Inklusion: Stoch rechnet mit Kosten von mehr als 100 Millionen Euro jährlich

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STUTTGART. Für die Integration behinderter Kinder an allgemeinen Schulen rechnet das baden-württembergische Kultusministerium für das Land künftig mit Kosten von mehr als 100 Millionen Euro im Jahr. Aufwachsend bis zum Schuljahr 2022/23 sollen jährlich etwa 150 bis 200 Lehrer zusätzlich eingestellt werden, um die Inklusion zu ermöglichen.

Hat seinen Gesetzentwurf fertig: Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch. Foto: SPD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg
Hat seinen Gesetzentwurf fertig: Baden-Württembergs Kultusminister Andreas Stoch. Foto: SPD-Fraktion im Landtag Baden-Württemberg

Insgesamt sind nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur 1350 neue Stellen vorgesehen, für die 97 Millionen Euro pro Jahr veranschlagt werden. Hinzu kommen im Endausbau Millionenzuschüsse für die Inklusion an Privatschulen. Bei diesen Plänen geht das Kultusministerium davon aus, dass 28 Prozent der Familien mit behinderten Kindern sich für eine inklusive Beschulung entscheiden.

Einen Gesetzentwurf will Kultusminister Andreas Stoch (SPD) in der übernächsten Woche der Ministerriege präsentieren. Im Gespräch war zuvor dieser Dienstag als Termin für die Kabinettsvorlage. Stoch steht zeitlich unter Druck, weil er die Schulgesetzänderung schon einmal um ein Jahr verschoben hatte und die neue Regelung zum Schuljahr 2015/16 in Kraft treten soll. Die Gespräche über die Aufnahme behinderter Kinder an allgemeinen Schulen beginnen im Frühjahr. Möglicher Hintergrund für die Verzögerung sind Unstimmigkeiten mit den kommunalen Landesverbänden – aber auch unter diesen – über die Verteilung der Kosten der Inklusion jenseits der Lehrkräfte.

In diesem Punkt hat sich das Ministerium dem Vernehmen nach aber bereits den Forderungen der Kommunen weit angenähert. Von den zunächst auf 39 Millionen Euro pro Jahr kalkulierten Kosten für Schulassistenten, bauliche Maßnahmen und Schülerbeförderung will das Land im Endausbau 30 Millionen Euro tragen. Für die Finanzierung soll es einen eigenen Gesetzentwurf geben.

Mit der geplanten Schulgesetzänderung wird die Sonderschulpflicht abgeschafft. Eltern von Kindern mit festgestelltem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot haben so die Wahl zwischen einer Sonder- und einer allgemeinen Schule. Ein Recht auf eine Wunschschule erhalten sie aber nicht. Laut dem Gesetz können behinderte Schüler auch dann inklusiv beschult werden, wenn keine Chance besteht, dass sie den Abschluss der von ihnen besuchten Schule erreichen. Ausnahmen dieses zieldifferenten Unterrichts sind die gymnasiale Oberstufe und die beruflichen Schulen. Dort ist nur zielgleicher, also am für die Schulart vorgesehenen Abschluss orientierter, gemeinsamer Unterricht möglich.

Für die Inklusion notwendige bauliche Maßnahmen und die Betreuung und Begleitung behinderter Schüler (Schulassistenz) machen die Kommunen als Schulträger das sogenannte Konnexitätsprinzip geltend, nach dem die politische Ebene die Kosten trägt, die eine Aufgabe an ein niedrigere delegiert. Grün-Rot sieht dagegen alle politischen Ebenen in der Pflicht, die UN-Menschenrechtskonvention umzusetzen.

So müssen die meisten Eltern sich weiterhin an die Kommunen wenden, wenn sie Kosten der Schulassistenz erstattet haben wollen. Es soll aber einige Pilotprojekte geben, mindestens eines in jedem Regierungsbezirk, bei denen die Eltern sich nur an eine Stelle – das Staatliche Schulamt – wenden müssen, um Anträge zu stellen und gewährt zu bekommen. Darin sieht der behindertenpolitische Experte der Grünen-Fraktion, Thomas Poreski, die beste Lösung. «Denn die Schulämter sind näher an der Welt der Schule dran als Sozial- und Jugendämter.»

Die Schulämter sollen auch bei der Koordination der Inklusion eine herausragende Rolle spielen. Dafür erhalten sie zum kommenden Schuljahr 42 Stellen, plus je 2 Stellen an jedem der 4 Regierungspräsidien. «Dabei geht es darum, entlang der regionalen Schulentwicklung Gruppen behinderter Kinder für diejenigen Schulen zusammenzufassen, die räumlich und pädagogisch den Bedürfnissen der Kinder am ehesten gerecht werden», erläuterte Poreski. Damit werde aber nicht das von den Kommunen favorisierte Konzept von Schwerpunktschulen umgesetzt. «Alle Schulen werden inklusiv, aber nicht jede Schule muss alles machen.»

Dies hält der Städtetag nicht für sinnvoll. «Wer will, dass die Großaufgabe Inklusion gut gelingt, kann nicht überall gleichzeitig damit anfangen», erläuterte der Bildungsexperte des Verbandes, Norbert Brugger. Damit verspreche man den Eltern mehr, als das Land halten könne. «Es macht die Inklusion, zu der wir uns bekennen, für die Kommunen unplanbar und unkalkulierbar.» Julia Giertz, dpa

Zum Bericht: Aus dem Amt gedrängt? Stochs Mann für Inklusion geht in den Ruhestand – „auf eigenen Wunsch“

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