Studie macht Hoffnung: Deutschland auf dem Weg zu mehr Toleranz?

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BERLIN. Eine aktuelle Studie bringt es an den Tag; Die Mehrheit der Deutschen definiert Deutsch-Sein nicht mehr über die Abstammung. 60 Prozent der Kinder pflegen Freundschaften mit Menschen aus anderen Ländern. Auch bei der Inklusion Behinderter gibt es Fortschritte – allerdings eher kleinere.

Deutsch-Sein ist für die meisten Bundesbürger nach einer neuen Studie nicht mehr eine Frage der Abstammung. Die Definition nationaler Identität hat sich in Deutschland grundlegend verändert, wie eine Studie des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung laut «Spiegel» ermittelte.

Dreiviertel der Kinder finden es völlig normal anders zu sein. Foto: LBS/Fotolia
Dreiviertel der Kinder finden es völlig normal anders zu sein. Foto: LBS/Fotolia

Als Kriterium fürs Deutsch-Sein steht an erster Stelle die Sprache: 96,8 Prozent der Befragten waren der Meinung, deutsch sei, wer deutsch sprechen könne. Am zweithäufigsten als Bedingung genannt (78,9 Prozent) wurde das Vorhandensein eines deutschen Passes. Lediglich 37 Prozent meinten, ein Deutscher müsse auch deutsche Vorfahren haben, schreibt das Magazin unter Berufung auf die Studie.

Zugleich förderte die Untersuchung aber auch Ressentiments zutage, besonders gegenüber Muslimen. So gaben 37,8 Prozent an, dass nicht deutsch sein könne, wer ein Kopftuch trage.

Die Studie «Deutschland postmigrantisch» gehört dem «Spiegel» zufolge zu den bislang größten Erhebungen auf dem Gebiet der Integrations- und Migrationsforschung in der Bundesrepublik. Insgesamt wurden 8270 Personen je 80 bis 100 Fragen gestellt. Die Ergebnisse werden am Mittwoch an der Berliner Humboldt-Universität vorgestellt.

Dass es sich bei den Zahlen um mehr als um einen oberflächlichen Trend handeln könnte, belegt eine Auswertung des LBS-Jugendbarometers. Innerhalb von fünf Jahren hat sich demnach die Anzahl internationaler Kinderfreundschaften fast verdoppelt: 2009 waren es noch 38 Prozent, die angaben, mit Menschen anderer Herkunft befreundet zu sein – „im aktuellen LBS-Kinderbarometer sind es schon 60 Prozent der 11.000 befragten Kinder zwischen 9 und 14 Jahren“, stellt LBS-Sprecher Christian Schröder fest.

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Kinder aus städtischen oder großstädtischen Umgebungen sind häufiger mit Ausländern befreundet als Kinder aus ländlichen Regionen, ebenso Kinder mit Migrationshintergrund. Unterschiedlich häufig treten die internationalen Freundschaften in den verschiedenen Bundesländern auf. In Hamburg, Baden-Württemberg, Berlin und Bremen sind sie am häufigsten. Kinder aus Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern sind weniger oft mit Menschen aus anderen Ländern befreundet.

Anders sieht es jedoch beim Kontakt zu Menschen mit Behinderungen aus: Gelebte Inklusion kennen bisher nur knapp ein Viertel der Kinder. Immerhin pflegen mit 23 Prozent knapp ein Viertel Freundschaften zu Kindern mit Behinderungen, vor 5 Jahren waren es noch 11 Prozent. Hier gibt es ebenfalls Unterschiede zwischen den Bundesländern, wobei der Trend ähnlich ist: Hamburg steht erneut auf Platz eins, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern belegen die hinteren Plätze. Und: Je älter desto toleranter – sowohl die Anzahl der Freundschaften mit Menschen aus dem Ausland als auch mit behinderten Menschen steigt mit fortschreitendem Alter der Kinder an.

Im Vergleich zur vorherigen Befragung hat auch das Interesse der Kinder an Menschen, „die nicht so sind wie alle anderen“ deutlich zugenommen. Inzwischen finden insgesamt rund Dreiviertel der Kinder das „anders sein“ völlig normal. Mädchen stimmten dieser Aussage häufiger zu als Jungen. Umgekehrt ist es vielen Kindern wichtig, gemocht zu werden, auch wenn sie anders sind.

Zweidrittel der befragten Kinder fällt es nicht schwer, damit umzugehen, wenn andere Kinder nicht ihrer Meinung sind. Schröder: „Fühlen sich tolerante Kinder wohler? Diese Vermutung liegt nahe, denn beim Wohlbefinden der Kinder zeigt sich, dass sich Kinder – im Allgemeinen, in der Schule, in der Familie, bei Freunden und in der Wohngegend – umso schlechter fühlen, je schwerer ihnen der Umgang mit anderen Meinungen fällt.“ (dpa/PM)

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5 Kommentare
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Ursula Prasuhn
9 Jahre zuvor

Das einstmals schöne Wort „Toleranz“ wird langsam unerträglich. Es prasselt in letzter Zeit in einer Weise auf mich ein, die ich nur noch als penetrant, bevormundend und sogar bedrohlich empfinde. Die Studie bildet da keine Ausnahme. Sie ist für mich weniger sachliche Information als Teil eines immer massiver werdenden moralischen Drucks zu einer undifferenzierten, gedankenlosen und auch gefährlichen Ja-Und-Amen-Toleranz, die keinerlei Regeln und Wahrheiten mehr kennt, wenn es um Menschen geht „die nicht so sind wie alle anderen”.
Sie werden in den Himmel gehoben oder zu Märtyrern gemacht und damit in einer Weise positiv diskriminiert, die längst Bedenken auslösen müsste – auch bei ihnen selbst.
Geht es hier tatsächlich noch um einen gesunden Toleranzbegriff oder um die Erziehung aller Bürger – eingeschlossen der „Andersartigen“ – zum bedenkenlosen Schlucken moralbesetzter Pseudowahrheiten, deren Sinn im Verborgenen blüht. Ich jedenfalls kann nur raten.

„Wo es einst um die Utopie von einer Welt ohne Repressionen ging, herrscht heute eine Atmosphäre der Unterstellung und Verdächtigung, der Anpasserei und des Duckmäusertums, gegen die der angebliche Mief der 50er-Jahre wie Frischluft anmutet. Peter Sloterdijk bilanziert: ‚Wir haben uns – unter dem Deckmantel der Redefreiheit und der unbehinderten Meinungsäußerung – in einem System der Unterwürfigkeit, (. . .) der organisierten sprachlichen und gedanklichen Feigheit eingerichtet, das praktisch das ganze soziale Feld von oben bis unten paralysiert.’ Kein Wunder, dass der Mann als politisch unkorrekt gilt.“
http://www.focus.de/finanzen/news/tid-29319/political-correctness-klappe-zu_aid_911015.html

xxx
9 Jahre zuvor

die bei der studie abgefragten worthülsen und allgemeinplätzchen lieferten die erwartbaren Ergebnisse. mit anderen Worten war die studie ihr geld nicht wert – es sei denn man missbraucht sie wie geschehen für andere ziele. darauf wurden die befragten sicherlich nicht im vorfeld hingewiesen.

Bernd
9 Jahre zuvor

Was brodelt denn da schon wieder im Sumpf? Die eine bedroht Kinder mit Sloterdijk, nur weil die auch mit Einwanderern spielen, der andere kanzelt aufgrund von wenigen Zeilen Ankündigungstext die „bislang größte Erhebungen auf dem Gebiet der Integrations- und Migrationsforschung in der Bundesrepublik“ als Sammlung von „worthülsen und allgemeinplätzchen“ ab. Mein Rat: Bloß nicht in die am Mittwoch erscheinende Studie reingucken, damit die so schön gepflegten Vorurteile auch ja keinen Schaden nehmen.

xxx
9 Jahre zuvor
Antwortet  Bernd

dass stadtkinder mehr kontakt zu Ausländern haben als landkinder ist logisch und damit eine inhaltsfreie worthülse. solche „ergebnisse“ finden sich in dem obigen artikel zuhauf.

g. h.
9 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Lassen Sie sich nicht beirren. Bernd ist immer gut fürs Eingreifen, sobald er die als politisch korrekt geltende Meinung angezweifelt sieht.
Es ist allerdings eine positive Überraschung, dass er bei der Verurteilung Ihrer und Fr. Prasuhns Meinung nur von „Sumpf“ spricht und nicht auf „ultrakonservativ“ oder „rechtsextrem“ anspielt.
Meinem Verständnis von Meinungsaustausch und Diskussion rückt er damit ein wenig näher. Als „sumpfig“ empfinde ich auch oft anderer Leute Meinungen.