„Millimeter bis zum Angriff“: Lehrer beklagen zunehmende Gewaltbereitschaft ihrer Schüler

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BERLIN. Gewalt gegen Lehrer ist kein neues Phänomen, aber offenbar ein sich verschärfendes Problem – bundesweit: Immer öfter berichten Pädagogen von gewalttägigen Kindern und Jugendlichen, die nicht nur Mitschüler, sondern auch Schulpersonal angreifen. Die Hamburger Schulbehörde begründete laut „Morgenpost“ unlängst den Anstieg der Fallzahlen damit, dass lediglich immer mehr Schulen sensibilisiert seien und Vorfälle meldeten. Ein zumindest fragwürdiger Erklärungsansatz. Denn Erfahrungsberichte von vielen Lehrern lassen auf eine tatsächlich erhöhte Gewaltbereitschaft mancher Schüler schließen. „Die Distanz ist nicht mehr da“, sagt etwa ein Realschullehrer aus Nordrhein-Westfalen gegenüber dem WDR.

Immer öfter sind Lehrer offenbar Angriffen ausgesetzt. Foto: gagilas /flickr (CC BY-SA 2.0)
Immer öfter sind Lehrer offenbar Angriffen ausgesetzt. Foto: gagilas /flickr (CC BY-SA 2.0)

Nachdem in jüngster Zeit Meldungen aufkamen, dass die Zahl der Angriffe auf Staatsbedienstete wie Polizisten, aber auch Lehrer zunimmt (News4teachers berichtete), äußern sich immer mehr Pädagogen besorgt – und begründen das mit persönlichen Erfahrungen. „Verbale Gewalt, die hat es schon lange gegeben“, erklärte der Realschullehrer laut WDR. „Oft sind es jetzt nur noch Millimeter bis zur physischen Attacke.“

Tatsächlich steht der Pädagoge mit dieser Einschätzung nicht alleine da. Die Vorsitzende der GEW in Wuppertal, Helga Krüger, wird vom WDR folgendermaßen zitiert: „Ich habe gehört von einer Kollegin, der im Unterricht die Haare angezündet worden sind, eine ganz fürchterliche Situation. Es kann passieren, dass eine Kollegin einen Streit schlichten will und einen Faustschlag mitten ins Gesicht erntet, alles das kann vorkommen.“ Verantwortlich für die zunehmenden Übergriffe seien nicht selten Eltern, die ihre Kinder gegen die Lehrer aufstachelten. Dazu komme das schlechte Ansehen von Lehrern zumindest in Teilen der Gesellschaft. „Jeder kennt einen Lehrer und hat schon mal in der Schule gesessen und hat schlechte Erfahrungen gemacht. Und das spiegelt sich, glaube ich, auch immer noch wieder in der Einschätzung des Lehrerberufs.“ Probleme gebe es an allen Schulformen – selbst an Grundschulen. Einer Umfrage der GEW zufolge ist in Wuppertal jeder dritte Grundschullehrer einmal von Schülern körperlich angegriffen worden. Auch die GEW im benachbarten Remscheid sammelt Berichte von Kollegen, die angegriffen wurden. „In Remscheid hat die Polizei schon Siebenjährige aus dem Unterricht geholt“, ein GEW-Vertreter. Die örtliche Politik ist sensibilisiert. Die Stadt Remscheid will jetzt mit Hilfe einer Lehrerbefragung das Thema „Gewalt an Grundschulen“ näher untersuchen, immerhin.

In der Metropole Hamburg geht die Schulbehörde offenbar gelassener mit dem Phänomen um – obwohl die Zahl der Vorfälle dort innerhalb eines Jahres um stattliche 44 Prozent anstieg. Wie die „Hamburger Morgenpost“ berichtete, meldeten die Schulen 2013 mehr als 160 Vorfälle. Bei mehr als der Hälfte der Vorfälle (95) wurden Lehrer verletzt, sieben der Betroffenen waren nach den Angriffen zeitweise dienstunfähig. Trotzdem meint die Schulbehörde dem Bericht zufolge: Von einem Anstieg der Gewalt könne nicht die Rede sein – die Lehrkräfte seien vielmehr zunehmend sensibilisiert. Die Vorfälle entstünden oft aus Handgemengen heraus, wenn Lehrkräfte zwischen Kindern schlichten wollen. Oder: Es könne auch sein, dass ein Lehrer einem Schüler ein Handy abnehmen wolle oder ihn daran hindern wolle, dass er den Raum verlasse. Als Reaktion würden einzelne Schüler dann boxen, treten oder schubsen. Na, dann. Also alles halb so schlimm?

Offenbar doch. Denn die gleiche Behörde, die gegenüber der „Morgenpost“ abwiegelt, sah sich durch die Häufung der Fälle in den letzten Jahren anscheinend veranlasst, eine Broschüre zum Thema „Gewalt gegen Schulpersonal“ herauszugeben. „Gewalt entwickelt sich in vielen Fällen mit steigender Tendenz“, so heißt es darin. „So wird oft auch zunächst im straffreien Bereich agiert, was insbesondere in Beschimpfungen und Kraftausdrücken zum Ausdruck kommt. Der Bereich der Fäkalsprache kann unter gewissen Umständen auch noch straffrei sein, denn erst mit der qualitativen Steigerung der persönlichen Ehrverletzung wird die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten. Eine weitere Entwicklung ist dann im so genannten Gewaltstrahl nicht auszuschließen, das heißt, in der weiteren Abfolge sind Gewalt gegen Sachen oder Gewalt gegen Personen in Form von Körperverletzungen, Bedrohungen, Nötigungen und Erpressungen möglich. Daraus folgt, dass bereits im Anfangsstadium einer solchen Entwicklung zielgerichtet entgegengewirkt werden muss.“ Die Schule als Organisation müsse „entschlossen deutlich machen, dass Gewalt gegen Beschäftigte nicht geduldet wird“, so heißt es.

In dem Heft werden etliche krasse Fälle angeführt:

  • Mehrere Kollegen einer Schule erhielten anonyme Drohanrufe. Die Polizei installierte eine Fangschaltung. Da die Anrufe sich nicht wiederholten, führte das zu keinem Ergebnis.
  • Ein Kollege wurde im Rahmen des Sportunterrichts von schulfremden Jugendlichen geschlagen, als er sie aus der Sportanlage verweisen wollte.
  • In einer neuen ersten Klasse waren zwei Kinder, die mehrfach Kollegen heftig in Hände, Arme und Schulter gebissen haben. Die Schulleitung hatte die Klasse bereits mit mehr Personal ausgestattet. Aber auch so konnten die plötzlichen, unvorhersehbaren Beißattacken nicht verhindert werden. Am häufigsten betroffen war eine Erzieherin, die die meiste Zeit mit den Kindern arbeitet. Sie bekam Manschetten, um ihre Arme schützen zu können.
  • Eine Lehrerin wurde ein Jahr lang von einem Schüler massiv bedrängt und verfolgt. Sie wurde in der Schule und zu Hause auf dem Anrufbeantworter bedroht. Die Reifen des Autos wurden aufgeschlitzt und das Haustier vergiftet. Das Ganze gipfelte in einem Brandanschlag auf das Haus, in dem die Lehrkraft zur Miete wohnte. Der Täter wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Ein Grundschullehrer aus Wuppertal, der aktuell vom WDR zitiert wird, hat zwar selbst noch keine Gewalt seitens der Schüler erlebt. Aber: „Eine Berührung, ein Schubsen, ein wie auch immer gearteter körperlicher Angriff. Das würde ich schon als eine ganz deutliche Überschreitung ansehen. Ich würde mir wünschen, dass es wichtig genommen wird, was wir für die Schüler leisten. Und ich wünsche mir auch mehr Möglichkeiten, mehr Ressourcen, mehr Personal, damit man diese Probleme auch lösen kann.“

Zum Bericht: Gewalt gegen Lehrer nimmt zu – von Beleidigungen bis hin zu Schlägen

 

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dickebank
8 Jahre zuvor

Wichtig ist doch nur, dass die Schüler wissen, dass sie bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres strafrechtlich nicht belangt werden können und dass die Disziplinarmaßnahmen der Schule ein stumpfes Schwert sind.

Aber ansonsten ist es schön, dass von seiten der politik schon einmal darüber gesprochen worden ist. reagieren tun die sowieso erst, wenn ein erheblicher Teil der Angegriffenen dienstunfähig geworden ist.

Küstenfuchs
8 Jahre zuvor
Antwortet  dickebank

Ganz so einfach ist das mit den 14 Jahren nicht! Leider wissen die meisten Lehrer sich da juristisch nicht zu helfen. Bei fortgesetztem rechtswidrigem Verhalten sollte man einen Anwalt aufsuchen, der dann den Schüler abmahnt. Das geht auch bei Kindern unter 14 Jahren. 400-600 Euro Kosten dürften da für den Schüler bzw. dessen Eltern zusammenkommen.

dickebank
8 Jahre zuvor
Antwortet  Küstenfuchs

Weshalb ich ja ausdrücklich schrieb „… strafrechtlich nicht belangt werden können“.

Dass bei einer Anzeige eine Eintragung in POLIS erfolgt und zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden können, ist die andere Seite der Medaille. Dass ich diese nicht erwähnt habe, bedeutet nicht, dass ich nicht von ihr wüsste.

malum
8 Jahre zuvor

“ Dass ich diese nicht erwähnt habe, bedeutet nicht, dass ich nicht von ihr wüsste.“

Gut, dass Sie das klarstellen. Was wäre nur gewesen, wenn jemand gedacht hätte, Sie wüssten nicht alles?!

sofawolf
8 Jahre zuvor

Vielleicht liegt es auch am gewandelten Lehrerbild in der Gesellschaft. Der Lehrer ist eben keine Respektperson mehr. Teilweise liegt es auch an seinem Auftreten („Kumpeltyp“), teilweise am zum Glück verschwundenen „Untertanengeist“ vergangener Zeiten. Wo Eltern wegen einer 2 einen „Krieg“ gegen den Lehrer anzetteln, sogar vor Gericht ziehen, ja, da haben eben auch Kinder keinen Respekt mehr.