Für immer nackt im Netz: Sexting verfolgt Kinder noch Jahre später

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STUTTGART. Ob als Spielerei, Suche nach Anerkennung oder Liebesbeweis: Viele Jugendliche verschicken per Smartphone Nacktbilder von sich selbst. Noch Jahre später müssen sie mit unangenehmen Konsequenzen rechnen. Manches Nacktporträt verfolgt sie dabei bis zum Vorstellungsgespräch.

Sie war verliebt und wollte ihrem Schwarm imponieren: Doch das Oben-Ohne-Foto, das die 13-jährige Hope aus Florida einem Jungen schickte, landete in den Händen eines anderen Mädchens und wurde von diesem an Bekannte weitergeschickt. Eine Kettenreaktion, die Hope zur Zielscheibe von extremem Cybermobbing machte. Und sie in den Selbstmord trieb. Hope erhängte sich.

Ein extremes Beispiel – doch mittlerweile verschicken Jugendliche beim sogenannten Sexting nicht nur erotische Nachrichten per SMS, sondern auch Nacktselfies. Nacktaufnahmen von sich selbst für den Liebsten zu machen, ist dabei keine Erfindung der Neuzeit: «Schon immer haben Paare sich intime Fotos geschenkt», sagt Harald Schmidt von der Kriminalprävention des Bundes und der Länder in Stuttgart. «Früher hatte man allerdings die Negative zu Hause in der Schublade, heute landet jedes Foto per Klick auf irgendwelchen internationalen Servern oder wird, wenn es dumm läuft, in den sozialen Medien weiterverbreitet.»

Was die wenigsten wissen: Wer ein Bild über Whatsapp verschickt, tritt seine Nutzungs- und Bildrechte automatisch an den Anbieter ab. So steht es in den AGBs. Und auch bei einer Löschung des Bildes, wie sie beispielsweise der Anbieter Snapchat verspricht, ist laut Schmidt nicht gesagt, dass der Empfänger das Bild vorher nicht schnell noch per Screenshot abspeichert.

«Was im Internet landet, bleibt im Internet: Das ist eine Regel, die jedes Kind kennen sollte», sagt Olivia Förster vom Verein Blickwechsel in Hamburg. Die Medienpädagogin gibt Workshops zum Thema Cybermobbing an Schulen. Sexting sei dabei immer wieder Thema. Schon Jungs und Mädchen aus der Grundschule berichten ihr dabei von Erfahrungen: «Ein Viertklässler hat zum Beispiel ein Foto seines Penis an die Whatsapp-Gruppe der ganzen Klasse geschickt.»

Kinder und Jugendliche nutzen das Internet meist unkontrolliert. Foto: Spencer E. Holtaway / Flickr (CC BY-ND 2.0)
Kinder und Jugendliche nutzen das Internet meist unkontrolliert. Foto: Spencer E. Holtaway / Flickr (CC BY-ND 2.0)

«Die Schweizer James-Studie hat gezeigt, dass rund sechs Prozent der jungen Handybesitzer schon mal erotische Bilder von sich selbst verschickt haben», bestätigt Laurent Sédano, Medienexperte bei der Stiftung Pro Juventute aus Zürich. Jugendliche seien sehr offen und nutzten die technischen Möglichkeiten mit einer großen Naivität. So kann es für jüngere Kinder einfach eine Albernheit sein, sich gegenseitig Nacktfotos zu schicken. Mit Beginn der Pubertät kommt dann die Suche nach Bestätigung dazu, sagt Förster: «Die Kids wollen austesten, wie sie beim anderen Geschlecht ankommen.»

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Fast selbstverständlich sei es dabei schon, dem festen Freund oder der festen Freundin Nackt- oder sogar Selbstbefriedigungsbilder zu schicken. «Das gilt als großer Vertrauensbeweis», sagt Sédano. Leider würden die Jugendlichen nicht daran denken, dass so eine Beziehung irgendwann mal vorbei sein kann. Harald Schmidt nennt konkrete Risiken: «Nacktbilder können Jugendlichen auch noch viele Jahre später Probleme machen, zum Beispiel bei Bewerbungen.» Fatal, wenn der Arbeitgeber nach dem Namen googelt und dann auf die Aufnahmen stößt.

Werden die Bilder der Kinderpornografie zugerechnet, zeigen sie also Geschlechtsorgane oder eindeutige Handlungen von Personen unter 14 Jahren, kann sich jeder, der die Bilder weiterleitet, strafbar machen. Außerdem bestehe immer das Risiko, Persönlichkeitsrechte zu verletzen, sagt Schmidt. Eindeutige Gesetze gebe es dazu aber nicht. Wissen sollten Kinder aber, dass die Bilder der besten Freundin nicht einfach ohne deren Genehmigung an die ganze Klasse weitergeleitet werden dürfen. «Und wenn doch, dann kann das zur Anzeige gebracht werden.»

Eine Anzeige gegen die Whatsapp-Freunde erstatten – diesen Weg gehen noch nicht viele Eltern betroffener Kinder. «Wichtig ist es, per Screenshot Beweise zu sammeln: Wer hat die Bilder wann und an wen weitergeleitet?», sagt Schmidt. Mittels Anzeige und Strafbestand könne dann der Anbieter gezwungen werden, die belastenden Fotos vom Server zu löschen.

Olivia Förster ist skeptisch: «Für das betroffene Kind ist es extra beschämend, wenn die Nacktfotos von den Eltern zur Polizei gegeben werden und das Kind dort unangenehme Fragen beantworten muss.» Sie rät Eltern deshalb, sehr behutsam vorzugehen. Sie könnten beispielsweise direkt bei den Freunden darum bitten, dass diese die Bilder löschen oder mit den Eltern das Gespräch zu suchen. «Auch Schulsozialarbeiter und Vertrauenslehrer an Schulen können dabei helfen, das Problem einzudämmen.»

Absolut sicher ließen sich die Bilder leider auf keinem Weg entfernen: «Auch professionelle Firmen, die das ganze Netz durchforsten und Daten löschen lassen, können nur den Ist-Zustand beeinflussen», erklärt Schmidt. Lädt jemand zwei Wochen später die Bilddatei wieder hoch, war alles umsonst. «Diese Unberechenbarkeit ist ja eben das Schlimme an der ganzen Sache», sagt Förster. Sie rät Eltern deshalb dringend, ihr Kind schon vor dem Kauf eines Smartphones über die Risiken aufzuklären. Bettina Levecke

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GriasDi
9 Jahre zuvor

Sollte ein Lehrer im Unterricht vor solchen Dingen warnen, oder etwas von Datenschutz erzählen, wird er von den Schülern nur milde belächelt, nach dem Motto: „Was hat der alte denn für nen Verfolgungswahn“. Wenn dann wirklich mal was passiert, ist das Gejammer groß.