Grippe und Masern ohne Ende – Schulen in Not, Experten besorgt

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BERLIN. Berlin bekommt eine Masernwelle seit Monaten nicht in den Griff. Zu viele Menschen sind nicht geimpft. Auch die Grippe hält Regionen Deutschlands in Atem – Bayern zum Beispiel. Fachleute sind angesichts der vielen Viruserkrankungen besorgt.

Die typischen Symptome der Masern sind neben Hautausschlag auch Fieber, Husten, Schnupfen und Entzündungen der Schleimhäute. Foto: Steffen Bernard / Wikimedia Commons
Die typischen Symptome der Masern sind neben Hautausschlag auch Fieber, Husten, Schnupfen und Entzündungen der Schleimhäute. Foto: Steffen Bernard / Wikimedia Commons

Die große Masernwelle bereitet Virologen zunehmend Sorgen. «Es ist beängstigend, wie lange der Ausbruch auf diesem hohen Niveau anhält», sagte Hartmut Hengel, wissenschaftlicher Beirat der Arbeitsgemeinschaft Masern am Berliner Robert Koch-Institut. Deutschland müsse aus dem aktuellen Ausbruch Lehren ziehen und die Impflücken bundesweit in allen Bevölkerungs- und Altersschichten schließen. Vor allem in Großstädten könnten sich Masernviren rasch ausbreiten, betonte der Experte.

Seit Oktober sind allein in Berlin rund 850 Menschen an Masern erkrankt, darunter viele Erwachsene. Ein Kleinkind starb im Februar an den Folgen der Infektion. Noch immer gibt es in der Hauptstadt pro Tag rund 15 neue Meldungen. Ein Viertel der Patienten kam bisher ins Krankenhaus.

Den Bayerischen Lehrer-und Lehrerinnenverband (BLLV) erreichen Hilferufe von Schulleitern und Lehrkräften, die nicht mehr wissen, wie sie den Unterricht aufrechterhalten sollen: Hier legt die Grippewelle ihre Schulen lahm. Besonders gravierend ist die Situation in Mittelfranken, Niederbayern und der Oberpfalz. „Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass dort so manche Kollegien am Ende sind“, sagte BLLV-Präsident Klaus Wenzel heute in München. Sie wüssten einfach nicht mehr, wie sie die Schüler wenigstens mit einem Notprogramm versorgen sollen. Von differenziertem Unterricht,  zusätzlichen Angeboten oder individueller Förderung rede ich gar nicht.“  Wenzel forderte das Kultusministerium auf, umgehend Maßnahmen einzuleiten und den betroffenen Schulen zu helfen. Die Mobilen Reserven reichen einfach nicht aus“, sagte Wenzel.

Die Hauptgründe für den starken und langen Ausbrüchen von Virenerkrankungen wie Grippe und Masern sieht Experte Hengel neben Unwissenheit in der Bevölkerung in großen Impflücken bei jüngeren Erwachsenen. Eine Rolle spielten aber auch Defizite in der Gesundheitspolitik und bei hausärztlichen Versorgungsstrukturen. «Wir haben keine Tradition bei der Durchführung von sogenannten Catch-up-Impfungen, mit denen man systematisch Impflücken schließt», kritisierte Hengel. «Vielleicht wird die Verantwortung für sich selbst und andere auch noch nicht ausreichend kommuniziert.»

Hengel leitet an der Freiburger Albert-Ludwigs-Universität das Institut für Virologie. Die Masernwelle in der Hauptstadt wertet er als einen der größten deutschen Ausbrüche der vergangenen zehn Jahre. «Das Virus findet in Berlin beständig empfängliche Menschen vor. Das ist ein Grund zur Sorge», sagte der Arzt. Denn das sei wie ein Spiegel der mangelnden Immunisierung in Deutschland: In einigen Altersgruppen, zum Beispiel bei jungen Erwachsenen, seien bis zu zehn Prozent nicht geimpft.

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In Berlin ergreifen die Gesundheitsbehörden nach Schulschließungen und Schulverboten für ungeimpfte Kinder inzwischen weitere Maßnahmen. Der Impfbeirat rief Eltern dazu auf, Babys schon mit neun Monaten impfen zu lassen – statt bisher mit elf Monaten. Der Appell richtete sich aber ebenfalls erneut an Erwachsene. «Auch wer ein Baby auf den Arm nimmt, muss gegen Masern geschützt sein», hieß es im Aufruf.

«Fehlender Impfschutz ist ein drängendes Problem», so Hengel. Denn es gehe nicht allein darum, sich selbst vor Ansteckung zu schützen. «Es geht auch immer um den Schutz von anderen und um die geplante Ausrottung der Masern.» Weltweit kämen jedes Jahr mehr als 100.000 Menschen durch Masern ums Leben. Eine Tragik, die beendet werden könnte, wenn sich in allen Ländern genug Menschen impfen ließen.

«Alle Erwachsenen, die keine Masern-Immunität haben, sollten unbedingt eine Impfung bekommen», betonte Hengel. In Großstädten habe es eine Masernwelle wegen der höherer Bevölkerungsdichte und mehr Kontaktmöglichkeiten über Schulen, Kindergärten und den Arbeitsplatz einfacher. Auch der Winter könne den Ausbruch begünstigen, weil sich viele Menschen in Innenräumen aufhalten und das hochansteckende Masernvirus leichter überspringen kann.

Eine Prognose für den aktuellen Masern-Ausbruch wagt Hengel nicht. Schulschließungen seien sinnvoll, um eine Ausbreitung zu verhindern, sagte er. Gesundheitsämter dürften auch private Unternehmen schließen, wenn ihnen das notwendig erscheine. Als schärfstes Mittel könnten sie Zwangsimpfungen anordnen. «Das Gesetz würde das zulassen.» Der Virologe hofft, dass Deutschland aus dem Geschehen Lehren zieht und die Impflücken in allen Bevölkerungs- und Altersschichten schließt. Einen Impfzwang hält er dabei für kontraproduktiv. «Manche würden diesen Zwang wahrscheinlich als attraktiv für einen politisch motivierten Widerstand empfinden – und das wäre unvernünftig», sagte er. Die Politik könne aber aufklären und Problembewusstsein schaffen. «Da sind wir zweifellos noch nicht am Ziel.» News4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: BLLV meldet viele Unterrichtsausfälle – wegen der Grippewelle

Zum Bericht: Schule in Berlin geschlossen: Kommen zur Grippe-Welle jetzt noch die Masern?

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2 Kommentare
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sofawolf
9 Jahre zuvor

Ich habe mich inzwischen impfen lassen.

sofawolf
9 Jahre zuvor

Achso, eine Erkältung lag noch nicht 2 Wochen zurück, aber laut fachkundiger Seiten im Internet kann man sich auch mit einer leichten Erkältung impfen lassen und sogar, wenn man sich schon mit Masern angesteckt hat (woher weiß man das???). Auf alle Fälle ist es besser geimpft zu sein als nicht geimpft zu sein. Ich hatte keinerlei Nebenwirkungen oder sonstige Probleme. Es verlief alles gut. Ich finde, es wäre verantwortungslos gewesen, jeden Tag zur Schule zu gehen und womöglich Kinder anzustecken, solange man bereits infinziert ist, aber die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist !!!