Schwesig macht die Kita-Qualität zum Thema – muss aber dicke Bretter bohren

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BERLIN. Die Ansprüche sind hoch: Erzieherinnen in Krippen und Kitas sollen Sprachförderung betreiben und frühkindliche Bildung vermitteln. Doch zwischen den Bundesländern gibt es erhebliche Qualitätsunterschiede. Und: Der Erzieher-Beruf gilt als extrem belastend. So klafft zwischen Wünschen und Wirklichkeit eine breite Lücke. Bundesfamilienministerin Schwesig stößt jetzt eine bundesweite Qualitätsdebatte an.

Für November hat Bundesfamilienministerin Schwesig Länder, Kommunen und freie Träger zu einem runden Tisch zur Kita-Qualität nach Berlin eingeladen. Foto: Bobo 11 / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Für November hat Bundesfamilienministerin Schwesig Länder, Kommunen und freie Träger zu einem runden Tisch zur Kita-Qualität nach Berlin eingeladen. Foto: Bobo 11 / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Nicht jede Kita in Deutschland ist so schön, wie die AWO-Einrichtung «Sonnenkinder» in Potsdam. Es ist ein wahres Vorzeigeprojekt wie aus dem Bilderbuch: Für die ganz Kleinen gibt es reichlich Platz zum Krabbeln und zum Ruhen, für die Größeren einen eigenen Gymnastik- und Bewegungsraum. Auf dem angrenzenden Spielplatz fließt bei warmen Wetter aus einer Pumpe Wasser – zum Matschen. Und je nach Lust und Laune können die Kinder auch Musik hören oder selbst Instrumente spielen. Und in der eigenen Hortküche wird jeden Tag für die Kinder frisch und gesund gekocht.

Zum Auftakt einer bundesweiten Debatte über mehr Qualität in der Kita bekamen die «Sonnenkinder» nun Besuch von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Mit den Kleinen malte die Ministerin, den Großen las sie aus dem Dschungelbuch vor.

Für die Kommunal- und Landespolitiker, die Schwesig bei ihrer Visite begleiteten, brachte Schwesig noch eine Botschaft mit: Die Bundesregierung wird als ersten Schritt zu mehr Kita-Qualität das Ausbaugesetz so ändern, dass mit Bundeszuschüssen künftig auch die innere Ausstattung von Krippen und Kitas verbessert werden kann – also neue Küchen und Gymnastikräume geschaffen oder für Behinderte breitere Türen und Rollstuhlrampen angelegt werden können. Bisher durfte das Bundesgeld nur in den Beton für den eigentlichen Ausbau fließen.

Für November hat Schwesig Länder, Kommunen und freie Träger zu einem runden Tisch zur Kita-Qualität nach Berlin eingeladen. Schwesig weiß: Die Änderung des Ausbaugesetzes ist zwar ein wichtiger, aber auch nur bescheidener Anfang eines noch langen Weges hin zu einer qualitativ besseren Kinderbetreuung in Deutschland. Denn das Kernproblem ist die von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Personalausstattung. Und wenn man hier Entscheidendes verbessern will, dann wird das richtig teuer.

In den Krippen in Bremen und Baden-Württemberg ist eine Erzieherin durchschnittlich für drei kleine Kinder unter drei Jahren zuständig, was bei Erziehungswissenschaftlern als vorbildlich gilt. Im Schnitt kommen die West-Länder auf 3,8 Kinder pro Betreuerin, die Ost-Länder hingegen auf 6,3 – listete unlängst die Bertelsmann-Stiftung auf. Als Negativ-Beispiel gilt Sachsen-Anhalt, wo es gar 6,7 Kinder sind.

Ähnliche Ost-West-Unterschiede gibt es bei den Kindern über drei Jahren. Hier liegt im alten Bundesgebiet der Personalschlüssel bei einer Betreuerin zu 9,1 Kindern, in den neuen Ländern hingegen bei 1 zu 12,7. Experten halten dagegen hier ein Verhältnis von einer Betreuerin zu sieben bis acht Kindern für erstrebenswert.

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Wollte man diese Personalverbesserungen umsetzen, wäre nach Bertelsmann-Berechnungen die Einstellung von zusätzlich 120.000 Erzieherinnen nötig. Die Kosten: rund 5 Milliarden Euro mehr pro Jahr. Bereits heute geben die Länder für Kita-Personal jährlich 14 Milliarden Euro aus. Allein Brandenburg zum Beispiel hat seine Zuschüsse in den vergangenen zehn Jahren von 120 Millionen auf 230 Millionen nahezu verdoppelt.

Nicht berücksichtigt bei all diesen Zahlen ist allerdings der belastungsbedingt hohe Krankenstand von Erzieherinnen. Eine Studie der Alice Salomon Hochschule Berlin ergab, dass diese häufiger dauerhafte gesundheitliche Einschränkungen aufweisen als Frauen aus anderen Berufen. Bezogen auf die theoretischen Stellenzahlen schreiben die Autorinnen: „Diese rechnerischen Größen spiegeln die Realität in den Kindertageseinrichtungen nur ansatzweise wider. Aufgrund von krankheits-, urlaubs- oder fortbildungsbedingten Personalausfällen dürfte die reale Fachkraft-Kind-Relation häufig unter den gesetzlich festgelegten Personalschlüsseln und unter den rechnerischen Fachkraft-Betreuungsplatz-Relationen liegen. Die aus wissenschaftlicher Sicht empfohlenen Mindeststandards werden nur in Ausnahmefällen erreicht“, so schreiben die Autorinnen.

Die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe kritisiert: «Den heutigen Anforderungen an Sprachförderung, Begleitung von Bildungsprozessen, Elterngesprächen und Hilfe beim Übergang der Kinder von der Kita in die Schule wird der gegenwärtige Personalschlüssel nicht mehr gerecht.»

Bertelsmann-Stiftungs-Vorstand Jörg Dräger fordert ähnlich wie die GEW ein Bundes-Kita-Qualitätsgesetz mit einheitlichen Mindest-Standards für alle Länder. Das wollte die SPD auch, konnte sich aber bei den Koalitionsverhandlungen mit der Union in diesem Punkt nicht durchsetzen. Ein solche Gesetz müsste zudem durch den Bundesrat. Doch mit Blick auf die 2020 greifende Schuldengrenze wehren die Länder alles ab, was sie nicht für finanzierbar halten.

Doch Schwesig will auf dem Weg zu mehr Kita-Qualität weiter dicke Bretter bohren und setzt zugleich auf eine Politik der kleinen Schritte. Schon heute investiert der Bund auch in die Ausstattung, etwa in die Sprachförderung von 4000 Schwerpunkt-Kitas in sozialen Brennpunkten oder gibt Zuschüsse an die Kommunen, wenn sie qualifizierte Tagesmütter fest anstellen, die zuvor eine pädagogische Ausbildung absolviert haben. Karl-Heinz Reith, dpa

Zum Kommentar: Der Kita-Notstand – mehr Geld muss her

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Silvia Jahnke
9 Jahre zuvor

Hurra!!!! Meck-Pomm hat den Personalschlüssel derzeit auf 1:16, ab 2015 auf 1:15 im Ü3-Bereich gesenkt!!! Wäre schon ganz nett, wenn das eingehalten werden müsste! Aber das schöne Wort „durchschnittlich“ steht leider davor. Also habe ich vor 4 Tagen noch eben das 17 Kind in meine Gruppe bekommen!!! Und weder das Ministerium Schwerin, noch die Verdi, noch der Gleichstellungsbeauftragte des Landes(alle tel. kontaktiert) können oder wollen helfen. Also, was nützen dann bitte die Gesetze?? Ich bin maßlos enttäuscht! Ach ja, und morgen fehlen bei uns von 8 von 16 Erzieherinnen, 25jährige Urlaub, der Rest krank!!! Wen wundert ’s?? Wir sollten alle streiken!!

Maren
9 Jahre zuvor
Antwortet  Silvia Jahnke

Kinderkrippen sind eine Schande für jedes Land, das sich Humanität auf die Fahnen geschrieben hat. Die Bedürfnisse von Babys und Kleinstkindern nach Nest und Nestwärme (vornehmlich durch die Mutter) in den ersten Lebensjahren werden relativiert, geleugnet und als Relikt von gestern belächelt, so als seien Naturgesetze etwas, das der „moderne“ Mensch auch noch beherrschen könnte.
Fortschrittsglaube, der keine Grenzen mehr kennt und von allem befreien will, was die Natur vorgegeben hat, führt nicht zu mehr Lebensqualität und Menschlichkeit, sondern weniger.
Einfach mal selber denken und auch das Bauchgefühl sprechen lassen, anstatt den süßen Worten eiskalter Naturverächter nachzulaufen, würde die Welt lebens- und liebenswerter machen.

Storb
9 Jahre zuvor
Antwortet  Maren

„Einfach mal selber denken“

Sie wollen doch nicht behaupten, dass Ihre Phrasensammlung eigenem Nachdenken entsprungen ist?

Maren
9 Jahre zuvor
Antwortet  Storb

Das sind Phrasen: „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, „Selbstverwirklichung der Frau durch das Berufsleben“ oder „Krippen sind Horte frühkindlicher Bildung“.

Erst meckern, wenn einem selbst klar ist, was wirklich inhaltsleeres Geschwätz ist.
Sie reagieren auf Andersdenkende wie fast alle Hüter der politisch korrekten Glaubenslehre: mit billiger Überheblichkeit und lustvoller Diffamierung.