Bayerische Junglehrer: Vergleichstests stressen Kinder und Lehrkräfte

1

MÜNCHEN. „Pisa“, „Iglu“, „Timss“, „Desi“ oder diese Woche wieder aktuell „Vera“ – das alles seien Begriffe, die den Prüfungswahn in deutschen Schulen auf den Punkt bringen, heißt es in einer Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Junglehrer. Die Schüler würden nicht selten auf die Aufgabenformate hintrainiert, getestet, ausgewertet und verglichen – alles in der Hoffnung, möglichst gut abzuschneiden und nicht wieder auf die hinteren Ränge verwiesen zu werden. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit bleibe aber. „Denn, ein Schwein wird auch nicht fetter, nur weil man es öfter wiegt.“

Stress kann ansteckend sein, ermittelten Tania Singer und Clemens Kirschbaum. Foto: topgold / flickr (CC BY 2.0)
Vergleichstests sorgen laut ABJ bei Schülern wie Lehrern für Druck, Stress und Angst. Foto: topgold / flickr (CC BY 2.0)

Die bayerischen Grundschüler müssen diese Woche wieder beim „Vera“-Vergleichstest ihr Können unter Beweis stellen. Die Arbeitsgemeinschaft Bayerischer Junglehrer (ABJ) im Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband frage sich jedoch, welches Können genau geprüft werde. „Zeigen die Schüler, welches Wissen sie erworben haben und dass sie dieses anwenden können, oder stellen sie doch nur unter Beweis, dass sie sich gut auf verschiedenste Aufgabentypen einstellen können?“

Auch der Zeitpunkt der „Vera“-Tests sei mehr als unglücklich gewählt, so Kerstin Polster, Vorsitzende der ABJ. „Manche Inhalte wurden noch nicht behandelt, andere liegen wieder einige Zeit zurück.“ Sinnvoller wäre es – wenn schon getestet werden müsse – die Vergleichsarbeiten an den Anfang des Schuljahres zu verlegen, wo bei allen Schülern der Jahrgangsstufe der gleiche Wissensstand vorausgesetzt werden könne. Mitten in den Schulalltag gepresst, erzeugten sie Stress, Druck und nicht selten Angst vor Misserfolgen – bei Lehrern und Kindern. Dass während des Schuljahres durchaus Sinnvolleres anstünde als noch ein Test, müsse eigentlich nicht explizit erwähnt werden. Jeder zusätzliche Test bedeute für Schüler und Lehrer auch zusätzlichen Stress, zusätzliche Arbeit und weniger Zeit für die eigentlichen Lerninhalte.

Anzeige

Viele Kolleginnen und Kollegen befürchteten darüber hinaus nicht ohne Grund, bei schlechten Ergebnissen von Schulleitung und Elternseite unter Beschuss genommen zu werden. Um Misserfolge zu vermeiden, übten Kollegen und Eltern nicht selten mit Hilfe alter Tests, was den Test an sich ad absurdum führe und die Testergebnisse verfälsche.

Die Schüler würden nicht besser, nur weil man sie quer durch das Schuljahr wieder und wieder teste. Sie würden besser, wenn im Schulalltag genug Zeit bleibe, ihre Stärken und Schwächen individuell zu definieren und sie auf ihre Bedürfnisse hin zu fördern. Und das geschehe nicht durch „Pisa“, „Timms“, „Desi“ oder „Vera“, sondern durch eine Lernumgebung, in der ohne ständige Vergleiche und ohne frühe Misserfolgserlebnisse gelernt und verstanden werden dürfe. Auch wenn dann nicht bei der nächsten Kultusministerkonferenz mit den jüngsten Testergebnissen geprahlt werden könne.

Zum Beitrag: Jetzt auch in Rechtschreibung: KMK plant neue Länder-Vergleichstests
Zum Beitrag: PISA & Co. – 2015 wird ein Super-Testjahr für die deutschen Schulen

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

1 Kommentar
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
ysnp
8 Jahre zuvor

Nicht nur mit Hilfe alter Tests wird geübt, sondern auch die Schulbuchverlage bieten vorbereitende Übungshefte an. Da fragt man sich: Was will VERA eigentlich noch? Eine Vorbereitung scheint ja indirekt erwünscht zu sein.
Dadurch, dass man die Aufgaben nicht vorlesen darf, haben in Mathematik und im 2. Deutschbereich die Schüler, die schlecht lesen können, das Nachsehen. Auch dadurch werden die Ergebnisse verfälscht. Außerdem kommt es bei manchen Aufgabenstellungen darauf an, was man im Unterricht durchgenommen hat. Ein Beispiel aus diesem Jahr in Deutsch Sprachgebrauch: Ersetze das Wort „währte“ durch ein anderes Wort. „Die Hochzeit währte acht Tage.“ Gut, wer bis dahin Märchen durchgenommen hatte. Meine Schüler konnten die Aufgaben zum schriftlichen Additionsverfahren noch gar nicht bearbeiten, weil wir bis dahin das Thema noch nicht durchgenommen hatten. Dafür erhielten meine Schüler noch einen Schnellkurs in Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit, Daten haben wir aufgrund von VERA irgendwann im Schuljahr außerplanmäßig gemacht.
Mit einem Verschieben der VERA Arbeiten auf den Schuljahrsanfang erhält man auch keine Gerechtigkeit unter den Ländern, da Länder unterschiedlich anfangen. Außerdem – wann sollte man dies in Bayern machen? Am Anfang des 4. Schuljahres brächte dies ein unnötiges Stresselement im Übertrittsjahr; viele Schulen fangen am Anfang des Schuljahrs mit Fahrradausbildung an.
Vielleicht reden sich manche Kollegen unnötige Angst ein; bisher ist mir nicht bekannt, dass irgendwelche Lehrer wegen der VERA Ergebnisse von Elternseite oder Schulleitung Stress bekamen. Einzelfälle mag es geben, doch ich denke nicht, dass das die Norm ist.
Mein Fazit zu den VERA- Arbeiten: Vergleich (schulisch, länderweit, deutschlandweit) wegen unterschiedlicher Vorbereitung darauf und unterschiedlicher Lesefähigkeiten der Schüler verfehlt, die Vorbereitungen auf VERA – Themen und Aufgabenformate stören den Unterrichtswochenrhythmus, ich kann mir Gezielteres vorstellen, was ich in diesen Stunden machen kann, ebenso richtet man seine Jahresplanung dann eher nach den VERA – Themen aus, das nicht immer sinnvoll ist, da die Abwechslung beeinträchtigt ist. Darüber hinaus hat man grundsätzlich unnötige Korrekturarbeit, obwohl die Eingabe jetzt wirklich vereinfacht wurde. Die Aufgabenformate wurden verbessert, allerdings gibt es immer noch Aufgaben, bei denen Mehrfachnennungen möglich sind; fehlt eine Nennung, muss die Aufgabe als falsch bewertet werden.
Positiv kann ich der ganzen Aktion noch abgewinnen, dass interessante Aufgaben gestellt werden, die ich in Aufgaben und Leistungsüberprüfungen wiederum verarbeiten kann. Ebenso finde ich die Individualrückmeldungen nach Kompetenzstufen interessant, doch für mich sind sie keine Überraschung, denn sie sind ungefähr so, wie ich die Schüler sehe. Ich brauche also keine VERA um zu wissen, wo der einzelne Schüler steht.