Gymnasiallehrer warnen vor „Einheitschule“ – Kraus fordert zur „bürgerlichen Revolte“ auf

15

GOSLAR. Der Philologenverband sieht das öffentliche Schulwesen in Niedersachsen in Gefahr. Das geplante neue Schulgesetz der rot-grünen Landesregierung zugunsten der integrierten Gesamtschule werde nicht nur zu einer Verdrängung von Haupt-, Real-, Förder- und Oberschulen führen, sagte der Verbandsvorsitzende Horst Audritz am Mittwoch beim Philologentag in Goslar. Das Vorhaben lege auch «die Axt an die Wurzel des Gymnasiums».

Ein Mann der klaren Worte: Josef Kraus. Foto: Deutscher Lehrerverband
Ein Mann der klaren Worte: Josef Kraus. Foto: Deutscher Lehrerverband

Gastredner Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, schlug in die gleiche Kerbe – und warf Rot-Grün eine ideologiegeleitete Politik der „Trojanischen Pferde“ vor. Kraus wörtlich:  „Niedersachsen tut genau das, was man tut, wenn man trickreich eine Schulform kaputt machen will: Dazu gehören unter anderem die Abschaffung einer eigenständigen Gymnasiallehrerbildung, der Verzicht auf jede Laufbahnempfehlung am Ende der Grundschule, die Abschaffung des Sitzenbleibens, der curriculare Nihilismus kompetenzorientierter Lehrpläne sowie die totale Frustration der Lehrerschaft der Gymnasien durch eine dramatische Verlängerung der Arbeitszeiten.“

Kraus forderte die Delegierten des Philologenverbandes auf, notfalls eine „bürgerliche Revolte“ zu inszenieren, um das geplante Schulgesetz zu Fall zu bringen. Zugleich betonte er, dass das Gymnasium noch selbstbewusster auftreten müsse, denn es gebe keine zweite Schulform, die in Tests so erfolgreich abschneide wie das Gymnasium; es gebe auch keine zweite Schulform, die fachlich und kulturell so breit aufgestellt sei wie das Gymnasium.

Die Landesregierung plant ein Gesetz, wonach Gesamtschulen künftig wie Oberschulen ersetzende Schulform sein können. Damit können beispielsweise Haupt- und Realschulen auch zu einer Integrierten Gesamtschule (IGS) zusammengelegt werden, falls ausreichend Schüler dafür vorhanden sind. Ein Gymnasium muss dagegen weiterhin «unter zumutbaren Bedingungen» erreichbar bleiben. Bislang dürfen Gesamtschulen in Niedersachsen nur als ergänzende Schulform angeboten werden. In Zukunft könnten sie auch mit Grundschulen organisatorisch zusammengefasst werden. Die Entscheidung über die angebotenen Schulen liegt alleine bei den Städten und Gemeinden.

Während Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) in dem Gesetzentwurf einen Schritt zu gerechteren Bildungschancen in Niedersachsen sieht, mutmaßte Philologen-Chef Audritz, dass am Ende im öffentlichen Bereich nur noch eine «Zwangs-Einheitsschule» übrig bleiben werde. Den Eltern werde die Möglichkeit genommen, «die aus ihrer Sicht bestmögliche Schulform für ihr Kind zu wählen». Gleichzeitig sei das Vorhaben «ein großes Konjunkturprogramm für elitäre Privatschulen, die dann auf dem Leistungsniveau arbeiten, dass die Landesregierung eliminieren will». Der Besuch dieser Schulen sei vom Geldbeutel der Eltern abhängig, sagte Audritz.

Diese Befürchtungen des Philologenverbandes entsprächen nicht der Realität, erwiderte Ministerin Heiligenstadt. Die Landesregierung wolle keine Schulform per Gesetz abschaffen. Für das Gymnasium, dessen Leistungsfähigkeit «unbestritten und unverzichtbar» sei, gebe es zudem die Schutzklausel, dass Schüler es auch künftig unter zumutbaren Bedingungen erreichen können, sagte Heiligenstadt. Für die Philologen ist der geplante maximale Schulweg von einer Stunde allerdings unzumutbar.

Anzeige

Für den Philologenverband, in dem rund 7500 Gymnasiallehrer organisiert sind, ist klar, dass die Landesregierung das Gymnasium zurückdrängen will. Dabei wende sie eine «Salamitaktik» an, sagte Audritz. Dies geschehe unter anderem durch die geplante Abschaffung der Schullaufbahnempfehlungen am Ende der Grundschule und die weitgehend entfallene Möglichkeit der Gymnasien, überforderte Schüler an für sie geeignete Schulformen zu überweisen.

Da auch die Möglichkeit zur Wiederholung einer Klasse weitgehend abgeschafft werden solle, werde die Funktionsfähigkeit des Gymnasiums entscheidend geschwächt, sagte Audritz. Außerdem kritisierte er die vorgesehene Abschaffung der Gymnasiallehrerausbildung zugunsten eines «Einheitslehrers für die gesamte Sekundarstufe» und die Arbeitszeiterhöhung für Gymnasiallehrer. Das sogenannte Lehrentlastungspaket des Kultusministeriums sei dagegen «eine laut angekündigte Luftnummer».

Die Landtagsopposition attackierte die Kultusministerin am Mittwoch. Heiligenstadt sei «überhaupt nicht klar, wie es an den Schulen in Niedersachsen aussieht, was für die Schüler wichtig ist und wie belastet die Lehrkräfte zurzeit sind», sagte der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr. Der schulpolitische Sprecher der CDU-Fraktion Kai Seefried erklärte, die Ministerin spreche von «Entlastungen für Lehrkräfte, obwohl sie Mehrarbeit angeordnet hat. Und vom Schutz der Gymnasien, obwohl sie ermöglichen will, sie durch Gesamtschulen zu ersetzen».

Die Ministerin verteidigte die Novelle des Schulgesetzes unter Hinweis auf den Elternwillen und die demografische Entwicklung. Zudem hob sie die Anstrengungen der Landesregierung im Schulsektor hervor. Sie nannte vorrangig den Ausbau der Ganztagsschulen, die Inklusion von Schülern mit besonderem Förderungsbedarf und den wachsenden Haushalt ihres Ministeriums. News4teachers / mit Material der dpa

Zum Beitrag: Gymnasiallehrer wollen Ministerin Heiligenstadt eisigen Empfang bereiten

Aus den Verbänden.

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

15 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Gerhard Bless
9 Jahre zuvor

Interessant. – Der ultrakonservative Chefideologe Kraus, der nur ca. 10 Prozent der Lehrer in Deutschland vertritt, aber Vorsitzender des wohlklingenden Deutschen Lehrerverbandes (DL) ist, wirft den anderen ideologiegeleitete Politik vor. Ich sage dazu: Ideologien haben in der Schule nichts verloren, egal ob von rechts oder links!

mehrnachdenken
9 Jahre zuvor
Antwortet  Gerhard Bless

Ich halte Herrn Kraus nicht für einen Ideologen. Schon gar nicht halte ich ihn für „ultrakonservativ“.

Wenn jemand offen und direkt die auch meiner Meinung nach falsche Bildungspolitik gerade von rot-grünen Landesregierungen angreift und seine Argumente gut begründet vorträgt, wird er von Ihnen oder Ihren Gesinnungsgenossen gerne in die konservative Ecke gestellt. Sie setzen jetzt sogar noch ein „Ultra“ davor.

Auf das Etikett „konservativ“ wäre ich mittlerweile richrtig stolz. „Ultrakonservativ“ empfinde ich sogar als Kompliment.

xxx
9 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Ich bin zwar SPD-Wähler und trotzdem konservativ als Verfechter des Humboldt’schen Bildungsideals, das im Widerspruch zur Kompetenzorientierung und der 50%-Abiturquote steht. Damit umgehen muss ich leider trotzdem, hoffe aber, dass diese Welle irgendwann wieder abebbt und ins Gegenteil umschlägt.

Wenn ich Biologe wäre, würde ich dem aktuell für Biologie Klasse 5 vorgesehenen Unterrichtsstoff „Der Hund als Haustier“ (= mein Dackelmischling hat voll süße Augen) wieder zurückfahren zu „Der Hund als Raubtier“ (= ernsthafte Anatomie des Hundes als Raubtier, wenn die Zeit reicht auch der Vergleich von Dackel und Wolf).

Jenny
9 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

kennen Sie etwa nicht den Königsberger Schulplan??? Humboldt wollte Eine Schule für alle, denn das dreigliedrige Schulsystem sollte in seinen Schulplänen folgenden Aufbau aufweisen:

1. Elemtarschule
2. Gymnasium
3. Hochschule oder höhere berufliche Akademie

er richtete sich explizit gegen eine frühe berufsständische Bildung und gegen Elitenbildung. Die Schule sollte allen offenstehen, denn auch dem Tischler kann es nicht schaden, mal Latein und Griechisch gelernt zu haben, so Humboldt anno 1809.

das Humboldtsche Bildungsideal ist aufgrund seines bürgerlichen Lieralismus insbesondere in den USA verwirklicht worden und dort umgesetzt worden, daher die vielen allgemeinbildenden fachübergreifenden Kurse dort in jedem Studium und die Highschool als Schulform entspricht ganz dem Humboldtschen Ideal, es ist eine Gesamtschule.

mestro
9 Jahre zuvor
Antwortet  Jenny

Bitte nicht unterschlagen, dass es 1809, als Humboldt den Königsberger Schulplan entwarf, noch keine deutschlandweite Schulpflicht gab, sondern in den meisten Ländern nur eine Unterrichtspflicht, die auch von Personen wie den Eltern wahrgenommen werden konnten.
Außerdem ist dies bei Wikipedia zu lesen:

„Der Königsberger Schulplan wurde als interne Denkschrift ebenso wie der damit zeitlich und sachlich zusammenhängende Litauische Schulplan im Herbst 1809 von Wilhelm von Humboldt kurz nach seiner Ernennung zum Sektionsleiter für Kultus und Unterricht im preußischen Innenministerium verfasst. Er beinhaltet sein Modell eines GESTUFTEN allgemeinbildenden Bildungssystems und sollte im Rahmen der Preußischen Reformen den Staat erneuern helfen.“
http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigsberger_Schulplan

Was Sie über Amerika schreiben, mag äußerlich stimmen. Ansonsten vernehme ich überwiegend Katastrophenberichte über die Zustände und das Lernniveau an amerikanischen Schulen.

jenny
9 Jahre zuvor
Antwortet  Jenny

mit gestuft war aber kein Nebeneinander mehrerer Schulformen gemeint sondern aufeinander aufbauende Stufen von der Elementarpädagogik bis zum Abitur und dann Höhere Akademien und Universitäten. Das entspricht den Schulsystemen vieler Länder von USA bis Japan, Ca, NZ, Au.

laut den mir bekannten Informationen hat Humboldt sogar aus Frust über seine gescheiterte Reform seinen Dienst quittiert, weil gewisse Personen sein Schulkonzept torpediert haben. Das soll der Grund für sein frühes Ausscheiden gewesen sein.

wenn man dem Historiker Götz Aly glauben schenken darf, wurde das Bildungswesen für das „gemeine Volk“ bis 1875/1880 vollkommen vernachlässigt mit Ausnahme der Gymnasien. Das steht in dem Buch „warum die Juden, warum die Deutschen“

http://diepresse.com/home/kultur/literatur/1300745/Gotz-Aly_Die-Juden-waren-schneller-in-der-Moderne

jenny
9 Jahre zuvor
Antwortet  Jenny

Die amerikanische kultur unterscheidet sich ganz extrem von Europa, was Bildung angeht. Damals dauerten Lehrberufe in europa oft noch 7 Jahre bis zum Gesellen. Die Auswanderer durften hingegen in den USA jeden Beruf ausüben, den sie wollten, es gab keine Grenzen und Ausbildung war nicht nötig. Das war die Kultur der Pioniere und wenn man den Erzählungen von Marx in dem Buch „Kapital“ folgt, dann waren viele Arbeiter froh über neu gewonnen Freiheiten, wo man jeden Beruf einfach ergreifen kann. Das muss man auch verstehen, woher die Kultur kommt, dass es keiner Ausbildung bedarf. Das ist geprägt aus diesen alten Zeiten, wobei in deutsch geprägten Bundesstaaten wie Wisconsin auch die Lehrausbildung Einzug hielt. Abraham Lincoln wurde übrigens über eine solche Lehrausbildung Rechtsanwalt.

Papa51
9 Jahre zuvor
Antwortet  Jenny

Wenn alle Schüler am Gymnasium sind, ist keiner mehr am Gymnasium, dann gibt es nur noch die Einheitsschule (Gemeinschaftsschule).
Das wollen Sie, Jenny, aber ich bezweifle, dass auch Humboldt das wollte.

Jenny
9 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

lesen Sie das doch nach, das Humboldtsche Bildungsideal:

http://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6nigsberger_Schulplan

Humboldt tritt für eine Schulbildung ein, die jedem Kind die Chance zur Entfaltung seiner Menschlichkeit bietet. Eine vorzeitige Prägung für die beruflichen und gesellschaftlichen Lebensaufgaben lehnt er ab:
„Alle Schulen aber, deren sich nicht ein einzelner Stand, sondern die ganze Nation oder der Staat für diese annimmt, müssen nur allgemeine Menschenbildung bezwecken. Was das Bedürfnis des Lebens oder eines einzelnen seiner Gewerbe erheischt, muß abgesondert und nach vollendetem allgemeinen Unterricht erworben werden. Wird beides vermischt, so wird die Bildung unrein, und man erhält weder vollständige Menschen noch vollständige Bürger einzelner Klassen.

Sehr utopisch klingt seine Vorstellung vom Griechisch lernenden späteren Tischler, wichtig ist für Humboldt aber der Ansatz einer gleichen Menschen- und Gemütsbildung für alle, wovon er sich eine bessere Sozialität verspricht

Daher kann es nur eine weiterführende Schulform geben, das Gymnasium, doch daneben keine Mittelschulen (heute Haupt- und Realschulen), die bereits mit Blick auf den künftigen Beruf von der Aufgabe ablenken, eine formale Übung der geistigen Kräfte vorzunehmen. Alle inhaltlichen Kenntnisse sollen auf die spätere Berufsausbildung in Spezialschulen verschoben werden

Jenny
9 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Sie glauben gar nicht, was für einen großen Einfluss Humboldt auf das amerikanische Universitätswesen ausgeübt hat. Viel prägender als in DE. Wir lachen immer darüber, wenn in den USA allgemeinbildende Kurse überall angeboten werden im Studium, die eigentlich nicht zum Programm gehören und sagen dann, dort werden Defizite ausgeglichen aus dem Schulwesen. In Wirklichkeit hat das aber Tradition und entstammt den in den USA besonders hochgehaltenem Liberalismus.

Humboldt hat damals die Allgemeinbildung als entscheidenden Faktor für das freie Individuum hervorghoben und das als Möglichkeit flexiblen Berufewechsels genannt. Das ist mit ein Grund, warum das so stark dort ins Hochschulsystem überführt wurde. Jeder allg. Kurs soll es erleichtern, leicht Berufe wechseln zu könnnen.

g. h.
9 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Da geht es Ihnen wie mir. Auch ich bin mittlerweile stolz auf die Etiketten, die Sie nennen.
Nachdem „rechts“ und „Nazi“ allmählich zu sehr auffallen in ihrer Diffamierungs-Funktion, wird seit Kurzem gern zum Begriff „ultrakonservativ“ gegriffen. Z. B. hier:
http://www.haz.de/Hannover/Aus-der-Stadt/Uebersicht/Rechte-und-Linke-beenden-Demo-in-Hannover-vorzeitig

mehrnachdenken
9 Jahre zuvor
Antwortet  g. h.

Es ist doch geradezu unverschämt und zutiefst empörend von einer Zeitung wie der HAZ – an sich eine seriöse Zeitung – Gegner des Bildungsplan „sexuelle Vielfalt“ – in die ultrakonservative Ecke zu stellen.
Gegen diesen Irrsinn aus der Ecke „Gender-Mainstreaming“ wird noch viel zu wenig demonstriert.

Von wem – bitte schön – geht denn in diesen sehr wichtigen gesellschaftspolitischen Debatten die verbale oder physische Gewalt aus?
Das sind nämlich die Leute, die sich „Toleranz“ und „Vielfalt“ auf ihre Fahnen geschrieben haben.
Verlogener geht’s kaum noch!!

realo
9 Jahre zuvor
Antwortet  Gerhard Bless

Wenn das Ihre ehrliche Meinung ist, nämlich weder rechts noch links, dann nennen Sie doch zur Ausgewogenheit einen „Chefideologen“ der „Ultralinken“ bei Namen. Dann wären Sie glaubwürdiger in dem Satz „Ideologien haben in der Schule nichts verloren, egal ob von rechts oder links!“
Oder fällt Ihnen „zufällig“ kein Ultra-Vertreter der linken Fraktion ein?

g. h.
9 Jahre zuvor

@mehrnachdenken
Falls es Sie interessiert, hier ist ein freundlicher Bericht zur DEMO FÜR ALLE in Hannover:
http://www.freiewelt.net/nachricht/scheiss-kinder-10048450/

mehrnachdenken
9 Jahre zuvor
Antwortet  g. h.

Danke für den Link. Da gruselt es mich allmählich!