Grün-Rot schafft bei der Inklusion Fakten, aber: Knackpunkt Finanzen ausgespart

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STUTTGART. Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch (SPD) hat den Grundstein für die Öffnung der allgemeinen Schulen für behinderte Kinder gelegt – und gleichzeitig die Kommunen auf den Plan gerufen. Gemeinde-, Städte- und Landkreistag monieren an seinem Reformkonzept, er habe wichtige Finanzierungsfragen ausgespart. Die Verbände forderten, dass das Land das Konnexitätsprinzip (Wer bestellt, bezahlt) anerkennt und für die Zusatzkosten aufkommt.

Andreas Stoch geht beim Thema Inklusion voran. (Foto: PR/Landesregierung BW)
Andreas Stoch geht beim Thema Inklusion voran. (Foto: PR/Landesregierung BW)

Grün-Rot setzt mit der geplanten Novelle des Schulgesetzes für das Schuljahr 2015/16 die UN-Behindertenkonvention sowie die eigenen Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag um – allerdings ein Jahr später als ursprünglich geplant.

Derzeit drücken im Südwesten 53.000 junge Menschen mit Behinderungen an 650 öffentlichen und privaten Sonderschulen die Schulbank. «Es soll zur Normalität werden, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet werden», sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Damit die Inklusion schon im kommenden Schuljahr voran kommt, werden zusätzlich 200 Lehrerstellen für Sonderpädagogen an allgemeinen Schulen geschaffen. Inklusion soll künftig im Fokus der Lehrerfortbildung stehen.

Kernstück des Grundkonzeptes ist das Aus der Sonderschulpflicht nach vier Jahrzehnten und die Freiheit für die Familien, für ihr behindertes Kind den Besuch einer Sonder- oder einer allgemeinen Schule zu wählen. Ein Recht, ihr Kind auf eine konkrete Wunschschule zu schicken, ist aber nach Stochs Worten nicht möglich – sowohl aus organisatorischen als auch aus pädagogischen Gründen. Stoch: «Die letzte Entscheidung, was das konkrete Angebot angeht, hat die Schulverwaltung.»

Kretschmann betonte mit Blick auf mögliche Klagen von Eltern auf den Besuch ihrer Kinder einer bestimmten Schule: «Wir müssen für Erziehungspartnerschaft werben.» Bei pädagogischen Problemen müssten Eltern und Schulen an einem Strang ziehen.

Ein Behindertenverband fürchtet um den Bestand der Sonderschulen: Sie dürften durch Entzug ihrer raren Fachkräfte für den inklusiven Unterricht an der Regelschule nicht ausbluten. Immerhin hätten in den Modellversuchen sich drei Viertel der Eltern für den Verbleib ihrer behinderten Kinder an den Sonderschulen entschieden, unterstrich der Landesverband für Menschen mit Körper- und Mehrfachbehinderung.

Die Existenzberechtigung der Sonderschulen unterstrich auch der Ehrenvorsitzende des Verbandes Sonderpädagogik, Thomas Stöppler. «Durch den medizinischen Fortschritt überleben Frühchen, die früher keine Chance gehabt hätten. Diese sind häufig mehrfachbehindert und brauchen besondere Förderung», sagte er.

Im Fall der von den Kommunen geforderten Konnexität müsste das Land nicht nur für das notwendige pädagogische Personal, sondern für die zusätzlichen Kosten durch Umbauten, Ausstattung von Schülerarbeitsplätzen und Schulassistenz im Unterricht aufkommen, hieß es beim Gemeindetag. «Da geht es um sehr hohe Summen», sagte eine Sprecherin des Verbandes, der derzeit mit Landkreis- und Städtetag mit dem Land verhandelt. Für die FDP bleibt die Inklusion ohne ein Bausonderprogramm des Landes ein Lippenbekenntnis.

Auch Stoch zufolge sind die Finanzierungsfragen noch nicht ausdiskutiert. Die in Nordrhein-Westfalen gefundene Lösung mit einem vom Land gespeisten Inklusionsbudget gehöre zu den Modellen, «die man sich für Baden-Württemberg vorstellen kann». Der Städtetag favorisiert diese Lösung als «Blaupause» für Baden-Württemberg.

Aus Sicht der Landesarbeitsgemeinschaft «Gemeinsam leben – gemeinsam lernen» hat das lange Zögern der Landesregierung bereits jetzt einen hohen Preis. Es gebe schon wieder Lehrerkollegien, die Beschlüsse gegen Inklusion gefasst hätten, hieß es mit Blick auf den Fall Henri, bei dem ein Walldorfer Gymnasium sich gegen eine Integration des Jungen mit Down Syndrom gewandt hatte. Die Schulämter bräuchten dringend gesetzliche Regelungen für die Inklusion an allen Schularten, so der Verband. Julia Giertz, dpa

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alexander
9 Jahre zuvor

„…er (Kultusminister Stoch) habe wichtige Finanzierungsfragen ausgespart…“.
Ja liebe Leute, so wird doch schon immer Bildungspolitik betrieben:
„Kluge“ Menschen in den Kultusministerien denken sich „tolle“ neue Dinge aus (Beispiel: Einführung von G8 in Hessen; eine einzige Katastrophe!), für die dann aber leider, leider weder genug Geld noch genug Zeit noch genug Personal zur Verfügung gestellt werden kann.
Und als Krönung und als Dank posiert dann beispielsweise ein Bundeskanzler Gerhard („Gazprom“) Schröder oder irgendein anderer Parteibonze wie ein Gockel vor den Fernsehkameras und tituliert die Lehrer, die die fade Politikersuppe letztendlich auslöffeln müssen, pauschal als „faule Säcke“.