Eltern und Erzieher machen Druck für bessere Kita-Betreuung

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DRESDEN. An der Qualität der frühkindlichen Bildung bestehen schon lange Zweifel. Gestärkt wurden sie durch die Ergebnisse des „Ländermonitors Frühkindliche Bildungssysteme“ der Bertelsmann Stiftung, wonach deutschlandweit 120.000 Erzieherinnen fehlen. Für das Ziel einer besseren Kita-Betreuung gingen nun Eltern, Erzieher, Gewerkschaften und Verbände gemeinsam auf die Straße.

Fünf Tage vor der Landtagswahl in Sachsen haben nach Angaben der Polizei rund 1000 Menschen bei einer Bollerwagendemonstration in Dresden eine bessere Betreuung in den Kindertagesstätten gefordert. Gemeinsam zogen sie von der Altstadt vor das Kultusministerium auf der anderen Elbseite, darunter auch zahlreiche Kinder. Wie zuvor schon die mehr als 77.000 Unterzeichner der Petition „Weil Kinder Zeit brauchen“ forderten die Demonstranten eine Verbesserung des Personalschlüssels in den Kitas. Ein Problem, das nicht nur in Sachsen aktuell ist. Gerade in Bezug auf die Qualität der Betreuung in Kindertagesstätten gibt es laut Bertelsmann Stiftung fast überall in Deutschland erhebliche Mängel, weil viele Einrichtungen nicht genügend Erzieherinnen haben.

Dass alle Kinder einen Kitaplatz bekommen, wird die Kommunen noch lange beschäftigen. (Foto: Λ |_ ν-\ Γ Ø/Flickr CC BY-NC-SA 2.0)
In Sachsen müssen sich nach Ansicht der Demonstranten zu wenige Erzieherinnen um zu viele Kinder kümmern. Sie fordern deshalb eine Verbesserung des Personalschlüssels in Kindertagesstätten. (Foto: Λ |_ ν- Γ Ø/Flickr CC BY-NC-SA 2.0)

Nach den Ergebnissen des „Ländermonitors Frühkindliche Bildungssysteme“, mit dem die Stiftung die Entwicklung der Kindertageseinrichtungen beobachtet, unterscheiden sich die Personalschlüssel für Kitas teilweise erheblich von einem kindgerechten und pädagogisch sinnvollen Betreuungsverhältnis. Die Stiftung empfiehlt, dass bei den unter Dreijährigen (U3) eine Erzieherin für höchstens drei Kinder verantwortlich ist. Für die Altersgruppe ab drei Jahren (Ü3) sollte der Personalschlüssel nicht schlechter als 1 zu 7,5 sein.

Deutschlandweit betreut im U3-Bereich allerdings eine Erzieherin im Durchschnitt 4,6, in der höheren Altersgruppe 9,6 Kinder. In Sachsen kümmert sich eine Erzieherin sogar um 6,6 unter Dreijährige und 13,5 Kinder über drei Jahren. Der Freistaat bildet damit beinahe das Schlusslicht im Ländervergleich. In der U3-Betreuung besteht lediglich in Sachsen-Anhalt einen schlechterer Personalschlüssel (1 zu 6,7) und im Ü3-Bereich in Mecklenburg-Vorpommern (1 zu 14,9). Diese statistischen Betreuungsverhältnisse sehen laut Stiftung im Kita-Alltag sogar noch ungünstiger aus. Aufgrund von Teamgesprächen, Fortbildung und Urlaub könne eine Erzieherin höchstens 75 Prozent ihrer Arbeitszeit für pädagogische Arbeit nutzen, daher betreue sie beispielsweise in Sachsen tatsächlich rund neun unter Dreijährige und 18 über Dreijährige.

Den heutigen Anforderungen an Sprachförderung, Begleitung von Bildungsprozessen, Elterngesprächen und Hilfe beim Übergang der Kinder von der Kita in die Schule werde der gegenwärtige Personalschlüssel nicht mehr gerecht, kritisiert die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marlis Tepe. Ähnlich bewertet Bernhard Eibeck die Lage, GEW-Referent für Jugendhilfe und Sozialarbeit: Bei fehlendem Personal sei eine optimale pädagogische Arbeit in Kindertagesstätten nicht zu erwarten.

Ministerpräsident Stanislaw Tillich will sich von Bürgern beraten lassen (Foto: Sächsische Staatskanzlei / Jürgen Jeibmann)
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich verspricht eine deutliche Verbesserung der Personalsituation in sächsischen Kindertageseinrichtungen ab 2015. (Foto: Sächsische Staatskanzlei / Jürgen Jeibmann)

Wenige Tage vor der Landtagswahl in Sachsen unterstreicht die regierende CDU, dass auch ihr die Verbesserung der Betreuungsqualität am Herzen liege. Dazu sei ein 5-Punkte-Plan erarbeitet worden. „Ab dem Jahr 2015 werden wir in allen sächsischen Kindertageseinrichtungen die Personalsituation deutlich verbessern“, verspricht Ministerpräsident und CDU-Spitzenkandidat Stanislaw Tillich. Ziel sei es, dauerhaft wirksame und vor Ort flexibel ausgestaltbare Lösungen umzusetzen.

Linke, SPD und Grüne warfen der Staatsregierung vor, sich um eine Änderung des Betreuungsschlüssels herumzumogeln. Tillich glaube, die Wähler in Sachsen mit Worthülsen „einlullen zu können“, sagt die stellvertretende Vorsitzende der Linke-Fraktion, Annekatrin Klepsch. „Die CDU gibt jetzt wie schon vor fünf Jahren kurz vor der Wahl ein Versprechen ab, das völlig unkonkret ist“, sagt SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig. Wer die Personalsituation verbessern wolle, müsse den Betreuungsschlüssel senken. Die von der CDU angekündigte Erhöhung des Kita-Landeszuschusses decke nicht einmal die gestiegenen Betriebskosten, erklärt die Grünen-Landesvorsitzende Claudia Maicher. „Mehr Personal und kleinere Gruppen wird es damit definitiv nicht geben.“

Für kommenden Freitag planen die Wohlfahrtsverbände in Sachsen einen „Kita-Schließtag“. Dabei wollen rund 100 Einrichtungen mit einem Tag der Offenen Tür auf die Probleme aufmerksam machen. Auf Bundesebene scheint das Thema bereits angekommen zu sein: Für November hat Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig Länder, Kommunen und freie Träger zu einem runden Tisch zur Kita-Qualität nach Berlin eingeladen. ach mit dpa

 

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2 Kommentare
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xxx
9 Jahre zuvor

„Ziel sei es, dauerhaft wirksame und vor Ort flexibel ausgestaltbare Lösungen umzusetzen.“

Für mich bedeutet dieser Satz nicht mehr, dass für städtische KiTas einige wenige neue Stellen ausgeschrieben werden, die dann als Springer durch das Land fahren dürfen / müssen. Dadurch wird — politisch wirksam — der Personalschlüssel signifikant verbessert, an der grundsätzlichen Situation jedoch — politisch bewusst verschwiegen — nichts verbessert.

Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor

Bei Kitas der unter Dreijährigen handelt es sich um KRIPPEN. Komischer Weise wird das Wort „Krippe“ offiziell kaum mehr verwendet, stattdessen ist nur noch von Kitas die Rede.
Krippen – nach Neusprech also U3-Kitas – werden gebetsmühlenartig als Hort frühkindlicher Bildung herbeigeredet. Das ist nicht nur Volksverdummung, sondern auch sträfliche Augenwischerei. In diesem Alter brauchen Kinder Nestwärme und persönliche BINDUNG. Mutter Natur hat das nun mal so entschieden und lässt sich bekanntlich ungern von menschlichen Allmachtsphantasien an der Nase herumführen. Allerdings folgt die Strafe meist nicht auf dem Fuß, sondern erst später und härter. Leider.
Durch skrupelloses Verleugnen natürlicher Entwicklungsprozesse und deren Ersatz durch abartige Bildungstheorien werden Eltern massiv ins „wertschöpfende“ Berufsleben gedrängt. Finanzielle Nachteile und Nöte durch eigene Betreuung der Kinder üben zusätzlichen Druck aus.
Was heute als „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, als menschen- oder kinderfreundlich dargestellt und geschaffen wird, ist eine einzige Verhöhnung des gesunden Menschenverstandes und Empfindens.
Nichts anderes als ideologische und wirtschaftliche Interessen bestimmt das Geschehen. Dies zuzugeben, würde allerdings das mühsam errichtete Kartenhaus zum Einsturz bringen.