Fernsehkritik zu „hart aber fair“: Heißes Eisen Kita-Streik – lauwarm diskutiert

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KÖLN. Es ging brav zu, gestern Abend bei Frank Plasberg. So saß die Bundesfamilienministerin neben der aktuell streikenden Kita-Leiterin Zita van Dijk, aber die mochte die Gelegenheit gar nicht nutzen, Frau Schwesig für den Tarifstreit mit zur Verantwortung zu ziehen. Denn: „Da gibt es ganz andere“. Klar, die Gewerkschaften verhandeln mit den kommunalen Arbeitgebern, nicht mit Berlin. Aber hat nicht der Bund mit dem von ihm veranlassten Rechtsanspruch schon für Einjährige, für dessen finanzielle Folgen die Kommunen jetzt aufkommen müssen, die Situation in den Kitas so eskalieren lassen? Ist es nicht Überlastung – verbunden mit einer im Verhältnis zum Arbeitsdruck als ungerecht niedrig empfundenen Bezahlung –, die die Erzieherinnen auf die Straße treibt? Davon war bei „hart aber fair“ wenig zu hören.

Moderierte eine Diskussionsrunde zum Thema Kita-Streik: Frank Plasberg. Foto: Superbass / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)
Moderierte eine Diskussionsrunde zum Thema Kita-Streik: Frank Plasberg. Foto: Superbass / Wikimedia Commons (CC BY-SA 3.0)

Wenn überhaupt von Belastung die Rede war, dann ging es in der Runde um die Eltern und, am Rande, um die Kinder. Eine alleinerziehende berufstätige Mutter, Juristin im Öffentlichen Dienst, berichtete von ihren Schwierigkeiten, eine Betreuung für ihre Tochter während der Streiktage zu organisieren – gezeigt wurde im Einspielfilm, wie sie die Sechsjährige bei der Oma abgab, die dann noch ein wenig aus dem Gartensessel heraus über den Ausstand in die Kamera schimpfen durfte („Muss denn das so lange sein?“). Drama sieht anders aus. Heinrich Wefing, stellvertretender Leiter der Politik-Redaktion der „Zeit“ und zweifacher Vater, hat aus angeblich eigener Betroffenheit ein Buch über die Belastung von berufstätigen Eltern geschrieben. So groß war die Belastung aber offenbar nicht, dass die Zeit nicht gereicht hätte, neben dem zweifellos stressigen Hauptberuf noch in der Freizeit ein Buch zu schreiben und sich darüber bei „hart aber fair“ befragen zu lassen. Auch dieser Sachverhalt half nicht, das Problem wirklich anschaulich zu machen.

Schließlich wurde noch die ehemalige Bundesfamilienministerin Kristina Schröder von Plasberg interviewt, weil sie zugunsten ihrer Familie auf eine erneute Kandidatur für ein Ministeramt verzichtet hat – und sich jetzt über viel Zeit mit ihren Kindern freut. Wie sich das mit ihrem Bundestagsmandat verträgt, das Schröder ja nach wie vor hält (ihr Mann ist Staatssekretär) und sich doch auch nicht mal eben so nebenbei engagiert ausfüllen lässt (oder?), dies blieb Schröders Geheimnis. Der brave Plasberg hakte nicht nach.

Dabei gibt es durchaus Belege dafür, dass Kindererziehung in Kombination mit einer vollen Berufstätigkeit die allermeisten Eltern an den Rand der Verzweiflung bringt. Eltern arbeiten in Deutschland deutlich mehr als kinderlose Paare und Singles, so berichtet aktuell das Statistische Bundesamt. Paare mit Kindern und Alleinerziehende sind im Durchschnitt mehr als 58 Stunden pro Woche mit Haushalt, Familie und Job beschäftigt. Das sind gut 9,5 Stunden mehr als kinderlose Paare und Singles. «Die Differenz ergibt sich vorrangig durch 10,5 Stunden mehr unbezahlte Arbeit, die etwa bei der Kinderbetreuung oder der Haushaltsführung anfällt», teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Basis ist eine Studie von 2012/13, die untersucht, wie Menschen ihre Zeit aufteilen. Allerdings: Die Daten, so deutlich sie zu sein scheinen, lassen sich durchaus noch infrage stellen. 58 Wochenstunden sind umgerechnet gerade mal 8,2 Stunden am Tag – das würde bedeuten, berufstätige Eltern hätten trotz allem immer noch einen echten Feierabend. Der dürfte in der Praxis aber eher selten vorkommen.

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Dann kam auch die Belastung der Kinder zur Sprache – in die Diskussion geworfen von der Schulärztin Maria Steuer, die meinte, eine Kita-Betreuung sei für unter Dreijährige stressig und deshalb der kindlichen Entwicklung nicht förderlich. Dieses Thema war aber schnell abgeräumt, nachdem Plasberg die Information gab, dass Manuela Schwesig („hat mir nicht geschadet“) schon mit neun Monaten in der Krippe war und zudem die Kita-Leiterin leidenschaftlich argumentierte, dass Sechsjährige genauso herzergreifend wegen der Trennung von der Mutter weinen können wie Einjährige.

Genau hier hätte die Diskussion spannend werden können. Denn die entscheidende Frage lautet doch: Ist eine Kita personell so gut aufgestellt, dass sie den Herzschmerz eines Kleinkindes (oder auch eines sechsjährigen Kindes) durch die persönliche Nähe zu einer Erzieherin wirklich lindern kann? Dabei sind Zweifel angebracht, wenn man sich zum Beispiel die Ergebnisse der Studie „STEGE – Strukturqualität und Erzieher_innen in Kindertageseinrichtungen“ anschaut. Erzieherinnen weisen danach häufiger dauerhafte gesundheitliche Einschränkungen auf als Frauen aus anderen Berufen. Bei jeder zehnten der pädagogischen Fach- und Leitungskräfte, so stellten die Wissenschaftler fest, wurde innerhalb der letzten zwölf Monate ein psychovegetatives Erschöpfungssyndrom, also ein Burn-out, ärztlich diagnostiziert. Dazu kommt fehlende Anerkennung, wie eine auf dem aktuell in Berlin stattfindenden Kitaleitungskongress vorgestellte Studie deutlich macht. Erzieherinnen sehen sich danach immer noch weitgehend als „Basteltanten“ verunglimpft. In dieser Überlastungssituation, mit großer Frustration, hohem Krankenstand und entsprechender Personalfluktuation, sollen (Klein-)Kinder gut behütet sein?

Und weil sich die Personalsituation auch dann nicht entspannen würde, wenn deutlich mehr Stellen geschaffen würden – schlicht, weil es die dafür notwendigen Erzieherinnen auf dem Markt nicht gibt –, deshalb muss der Beruf finanziell aufgewertet und damit attraktiver für den Nachwuchs werden. Womit wir wieder beim aktuellen Anlass der Sendung wären, dem Kita-Streik. Was eine Bundesfamilienministerin, außer Geld zu verteilen, noch dazu beitragen kann, für Berufsnachwuchs bei den Erzieherinnen zu sorgen (etwa die unsägliche Ausbildungssituation zu ändern), dazu hätte Plasberg Frau Schwesig ja mal in die Mangel nehmen können. Aber, wie gesagt, dafür war die Runde einfach zu brav. News4teachers

Schon die Ankündigung der Sendung hat auf news4teachers zu einer spannenden Leserdebatte zum Thema geführt. Hier geht es zu dem Forum.

 

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7 Kommentare
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mehrnachdenken
8 Jahre zuvor

Wer wissen möchte, was für Kleinkinder am besten ist, möge sich doch bitte die Interviews mit dem leider verstorbenen Dr. Bergmann ansehen.

http://www.fuerkinder.org/mediathek/video/84-video-interview-stiftung-wolfgang-bergmann

Nach Dr. Bergmann werden diese Zusammenhänge aber von der Politik und wichtigen gesellschaftlichen Gruppen verschwiegen oder schlicht geleugnet (sh. auch die Kita-Mitarbeiterin in der gestrigen Sendung).
Nach Dr. Bergmann werden diese Fakten selbst in der Erzieherinnen-Ausbildung verschwiegen oder falsch dargestellt.

Reni
8 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Werde mir demnächst die Interviews angucken, sie scheinen interessant zu sein. Was Sie über die Aussagen von Herrn Dr. Bergmann sagen, entspricht meiner Meinung. Nicht nur den Kita-Erzieherinnen, sondern auch Eltern und Lehrern wird vieles “ verschwiegen oder schlicht geleugnet“. Ich bin sogar überzeugt, dass mit Unwahrheiten argumentiert und operiert wird, wenn es den Zwecken dient.

Reni
8 Jahre zuvor

Guter Artikel, der die Schwächen der Sendung und die Möglichkeiten des Bessermachens zutreffend beschreibt. Danke, liebe Redaktion!

mehrnachdenken
8 Jahre zuvor
Antwortet  Reni

Liebe Redaktion,

seit einer gewissen Zeit lese ich nichts mehr von Nina Braun. Ist sie noch für n4t tätig?

Vielen Dank!

Beste Grüße
mehrnachdenken

mehrnachdenken
8 Jahre zuvor
Antwortet  mehrnachdenken

Liebe Redaktion,

wollen oder können Sie nicht antworten? Angeblich soll es keine „dummen“ Fragen geben.

Beste Grüße
mehrnachdenken

mehrnachdenken
8 Jahre zuvor
Antwortet  Redaktion

Liebe Frau Braun,

herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung.

Sophia Loren soll gesagt haben: „Solange noch nach mir gefragt wird, weiß ich, dass ich noch lebe.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen noch einen freundlichen Tag!

Beste Grüße
mehrnachdenken