Überfürsorgliche Eltern – Schulleiter platzt der Kragen und schreibt einen Brandbrief

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STUTTGART. Helikopter-Eltern – der von Josef Kraus, dem Präsidenten des Deutschen Lehrerverbands, mit seinem gleichnamigen Bestseller in die pädagogische Diskussion gewordene Reizbegriff für übermäßig kontrollierende Väter und Mütter beschreibt ein offenbar immer öfter in der Realität erkennbares Phänomen. Aktuelle Spitze: Dem Kollegium einer Grundschule in Stuttgart ist jetzt der Kragen geplatzt angesichts von Erziehungsberechtigten, die vor lauter Fürsorge den Schulbetrieb stören. Der Rektor hat deshalb jetzt einen Brandbrief an die Elternschaft geschrieben, so berichtet die „Stuttgarter Zeitung“.

Mit seinem Brandbrief will der Schulleiter die Eltern aufrütteln. Foto: herval / flickr (CC BY 2.0)
Mit seinem Brandbrief will der Schulleiter die Eltern aufrütteln. Foto: herval / flickr (CC BY 2.0)

„Persönlichkeit stärken – Gemeinschaft entwickeln“, dieser Leitspruch der Schillerschule lasse sich, im ersten Teil jedenfalls, „immer schwerer verwirklichen“, so heißt es laut Bericht in dem Brief des Schulleiters an die Eltern. „Das liegt auch daran, dass Eltern zunehmend Schwierigkeiten haben, loszulassen“, schreibt der Rektor. „So erleben wir täglich, wie viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, verkehrswidrig und häufig gefährlich an der Kreuzung vor dem Haupteingang der Schule parken, Kind und Schulranzen ausladen, den Ranzen teilweise bis ins Klassenzimmer tragen, dem Sohn oder der Tochter die Jacke abnehmen, helfen die Hausschuhe anzuziehen und dann noch die Gelegenheit nützen, die unterschiedlichsten Dinge mit der Klassenlehrerin zu besprechen. Und all dies nicht selten nach Beginn des Unterrichts um 7.45 Uhr“, so zitiert die Zeitung.

„Neben der fehlenden Selbstständigkeit der Kinder kommt es durch die große Zahl der im Haus befindlichen Eltern auch immer wieder zu Störungen des Unterrichts“, kritisiert der Rektor in dem Brief – etwa durch Elterngespräche vor Unterrichtsende im Flur oder winkende Eltern an Fenstern. Oftmals entstünden auch schwierige Situationen, beispielsweise durch einen „Papa“ auf der Jungstoilette oder Eltern, die mit fremden Kindern schimpften. „Doch diese sagen dann gleich Ausdrücke zurück – und dann eskaliert’s“, erklärt der Schulleiter gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“.

Den Eltern erklärt er in dem Brief, ihm sei eine gute Partnerschaft von Schule und Eltern wichtig. „Offenheit und Ansprechbarkeit sind in den letzten Wochen allerdings überstrapaziert worden.“ Bei „wichtigen Anliegen“, so schreibt er, hätten Lehrer und Schulleitung „natürlich weiterhin ein offenes Ohr“. Gegenüber dem Blatt erklärt der Rektor ein, die Probleme beträfen etwa 50 Eltern, keineswegs nur von Erstklässlern, sondern bis hin zur dritten Klasse. „Das Problem ist, dass wir mit Appellen nicht weiterkommen“, sagt Hermann. Denn bereits an den Klassenpflegschaftsabenden habe man die Dinge thematisiert und die Eltern etwa gebeten, die Kinder zu Fuß in Gruppen zur Schule gehen zu lassen.

Bei dem stark zugenommenen Gesprächsbedarf der Eltern gehe es oft um Kleinigkeiten. Etwa wenn ein Kind eine mit einer 3 benotete Mathematikarbeit nach Hause bringe und der Lehrer vermerkt habe: „Wenn du dich noch mehr anstrengst, kannst du eine Zwei schaffen.“ „Da stehen am nächsten rgen die Eltern auf der Matte und fordern eine Erklärung“, sagt der Schulleiter. Diese Entwicklung, die auch durch das fehlende Vertrauen der Eltern in das System Schule befördert werde, wirke sich negativ auf den Lernerfolg der Kinder aus, meint der Rektor. Unselbstständige Kinder hätten auch Probleme mit dem Lernen – „die brauchen immer jemanden, der ihnen hilft“. Allerdings sei Schule nur ein Spiegel der Gesellschaft.

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Von Kollegen anderer Schulen sei ihm für den Brief – der in der Öffentlichkeit hohe Wellen schlägt – Respekt entgegengebracht worden, berichtet der Schulleiter. Tenor: „Endlich hat mal jemand den Mund aufgemacht.“

Wie Kraus in seinem Buch „Helikopter-Eltern – Schluss mit Förderwahn und Verwöhnung“ (rowohlt, 18,95 Euro) schreibt, wächst der Anteil überforsorglicher Eltern: „Heute ist ein pädagogischer Totalitarismus angesagt.“ Die «Helikoptereltern» meinten es zwar besonders gut. „Aber das besonders Gute ist oft der Feind des Guten.“ Kraus ruft zu mehr Bodenständigkeit, Spontaneität und Intuition in der Erziehung auf. Einmischung, Umklammerung, Überbehütung: All dies kann aus Kraus’ Sicht fatale Folgen haben, nicht nur für die „gepamperten“Kinder, sondern für die gesamte Gesellschaft. Er geht sogar so weit, dass er den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat gefährdet sieht: «Lebten in ihm eines Tages nur noch gedrillte, verwöhnte, verschonte und überbehütete Menschen, würde dieses demokratische Gemeinwesen nicht mehr funktionieren, weil dann die tragfähige Basis fehlte.» News4teachers

Hier geht es zu dem Bericht in der „Stuttgarter Zeitung“.

Zum Bericht: Wenn Eltern überfürsorglich sind

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5 Kommentare
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alexander
9 Jahre zuvor

… eine befreundete Schulleiterin brachte es mal so auf den Punkt: Die Eltern sind der natürliche Feind der Lehrer…

xxx
9 Jahre zuvor
Antwortet  alexander

richtig. einige sind überbesorgt, andere scheren sich einen dreck um ihre kinder.

Biene
9 Jahre zuvor
Antwortet  xxx

Vollste Zustimmung. Das gesunde Mittelmaß wird immer weniger.

In einem Bericht hatte ich mal gelesen, das 4-jährige in Industrienationen weitaus weniger selbstständig sind als gleichaltrige bei den Naturvölkern. Das sollte zu Denken geben.

Küstenfuchs
9 Jahre zuvor

Das geht ja in der weiterführenden Schule immer so weiter: Da werden von Müttern nach einem hektischen Anruf Federtaschen, Hausaufgaben oder Sportzeug nachgetragen, wozu natürlich ohne zu klopfen in den Klassenraum reingestürmt wird (das macht Frau M. bei mir übrigens sicher nicht noch einmal:), oder es wird beim Lehrer um 21:30 angerufen, weil Fritze morgen nicht zur Schule kommen kann (und was kann ich da um diese Zeit Hilfreiches machen?).

Biene
9 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Und da die Studierenden auch, Dank G8, jünger werden als noch vor Jahren, hüpfen solche Eltern inzwischen auch an den Hochschulen umher.
Was die Kinder solcher Eltern mal mitsich bringen, darüber lässt sich im Moment nur noch spekulieren. Hoffen wir, dass es was gutes ist.