Ganztagsschulkongress: Zwischen Einigkeit und Diskussionsbedarf

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NEUSS. Vielversprechende Diskussionsrunden, praxisnahe Workshops und interessante Vorträge versammelten auch am letzten Tag des Ganztagsschulkongresses zahlreiche Lehrer und pädagogische Kräfte aus dem Ganztagsbereich in Neuss. Einige Aspekte standen dabei immer wieder im Mittelpunkt: die Qualität der Ganztagsschulen, die Lehrerausbildung, die Akzeptanz des Ganztagskonzepts und das Verhältnis zwischen Pflicht und Freiwilligkeit.

In einer Ganztagsschule bleibt Zeit für Projekte. Foto: flickingerbrad / Flickr (CC BY 2.0)
In einer Ganztagsschule bleibt Zeit für Projekte. Ob das Angebot verpflichtend oder freiwillig sein sollte, darüber diskutierten Kongressteilnehmer. Foto: flickingerbrad / Flickr (CC BY 2.0)

Zufrieden zeigte sich Herwig Schulz-Gade, Mitglied im Bundesvorstand des Ganztagsschulverbands (GGT), dem Organisator der Tagung, mit dem bisherigen Stand des Ausbaus: „Im Bundesdurchschnitt besitzt grob die Hälfte aller allgemeinbildenden Schulen ein Ganztagsangebot.“ Es gebe allerdings innerhalb der Bundesländer Unterschiede, auch hinsichtlich der Qualitätskonzepte.

Gerade diese fehlenden bundesweiten Standards kritisierte Jörg Feuchthofen, Geschäftsführer der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände, in der Diskussionsrunde „Und sie wissen nicht, was sie tun… – Bildungspolitische Perspektiven und Forderungen“. „Die Bundesländer sollten sich auf ein Rahmenkonzept einigen“, so Feuchthofen. Die Länder und auch die einzelnen Schulen seien zwar zu unterschiedlich, um Ganztagsschulen identisch ausgestalten zu können, aber die Bundesländer könnten sich auf Qualitätswerte für die Entwicklung einigen und innerhalb Deutschlands eine einheitliche Grundlage schaffen. Aus Sicht des Kongressteilnehmers Ralf Neugschwender aus Bayern würde eine solche Regelung die Bewertung der Qualität vereinfachen und einen Vergleich unter den Bundesländern ermöglichen.

Eine hohe Meinung von Ganztagsschulen vertrat Ganztagskoordinatorin Tina Simon aus Nordrhein-Westfalen: „Insgesamt ist die Qualität in Deutschland schon sehr hoch.“ Das habe sie die letzten eineinhalb Jahre beobachten können, in denen ihre Schule am länderübergreifenden Netzwerk Ganztagsschule der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung teilgenommen hat. In sechs Teilnetzwerken sollen Schulen dabei „den Blick über den eigenen Tellerrand richten, andere Herangehensweisen und gute Praxis kennenlernen und Inspirationen und kollegiales Feedback zur eigenen Arbeit“ erhalten. Doch trotz der positiven Erfahrungen warnte Tina Simon auch, dass weitere Qualitätsbemühungen wichtig seien, um einen Entwicklungsstillstand und einen anschließenden Qualitätsverlust zu vermeiden.

Im Zuge der Qualitätsdiskussion war auf dem Ganztagsschulkongress auch immer wieder die Lehrerausbildung ein Thema. Diese „muss auf die faktischen Änderungen im Ganztagsbereich reagieren“, sagte GGT-Bundesvorstandsmitglied Schulz-Gade. Dort gebe es Handlungsbedarf, denn bisher sei in dem Bereich wenig bis gar nichts passiert. Schließlich verändere sich durch die Umstellung von halbtags auf ganztags nicht nur der Alltag der Schüler, sondern auch der des Lehrers. „Auch die Lehrer muss man für die Idee der Ganztagsschule erst gewinnen.“ Das sei nicht immer einfach, berichteten einige Kongressteilnehmer. „Viele Lehrer wollen immer noch um ein Uhr nach Hause“, ist etwa die Erfahrung einer Ganztagskoordinatorin. „Es ist schwierig, die Lehrer davon zu überzeugen, sich statt zu Hause an der Schule vorzubereiten“, sagte eine Teilnehmerin aus Hamburg.

Aus Lehrersicht präsentiert sich die Situation allerdings anders: An vielen Schulen fehlen demnach gesonderte Räume, in denen die Pädagogen in Ruhe ihren Unterricht vorbereiten oder Klausuren korrigieren können. „Das geht nicht im klassischen Lehrerzimmer“, sagte auch Herwig Schulz-Gade. Ein weiteres Streitthema während des Kongresses war die Frage, ob Ganztagsschulen verpflichtend oder freiwillig sein sollten. Aus Sicht von Andrea Steuernagel, Mitarbeiterin eines freien Trägers in Bonn, geht diese Diskussion in die falsche Richtung. Unabhängig von der Form des Ganztags sollte der Fokus eher auf der Ganztagsbildung liegen, die außerschulische Bereiche gleichberechtigt zur Schule als Lernorte anerkenne. „Kinder lernen eben nicht nur in der Schule, sondern auch in ihrem Freundeskreis oder im Verein.“ Die verschiedenen Bildungsorte müssten daher gleichermaßen gestärkt werden.

Zum Beitrag: Kongress in Neuss: Wird der Ganztag kaputtgespart? Teilnehmer beklagen “Politik nach Kassenlage”
Zum Beitrag: Aktionsrat Bildung fordert mehr Ganztagsschulen – aber echte

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2 Kommentare
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dickebank
9 Jahre zuvor

Zitat:
„Es ist schwierig, die Lehrer davon zu überzeugen, sich statt zu Hause an der Schule vorzubereiten“, sagte eine Teilnehmerin

Es ist schwierig in der Schule einen Arbeitsplatz zu finden, der so ausgestattet ist wie der zuhuse. Abgesehen davon, dass der Arbeitsplatz zuhause privat finanziert ist und allenfalls steuerlich relevant ist, ist doch die Mischfinanzierung von Schulen das faktische Dilemma. Warum sollen die Städte als Schulträger Arbeitsplätze – also Bürogebäude einschließlich notwendiger Kommunikationsinfrastruktur – für Landesbedienstete vorhalten.

Das Land will zwar den Ganztag – aber auf gar keinen Fall zusätzliche Kosten für die Arbeitsplatzaustattung an Gantagsschulen entstehen lassen. Die Begründung ist ja auch ganz einfach. An der Arbeitsbelastung ändert sich ja nichts, egal ob eine Schule im Halbtag oder im Ganztag geführt wird, bleibt das Wochenstundendeputat gleich.

Heike
9 Jahre zuvor

Andrea Steuernagel: „Kinder lernen eben nicht nur in der Schule, sondern auch in ihrem Freundeskreis oder im Verein.“
Richtig! Aber auch daheim lernen sie, denn nicht überall sind beide Eltern den ganzen Tag über berufstätig. Als „Mitarbeiterin eines freien Trägers in Bonn“ vergisst Frau Steuernagel wohlweislich diesen wichtigen Lernort zu erwähnen.
„Ob Ganztagsschulen verpflichtend oder freiwillig sein sollten“, ist tatsächlich die entscheidende Frage.
Meiner Meinung nach sollte sie unbedingt freiwillig sein. Alles andere käme einer ganztägigen Zwangs-Separierung von der Familie und vom Zuhause der Kinder gleich, egal ob durch Schulen oder freie Betreuungs-Träger.
Letzteren winkt durch eine verpflichtende Ganztagsschule ein willkommenes Geschäft mit regelmäßiger Einnahmequelle.