Thüringer Unternehmen wollen mehr Praktika und mehr Eigeninitiative von Schulabgängern

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ERFURT. Schulabgänger hätten oftmals keine Vorstellungen davon, wie Wirtschaft, Angebot und Nachfrage oder Geldströme funktionieren. Oftmals kämen falsche Vorstellungen bei der Berufswahl hinzu. Mehr Praktika könnten Abhilfe schaffen, erklärt Harald Bruhn vom Verband der Wirtschaft Thüringens im Interview.

Thüringer Firmen haben zunehmend Probleme, ihre Ausbildungsplätze zu besetzen. Das liege nicht nur an der sinkenden Zahl der Schulabgänger, sondern auch an fehlender Eignung der Bewerber, befindet der Vizepräsident des Verbandes der Wirtschaft Thüringens (VWT), Harald Bruhn. Er plädiert dafür, in der Schulzeit mehr Betriebspraktika anzubieten, damit Jugendliche eine Vorstellung davon bekämen, wie Wirtschaft funktioniere.

Schüler sollen schon früh Einblick ins Arbeitsleben bekommen, wünschen sich viele Unternehmen. Foto: Karl-Heinz Laube / pixelio.de
Schüler sollen schon früh Einblick ins Arbeitsleben bekommen, wünschen sich viele Unternehmen. Foto: Karl-Heinz Laube / pixelio.de

Laut einer Umfrage ihres Verbandes können 25 Prozent der Unternehmen Lehrstellen nicht besetzen, weil die Bewerber ungeeignet sind. Woran liegt das?

Bruhn: Nun, es ist nicht so, dass die Bewerber und ihre Fähigkeiten grundsätzlich schlechter geworden sind. Die Masse der Azubis kann rechnen, lesen, schreiben und findet nach einer Lehrstelle später auch einen Job. Dennoch gibt es Schulabgänger, bei denen die Grundqualifikationen nicht ausreichen. Insbesondere in den sogenannten MINT-Fächern – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – hapert es oft. Auf der Ebene der Meister und Techniker fehlt den Unternehmen bereits heute qualifizierter Nachwuchs.

Ist die Zahl der ungeeigneten Bewerber mit den Jahren gestiegen?

Bruhn: Das kann man so nicht sagen. Die Anforderungen an die Jugendlichen steigen ständig. Es gibt inzwischen zum Beispiel keinen Beruf mehr, der ohne PC-Arbeit auskommt. Der Elektriker prüft heute nicht mehr mit dem Stromprüfer, sondern mit Computertechnik die Netze durch. Hinzu kommt eine größer gewordene Berufsauswahl. Manche suchen sich Berufe, die vermeintlich einfacher in der Ausbildung sind. Ich frage mich oft, warum junge Mädchen eine Friseurlehre beginnen und nicht in die Metall- und Elektroindustrie kommen, wo sie später mehr verdienen können. Das Problem, geeignete Bewerber zu finden, wird noch durch die generell sinkende Schulabgängerzahl verschärft.

Firmen beklagen schon länger Defizite bei Schulabgängern, was muss sich ändern?

Bruhn: Es gibt schon eine Reihe von Kooperationen zwischen Wirtschaft und Schulen. Auch gibt es Firmen, die ein Vorbereitungsjahr vor die eigentliche Ausbildung schieben. Dennoch: Wir müssen viel mehr mit Praktika arbeiten. Die Schulabgänger haben oftmals keine Vorstellungen davon, wie Wirtschaft, Angebot und Nachfrage oder Geldströme funktionieren. Von den Jugendlichen selbst wünschte ich mir mehr Initiative – etwa was das Interesse an den Boys- und Girls-Days betrifft. Es gibt nicht nur eine Bringpflicht von Unternehmen, sondern ebenso eine Holpflicht von jungen Leuten.

Wie lange brauchen heute Unternehmen im Schnitt, um ihre Lehrstellen an den Mann oder die Frau zu bringen?

Bruhn: Den Betrieben ist es immer öfter erst kurz vor Ausbildungsbeginn möglich, ihre Lehrstellen zu besetzen. Da zeichnet sich ein weiterer Trend auf dem Ausbildungsmarkt ab. Zugleich treten Auszubildende trotz unterschriebenen Vertrags immer häufiger die Stellen nicht an.

ZUR PERSON: Harald Bruhn ist Vizepräsident des Verbandes der Wirtschaft Thüringens und Vorsitzender des Verbandes der Metall- und Elektro-Industrie in Thüringen (VMET). Seit 2006 ist er Kaufmännischer Geschäftsführer der Jena-Optronik GmbH. Der 53-Jährige hat einen Abschluss als Diplom-Ökonom. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. (Interview: Annett Gehler, dpa)

zum Bericht: DGB und Unternehmer streiten um Ausbildungsreife von Schulabgängern

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Reinhard
9 Jahre zuvor

Bei den Boys- und Girls-Tagen gibt es in unserer Schule immer wieder viele Ablehnungen, weil die Jungen Praktika wollen, die nicht frauenspezifisch genug sind, und die Mädchen sich Berufe anschauen wollen, die nicht männerspezifisch genug sind.