen auch viele Schulen zurückrudern, weil der Lernstoff der verkürzten Schulzeit nicht angeglichen wurde), ob es die Einschulung immer jüngerer Kinder betraf („weil in anderen Ländern auch schon 5jährige zur Schule gehen“ – aber bei uns das Lernpensum nicht abgeändert wurde)… alles das wurde/wird zurückgefahren, weil es im Desaster endet/e. Das meinte ich mit Überstülpen von „neuen Verfahren“ ohne grundlegende Änderung der Gesamtsituation.

Wenn ich solche Änderungen einführe, dann muss ich auch alles andere einführen – dann muss ich zusehen, dass der Lernstoff angeglichen wird, dann muss ich zusehen, dass die äußeren Rahmenbedinungen stimmen (teilweise Teamteaching – in diesem Fall auch notwendig bei der Inklusion), dann muss ich die Lernformen ändern und Zeit und Platz für Spiel- und Erholungsphasen zur Verfügung stellen…

Aber wie gesagt: Alle Neuerungen werden zwar von der Politik durchgeboxt, aber nicht, ohne darauf zu verweisen, dass die positiven Errungenschaften unseres Schulsystems bitte so bleiben müssen (Lernstofffülle, Leistungsorientierung am besten mit 100% Abiturienten…) Dass die meisten 5jährigen Kinder aber noch gar nicht so weit sind, dass sie 45 Minuten lang auf ihrem Stuhl hocken und dem Unterricht folgen können – dass sie noch viele Spielphasen benötigen, wird dabei nicht berücksichtigt. Dass die Jugendlichen neben der Schule auch noch Zeit haben müssen, eigene Interessen auszubilden, Hobbies nachzugehen, um vielleicht mal herauszufinden, was ihnen besonders liegt, um später dahingehend einen Beruf zu ergreifen, scheint für Politiker eher unwichtig zu sein… DAS meinte ich mit vollständiger Überarbeitung des Schulsystems – und eben nicht nur das stückchenweise Übernehmen einzelner Komponenten.

Es hatte nicht wirklich was mit dem Umbau des differenzierten Schulsystems zu tun – dies bezog sich lediglich auf die KONSEQUENTE UMSETZUNG des Inklusionsgedankens.

Es gibt zu viele Widersprüche in den Zielsetzungen der Schule:
– Die Lehrer sollen die Kinder da abholen, wo sie stehen und individuell fördern. Aber am Ende der 2. und der 4. Klasse müssen alle Kinder die gleichen Kompetenzen gewonnen haben.
– Die Lehrer sollen möglichst viele Kinder gymnsiumstauglich machen, aber kein darf Kind sitzenbleiben oder negative Leistungen erfahren.
– Jedes Kind soll seine eigene Leistung erbringen, so gut es das kann – unabhängig von der Durchschnittsleistung der Klasse – aber landesweit werden zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr Vergleichsarbeiten geschrieben, damit die Schulen in ihren Leistungen verglichen werden können.

Wo bitte da ist ein einheitliches Schuldenken vorhanden? Das eine passt mit dem anderen nicht zusammen! Wenn das Kind in seinem eigenen Tempo den Schulstoff erlernen soll, so gut es das eben kann, gibt es nur zwei Wege (in meinen Augen – vielleicht übersehe ich da aber auch etwas):
– entweder das Kind erhält die Zeit, die es benötigt, den Stoff zu erlenrnen, einschließlich sitzenbleiben und wiederholen der Jahrgänge,
– oder ich schaffe die Noten und das Sitzenbleiben ab, damit kein Zwang da ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt, bestimmte Leistungen erbracht zu haben.
Einen Mittelweg sehe ich da nicht.
Und wenn ein Kind tatsächlich vor negativen Erfahrungen geschützt werden muss (was ich nicht so ohne weiteres gutheiße, denn wie soll ein Kind im späteren Leben mit negativen Erfahrungen umgehen, wenn es nicht schon in seiner Kindheit gelernt hat, wie man damit umgehen kann), dann kann ich auch kein Kind mehr von irgendwelchen Schulen ausschließen – was wieder zur Einheitsschule führt – denn dann hätte es doch wieder eine negative Erfahrung gemacht. (Ist nicht mein Wunsch!)

Insofern: Eine vollständige Überarbeitung des Schulsystems als solches wäre mal angebracht, indem die diversen Widersprüche zugunsten eines einheitlichen Ziels abgeschafft würden – egal, in welche Richtung das gehen würde – Hautsache erreichbar!

dickebank
9 Jahre zuvor
Antwortet  Kira-2

Es geht nicht allein um das Schulsystem, der Bereich der Kitas (frühkindliche Bildung) ist da mit einzubeziehen. Warum ist das G8 im Osten erfolgreich? Weil eben die Kleinkinder spätestens ab dem dritten Lebensjahr ganz anders sozialisiert werden. Das, was dort vor der Schule gelernt wird – Motorik, Sozialverhalten etc. – , muss bei uns im Westen dann mühselig in der Schuleingangsphase erlernt werden. Dieser Vorsprung zahlt sich hinterher wieder aus, und der Osten kommt mit einer zwei-jährigen Oberstufe aus. Nur der Westen müsste erst einmal eine 70% Kita-Quote hinbekommen. Das Zwei-Säulen-Schulmodell (Mittelschule neben dem Gymnasium) bekommen wir so oder so, für ein dreigliedriges System fehlen nämlich ganz einfach die Kinder.

Beate S.
9 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

„der Westen müsste erst einmal eine 70% Kita-Quote hinbekommen“. Ich hoffe inständig, Sie meinen tatsächlich nur die Kindergarten- und nicht die Krippenquote! Krippenkinder sind zu bedauern und eine Schande für jede Gesellschaft. Bei der sog. „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ werden Babys und Kleinstkinder behandelt wie Möbelstücke, denen es egal ist, wo sie sich befinden, wer sie anlächelt, füttert oder windelt. Hier auch noch von „Bildung“ zu reden, wie Politiker das gern tun, ist für mich die schlimmste aller Bildungslügen.
Die Allerkleinsten brauchen zunächst Nestwärme. Und lernen tun sie vor allem durch intensive persönliche Zuwendung und Liebe. Wichtig ist noch, dass die Kontaktperson Nr. 1 möglichst wenig wechselt. Psychologen drücken das so aus: Bei Kindern unter 3 Jahren ist Bildung vor allem Bindung. Hier werden entscheidende Grundlagen gelegt für die Bindungsfähigkeit und seelische Gesundheit eines ganzen Lebens.

Stefan B.
9 Jahre zuvor

@klexel
Zu dem hannoverschen Gymnasium habe ich folgenden Kommentar gelesen, der Sie vielleicht interessiert:

„Im Deutschlandradio geht es um Inklusion, also die „Teilhabe“ behinderter Kinder am Regelunterricht. Wie ich höre, sorgt ein Fall aus Walldorf für große Empörung: Dort hätten Eltern auf der Aufnahme ihres geistig behinderten Sohns ins Gymnasium bestanden. Nicht von diesem Beharren rührte die öffentliche Aufregung: sondern daher, dass die Schule sich weigerte, den Jungen aufzunehmen. Der Moderator spricht mit dem Leiter eines Gymnasiums in Hannover, das auch geistig behinderte Schüler beschult. Das Gespräch dauert länger als nötig, weil es dem Rektor wichtig ist, stets die weibliche Form mitzunennen (geschätzt zwanzigmal artig „Schüler und Schülerinnen“, dabei ist rasch klar, dass es um Mädels und Jungs geht) und weil der Moderator nicht von „gesunden Kindern“ sondern von „gesunden Kindern in Anführungszeichen“ spricht. Also, die gymnasialen Inklusionsklassen haben je drei oder vier in Anführungszeichen geistig behinderte Schüler. Die werden von je einem Förderlehrer unterstützt. Es unterrichten also bis zu fünf Lehrer gleichzeitig in einem Klassenraum.
Rektor Bassmann:
Es werden Unterrichtsgegenstände, Aufgaben in anderer Art und Weise gestellt an die Inklusionsschüler. Platt gesagt: Sie werden heruntergebrochen auf ein anderes Niveau. Aber auch dieses Herunterbrechen klappt in manchen Fällen nicht, weil ja die Substanz gymnasialen Angebots auch berührt wird.
Dreimal darf man raten, ob diese Unterrichtsart den Lernerfolg der in Anführungszeichen gesunden Kinder beeinträchtigt? Nein! Im Gegenteil: Die Inklusionsklassen sind natürlich besser als die anderen! Sie haben besser gelernt, sich zu konzentrieren. Man könnte sagen: Alle Klassen mit ausschließlich in Anführungszeichen gesunden Kindern sind ein bisschen defizitär.
Der Schulleiter kennt die Antwort, warum das mit den geistig in Anführungszeichen behinderten Kindern auf dem Gymnasium so gut klappt: Es kommt daher, dass man auf diesem niedersächsischen Gymnasium auf Menschenrechtsbildung und Menschenrechtserziehung ganz besonderen Wert legt. Inklusion muss man auch unter einem menschenrechtsorientierten Ansatz betrachten.
Ich würde hingegen sagen: Jeder Individualtraum geht in Erfüllung, wenn a) extreme Sonderbedingungen (hier: Schüler/Lehrer im 1:1-Verhältnis, b) eine moralisch als hochstehend empfundene Einstellung (die zugleich alle anderen Einstellungen als unzeitgemäß und menschenfeindlich brandmarkt) und c) ein übergroßer Haufen (Steuer) Geld zur Verfügung steht.

DMB Dresden
9 Jahre zuvor

Generell tut man ja gut daran, zu einem Problem Fachleute und Betroffene zu befragen. Und da sieht es beim Thema Inklusion so aus, dass die heilpädagogischen Fachkräfte eine pauschale Eingliederung von geistig Behinderten in Regelschulen sehr kritisch sehen bzw. für unsinnig halten. Betroffene Eltern wollen das mehrheitlich ebenfalls nicht, wenn man einmal von Einzelfällen wie der um ihre eigene Aufmerksamkeit bemühten Journalistin absieht. Und schließlich zeigen die dazu geführten Debatten, dass auch in der Gesellschaft allgemein eine breite Ablehnung gegen die pauschale Zwangsinklusion „von oben“ besteht.
Verbleibt die Frage, weshalb sich einzelne Vetreter von ideologischen Randgruppen derartig in den Vordergrund spielen, um ihre individuellen Experimentierwünsche zu bewerben. Ich halte es für offensichtlich, dass hier aus einem Motivgeflecht von Geltungsdrang und egoistischer Rechthaberei bewährte gesellschaftliche Konzepte zerschlagen werden sollen und im gleichen Zuge fachwissenschaftlich unbegründete Luftschlösser gefordert werden.
Wiederholt fällt mir auf, dass bei den Befürwortern ein markantes Leitthema deren Bestrebungen durchzieht: Die Verdrängung und die Abwehr der Tatsache, dass es Unterschiede zwischen Menschen gibt im Hinblick auf ihre Veranlagungen, Ressourcen und Neigungen und damit im Hinblick auf ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Auch wenn einige das nicht gerne hören, weil es nicht der Tonfall der allgemeinen Kuschelillusion ist; aber es ist immer ein Fehler, Tatsachen zu ignorieren.

mehrnachdenken
9 Jahre zuvor
Antwortet  DMB Dresden

Sie haben vollkommen Recht!!

Aber was posaunt der selbsternannte Schulexperte G. Hüther in die Welt hinaus: „Alles Kinder sind hochbegabt!“

Bestimmt gibt es genug Menschen, die diesen Unsinn auch noch glauben.

PseudoPolitiker
9 Jahre zuvor
Antwortet  DMB Dresden

Gut geschrieben. Da kann ich Ihnen nur zustimmen.
Leider ist es der Gender-Politik bereits gut gelungen, ihr verdrehtes Verständnis von Gerechtigkeit und Gleichheit in den Köpfen vieler Menschen zu veranken und damit die Inklusion und anderes mehr zu unantastbaren heiligen Kühen zu machen.
Sie schreiben: „Verbleibt die Frage, weshalb sich einzelne Vetreter von ideologischen Randgruppen derartig in den Vordergrund spielen, um ihre individuellen Experimentierwünsche zu bewerben.“ Ich sehe den Fehler nicht so sehr bei den Randgruppen, sondern beim Interesse des politischen Zeitgeistes, diese Randgruppen in den Fokus zu rücken und damit zu stärken. So können gemeinsame Ziele vertrauenswürdig und durchsetzungsfähig gemacht werden.
In einem Land, in dem es noch Wahlen gibt und korrekt berechnete Wählerstimmen, zählt eben die Meinungshoheit oder noch besser das moralische Meinungsdiktat, zu dem sich viele bemüßigt fühlen, ja zu sagen.

ketzer
9 Jahre zuvor
Antwortet  PseudoPolitiker

Ich stimme den Vorrednern zu und möchte noch eins anfügen: Die offenen oder versteckten Kämpfer für die Inklusion verlegen sich zunehmend darauf, von dem hirnverbrannten, nur auf scheinheiliger Moral aufgebauten Grundgedanken der Eingliederung geistig Behinderter in Regelschulen, abzulenken und die Diskussion auf bessere Rahmenbedingungen oder formale Unstimmigkeiten zu verlagern. So wird das Eigentliche zur Nebensache, nämlich die Inklusion an sich. Die Taktik „Brot und Spiele“ lässt grüßen.

DMB Dresden
9 Jahre zuvor

@PseudoPolitiker: Sie schreiben „Leider ist es der Gender-Politik bereits gut gelungen, ihr verdrehtes Verständnis von Gerechtigkeit und Gleichheit in den Köpfen vieler Menschen zu veranken und damit die Inklusion und anderes mehr zu unantastbaren heiligen Kühen zu machen.“
Richtig! Und das besonders Problematische daran ist, dass diejenigen Menschen, in deren Köpfen sich dieser Fetisch festgesetzt hat, in Politik und unverschiedene Institutionen vorgedrungen sind, wo sie seit langen unrealistische Visionen verfolgen, die mir vorkommen wie Weltverbesserungsphantasien aus linksgrünen Wohngemeinschaften der 60er Jahre. Heute wirkt das alles bereits wie Kulturterrorismus. Man muss sich nur den Wahnsinn der Gender-Sprache anschauen.
Die Lebensgferne solcher ideologisch begründeten Konzepte wird von ihren Befürwortern ja noch als Beleg gesehen, dass sie ihrer Zeit voraus seien. Damit zeigt sich eine typische Bevormundungshaltung gegenüber der demokratischen Mehrheit. Denn die soll ja nicht gefragt werden, sondern wiederholt lese ich hier, dass Inklusion „von oben“ verordnet werden „muss“. Das sagt an sich schon alles über die Träger der Idee von der flächendeckenden Zwangsinklusion.