Eltern klagen immer öfter gegen Lehrer – Beispiel Oldenburg: Wie eine Lappalie sich hochschaukelt

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OLDENBURG. Ein Grundschul-Lehrer verliert offenbar im Umgang mit einem Schüler die Nerven – und geht das Kind etwas härter an. Eine Lappalie, scheinbar. Doch jetzt hat er den Vater des Jungen im Nacken, der eine Disziplinarstrafe verlangt. Offenbar kein Einzelfall: Von Seiten der Lehrerverbände ist immer öfter zu hören, dass Lehrer sich mit Klagen von Eltern herumschlagen müssen.

Brauchen Lehrer bald eine umfassende juristische Ausbildung für den Umgang mit Eltern? Foto: Q.pictures  / pixelio.de
Brauchen Lehrer bald eine umfassende juristische Ausbildung für den Umgang mit Eltern? Foto: Q.pictures / pixelio.de

Nach Angaben des Leiters der Rechtsabteilung des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Hans-Peter Etter, hat sich die Anzahl an Rechtsfällen in den vergangenen 15 Jahren insgesamt vervierfacht. „Wir beschäftigen mittlerweile drei Volljuristen, um dem gestiegenen Aufkommen Herr zu werden.“ Besonders häufig wendeten sich Lehrer an Etter und seine Kollegen, die Schwierigkeiten mit Eltern haben. „Sie stoßen sich an Ordnungs- und Erziehungsmaßnahmen, Noten und Zeugnissen.“ Gründe für die Zunahme an Elternbeschwerden gebe es viele, so der Leiter der Rechtsabteilung: Grundsätzlich würden Menschen Dinge verstärkt rechtlich hinterfragen.

Wie offenbar jetzt auch in Oldenburg. Der Lehrer soll den Schüler, einen Viertklässler, am Kragen gepackt, ihn durchgeschüttelt und mit den Worten „Wie redest du mit mir. So redest du nicht mit mir. Verstanden!“ angeschrien haben. Vorausgegangen sei angeblich ein Missverständnis über das Pausenende. Offenbar hatte eine Schülergruppe das Klingelzeichen überhört, worauf sie der Aufsicht führende Lehrer hinwies. Als der Viertklässler daraufhin antwortete, dass es noch nicht geklingelt habe, sei der Lehrer handgreiflich geworden und verbal entgleist, so heißt es in einem Bericht der „Nordwest Zeitung“.

Stimmt die Schilderung, dann war das zweifellos kein souveräner Auftritt des Pädagogen. Allerdings: Er entschuldigte sich in aller Form bei dem Kind und seinen Eltern. Das hinderte Beteiligte allerdings nicht daran, der örtlichen Lokalzeitung ein „Dossier“ mit Aussagen von Mitschülern zuzuspielen, die das – ja weitgehend unbestrittene – Fehlverhalten des Lehrers dokumentieren sollen. Darüber hinaus wandte sich der Vater umgehend an die Schulleiterin und die Landesschulbehörde. „Ich verlange eine lückenlose Aufklärung“, forderte er der „Nordwest-Zeitung“ zufolge.

Das Lokalblatt kommentierte dann auch das Geschehen mit dem Satz: „Der Vorwurf (…) wiegt schwer.“  Tut er das? Die Schulleitung prüfte den Fall. „Den Vorwurf, dass es ein pädagogisch nicht einwandfreies Verhalten eines Kollegen gegeben haben soll, nehmen wir sehr ernst“, so hieß es. Gleichwohl kam die Schulleitung zu dem Schluss: Mit der Entschuldigung sei der Vorfall abgeschlossen. Durchaus nachvollziehbar.

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Aber da hat die Schule die Rechnung ohne den Vater gemacht. Er schaltete die Schulaufsicht ein, sprach offenbar von Vertuschung. „Die Aufarbeitung des Vorfalls wurde seitens der Schulleiterin professionell und hinreichend vorgenommen, wie der involvierte Elternvertreter bestätigte“, antwortete die Behörde dem Mann. Eine „Nichtaufklärung oder Vertuschung“ sei nicht zu erkennen. Der Vorfall werde aber an die dienstrechtliche Abteilung zur Prüfung weitergeleitet. Bleibt es dort dabei, dass der Lehrer nicht belangt wird, ist der weitere Verlauf des Verfahrens abzusehen: Anzeige, Klage, Gerichtsverhandlung – Urteil.  Und so oder so eine starke psychische Belastung des betroffenen Lehrers. „Durch eine Klage oder Beschwerde beim Vorgesetzten werden Lehrer absolut verunsichert“, berichtet Justiziar Etter. „Alles andere rückt in den Hintergrund. Das beeinflusst dann auch die Arbeit.“

Der Oldenburger Fall hat zu einer hitzigen Diskussion im Forum der „Nordwest Zeitung“ geführt. „Das ist ein triftiger Grund, den Lehrerberuf gar nicht erst anzutreten: Eltern, die ihre Rechte genauestens kennen, ihre Pflichten hingegen nicht so genau und vom persönlichen Anteil an der Situation gar nichts verstehen“, so schreibt ein Leser. „Aus meiner Sicht leisten Lehrer heutzutage unglaublich viel Erziehungsarbeit – und gedankt wird es dann so.“

Ein anderer meint: „Ein Lehrer rastet sicherlich nicht einfach so aus, wobei ich das noch nicht einmal als Ausrasten sehen würde. Typisch ist aber, dass durch genau solches Verhalten der Eltern, die Schüler/Jugendlichen auch noch in ihrer zweifelsohne immer respektloseren Art bestätigt werden.“

Ein dritter meint: „Lehrern kann man keinen Vorwurf machen, wenn sie ab und an etwas schroffer reagieren (müssen). Die haben tagtäglich die misslungenen Erziehungsversuche der Eltern auszubaden.“ News4teachers

 

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sofawolf
9 Jahre zuvor

Was ich lese, rechtfertigt die Reaktion des Lehrers meinem Empfinden nach NICHT, aber grundsätzlich täten alle Lehrer gut daran, sich ein bisschen im Schulrecht auszukennen. Kaum ein Lehrer weiß z.B., dass es 2 Situationen gibt, in denen Lehrer „handgreiflich“ werden dürfen (und kaum welche Eltern wissen das). 1. nämlich, wenn Lehrer selbst tätlich angergiffen werden. 2. aber auch, wenn sie den tätlichen Angriff auf einen anderen Schüler nicht anders abwehren können. (!!!) Wichtig ist natürlich immer die sogenannte Verhältnismäßigkeit und dass es wirklich nicht anders ging (= Gefahr im Verzug). Aber kein Lehrer muss sich schlagen lassen und kein Lehrer darf bei einer Messerattacke auf einen anderen Schüler einfach nur zusehen und schöne Worte sagen. Nachzulesen hier: http://www.amazon.de/Praxisbuch-Schulrecht-b%C3%BCndig-wichtigsten-Urteile/dp/3589230002

Storb
9 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

„Kaum ein Lehrer weiß“

Unsinn. Das weiß jeder Lehrer.

Das ist hier aber auch gar nicht die Frage.

Der Kollege hat – wenn man es wohlwollend formuliert: aus „pädagogischen Gründen“ – die Nerven verloren. So wie Eltern sie auch ab und zu verlieren.

Das war falsch, was niemand bestreitet. Auch der Kollege bestreitet es nicht und hat sich entschuldigt.

Die Frage ist: Weshalb ist es damit nicht getan? Rechtfertigt die Sache disziplinarische oder gar rechtliche Maßnahmen? Da dürfte die Antwort lauten: Nein. Aber die Eltern wissen natürlich, dass niemand weiß, wie deutsche Behörden und Gerichte Dinge beurteilen. Daher gibt es für jedes noch so absurde Anliegen eine gewisse Chance, durchgebracht zu werden.

sofawolf
9 Jahre zuvor
Antwortet  Storb

„Das weiß jeder Lehrer.“

Unsinn. Das wissen viele Kollegen nicht.

Und tatsächlich geht es in der Konsequenz auch genau darum, weil es ja um „Tätlichkeiten“ geht und um die Frage, „wie tätlich“ ein Lehrer gegenüber einem Schüler werden darf, wenn Eltern Lehrer alleine deshalb vor den Kadi zerren, weil sie ihr Kind „an den Arm gefasst“ haben.

Sie haben aber Recht damit, dass auch viele Eltern nicht (genau) wissen, was ein Lehrer alles darf und was nicht und deshalb gegen Dinge vorgehen, die jedes Gericht zurückweisen würde (und wird).

sofawolf
9 Jahre zuvor

Hm es kann auch dieses Buch von Günther Hoeegg gewesen sein.

http://www.amazon.de/SchulRecht-Aus-Praxis-f%C3%BCr-Beltz/dp/3407627203/ref=sr_1_1/279-4075354-2578828?ie=UTF8&qid=1423678438&sr=8-1&keywords=hoegg+schulrecht (Die 50 Urteile sind wie eine Art „Singleauskopplung. Im „dickeren“ Buch steht das alles auch drin – und mehr.)

dickebank
9 Jahre zuvor

Kurz und gut; eine lehrkraft hat ide gleichen rechtlichen bedingungen wie jede andere Privatperson auch.

Den Angriff auf die eigene Person darf manmit adäquaten Mitteln abwehren.
Klingt zunächst einmal ganz einfach, wird aber schon schwierig, wenn man einem Gericht darlegen soll, dass der Angriff eines 8-jährigen nur durch entsprechende körperliche gegenwehr abzuwehren war. Hier gewinnt dann der Grundstz der Verhältnismäßigkeit ganz schnell besondere Bedeutung.

Die Abwehr von Gefahren gegen Dritte fällt under die Nothilfe. Hieran ist zu erkennen, dass für Lehrkräfte das „Jedermann-Recht“ gilt. Jeder darf um eine Straftat zu verhindern eingreifen und denjenigen, von dem die Rechtsverletzung ausgeht, festhalten und der Polizei übergeben. Aber auch hier gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein bischen BGB schadet nie.

Dina
9 Jahre zuvor

Ehrlich gesagt finde ich, dass hier auch mal wieder die ganze Politik um Gleichmacherei reinspielt und die ganze Testeritis. Eltern sind verunsichert, welche Konsequenzen Inklusion, große Klassen, Unterrichtsänderungen, Stundenplanverschiebungen etc. auf ihr Kind haben werden. Früher war Schule anders. Da sitzt plötzlich ein Kind mit einer emotionalen Störung mit im Unterricht und der Lehrer kümmert sich augenscheinlich mehr um dieses Kind als ums Eigene. Da ist doch das Medizinstudium schon ausgeschlossen bevor das eigene Kind die dritte Klasse erreicht hat.
Und dann wird Mathe ersetzt durch Religion, weil Lehrer krank sind, wo Deutschland doch sowieso so schlecht abschneidet.
Man müsste die Schulen mal zur Ruhe kommen lassen und nicht jedes Jahr neue Lerninhalte vorschlagen und neue Schulformen erfinden.
Ich hatte auch schon ein Disziplinarverfahren abzuwickeln. Das ist Stress. Es geht darum, ob man als Lehrer weiterarbeiten darf und das obwohl man sich maximal ungünstige Planung vorzuwerfen hat, aber die Eltern fahren schwere Geschütze auf. (in meinem Fall ging es um eine zugegebenermaßen schlecht koordinierte Gruppenarbeit, in der die Kinder nichts gelernt haben – eine Doppelstunde.) was folgt ist unverhältnismäßig. Nun wird einem nahegelegt, den Schuldienst an den Nagel zu hängen, sich versetzen zu lassen, sich kollegial beraten zu lassen, Fortbildungen zu besuchen, sich eigene Handlungen abzeichnen zu lassen….. Es gibt Gespräche, Berichte werden verlangt, Gegendarstellungen, der Personalrat wird involviert….
In meinem Fall -missglückte Gruppenarbeitsphase – hatten die Eltern große Sorgen, weil eine Arbeit anstand, die durch die Nähe der Zeugnisse nicht verschoben werden konnte. Da ich nicht wirklich einsah, wieso ich den Stoff, den wir wochenlang geübt hatten wegen ein paar missglückter Plakate ausfallen lassen sollte, waren die Eltern verzweifelt, an wen sie sich wenden könnten. Nur gingen sie direkt zur Bezirksregierung und warfen mir dann allerhand Dinge vor, die so gar nicht passiert sein konnten. In der Bezirksregierung wird das aber nicht hinterfragt. Es gibt Berichte und Gegendarstellungen. Und es wird sich nur um Dinge gekümmert, die tatsächlich ein Problem darstellen – was einerseits gut ist, in meinem Fall aber dazu führte, dass die Eltern sich Dinge ausdenken mussten, damit die Regierung auf ihre Sorgen reagierte. Die Eltern wissen nicht, an wen sie sich wenden können. Der Elternvertreter ist bestenfalls ein freiwilliger, der den Elternabend verkürzen wollte, in den meisten Fällen nicht als Ansprechpartner bei Problemen geeignet und weiß auch nicht mehr als die übrigen Eltern. Und in der Klassen-Whatsappgruppe hat sich schon alles hochgeschaukelt, bis man endlich irgendjemanden erreicht. Der Schulleiter war in meinem Fall nicht erreichbar, also ging man zur Bezirksregierung. Es gibt aber auch niemanden, der dazwischen stünde. Wenn ich meine Arbeit nicht verändern möchte, die Eltern dies aber auf jeden Fall durchboxen wollen, wer kann hier vermitteln?