Rolle rückwärts der OECD: Deutschland ist mit seiner dualen Ausbildung plötzlich Vorbild

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BERLIN. OECD-Chef Angel Gurria meint: Wenn es um eine berufsnahe Ausbildung geht, könne man von Ländern wie Deutschland eine Menge lernen – dabei wird Deutschland seit Jahren von seiner Organisation wegen seiner angeblich zu niedrigen Studierendenquote kritisiert. Grund für die Kehrtwende: Hierzulande ist die Lage für junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt gut – anders als in südeuropäischen Ländern, die früher für ihre akademischen Ausbildungswege gelobt wurden.

Unerwartetes Lob: OECD-Generalsekretär Angel Gurria. Foto: World Economic Forum / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)
Unerwartetes Lob: OECD-Generalsekretär Angel Gurria. Foto: World Economic Forum / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Man fragt sich schon: Ist die OECD noch ganz dicht? Erst im vergangenen Dezember holte sich Deutschland mal wieder einen Rüffel von der Industrieländervereinigung ab, weil der Anteil der Hochgebildeten mit akademischen Abschluss so langsam steige wie in kaum einem anderen Industriestaat. Während in Deutschland inzwischen 28 Prozent der 25- bis 64-Jährigen über einen Studienabschluss verfügen, sind dies im OECD-Schnitt 33 Prozent. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) hielt seinerzeit tapfer dagegen, dass in Deutschland den jungen Menschen mit dem Studium wie der beruflichen Bildung «zwei gleichwertige Alternativen zu Verfügung stehen». Beide böten optimale Möglichkeiten für die berufliche Zukunft.

Das sieht offenbar – nur ein halbes Jahr später – die OECD genauso. Die Chancen für junge Menschen am Arbeitsmarkt sind nach ihren Angaben in Deutschland besser als in vielen anderen Industriestaaten. Grund dafür ist unter anderem die enge Anbindung des Bildungssystems an den Arbeitsmarkt, wie aus dem neuen Qualifikationsbericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht – also genau der Umstand, für den Deutschland jahrelang heftig kritisiert wurde. «In Deutschland hat die berufliche Bildung eine starke Tradition und hilft dabei, junge Menschen in Arbeit zu bringen und ihre Karrieren zu fördern», sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurría am Mittwoch in Berlin.

Insgesamt waren 2013 in allen 34 OECD-Ländern mehr als 39 Millionen junge Menschen arbeitslos und auch nicht in Ausbildung. Das waren fünf Millionen mehr als vor der Weltwirtschaftskrise 2008. Im Vergleich zu anderen Ländern war der Anteil in Deutschland deutlich geringer: 9,7 Prozent der 15- bis 29-Jährigen befanden sich 2013 weder in einer Beschäftigung noch in Bildung oder einer Ausbildung. Der OECD-Schnitt lag bei 14,9 Prozent. In anderen Ländern ist die Situation dramatischer: In Spanien liegt die Rate bei 26,8 Prozent, in Griechenland sind es 28,5 in der Türkei 31,3 Prozent.

Positiver als in Deutschland sieht die Situation zum Beispiel in den Niederlanden (8,9 Prozent) und Norwegen (9,1 Prozent) aus. Deutschland liegt insgesamt auf Platz acht, Luxemburg auf Platz eins (6,1 Prozent).

Auch wenn es um die Kompetenzen der jungen Menschen geht, stellt der Bericht Deutschland ein positives Zeugnis aus. In den vergangen Jahren habe Deutschland laut des Berichts seine PISA-Leistungen verbessert. In den Bereichen Mathematik, Lesekompetenz und Naturwissenschaft liege Deutschland über dem OECD-Schnitt. Bei Lese- und Problemlösungskompetenzen liege man allerdings darunter. Die OECD ist Träger von PISA.

Beim Philologenverband kommt Freude darüber auf, dass – so Vorsitzender Peter Meidiger – „die OECD endlich wahrgenommen hat, dass das deutsche Schulsystem besser als andere geeignet ist, Jugendlichen zukunftsorientierte Beschäftigungsmöglichkeiten zu sichern. Noch mehr würden wir uns aber freuen, wenn die OECD endlich offen zugeben würde, dass ihre jahrelange Fixierung auf Akademisierungsquoten als Gradmesser der Bildungsqualität und wirtschaftlichen Leistungskraft nicht nur falsch, sondern auch schädlich war, wie die Länder zeigen, die derzeit unter einer Überakademisierung und hoher Jugendarbeitslosigkeit leiden.“

Ganz ohne Kritik an Deutschland kam der jüngste OECD-Bericht aber nicht aus: Ein negatives Bild zeichnet sich in Deutschland hinsichtlich der befristeten Arbeitsverträge ab. In Deutschland sei die Kluft zwischen den 15- bis 24-Jährigen und den 25- bis 54-Jährigen so groß wie sonst nur in der Schweiz, hieß es. Bei den Jüngeren hat etwa jeder Zweite einen befristeten Vertrag, in der älteren Gruppe ist es nur jeder Zehnte. Das sei ein Skandal, erklärte der Bildungsexperte des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Matthias Anbuhl. «Nur wer jungen Menschen eine gute Ausbildung, einen anständigen Lohn und gute Karriereperspektiven bietet, wird diese auch für eine berufliche Ausbildung gewinnen können.» news4teachers / mit Material der dpa

Zum Bericht: Akademisierungswahn? OECD macht sich mit Statistiken lächerlich

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3 Kommentare
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Beate S.
8 Jahre zuvor

Um die Eingangsfrage zu beantworten: Die OECD war noch nie ganz dicht; besonders nicht in ihrer Beurteilung der Bildung.
Dennoch ist erfreulich, dass ihr Generalsekretär angesichts des europäischen Arbeitsmarktes für junge Menschen gezwungen ist, meine längjährige Meinung zu bestätigen. Die Realität sorgt eben für bessere Einsicht als Utopien.
Das könnte sich Andreas Schleicher, unser OECD-Bildungsvertreter und Pisa-Papst auch endlich mal hinter die Ohren schreiben. Er könnte auch anfangen, Realitäten ernst zu nehmen anstatt sie zu ignorieren oder falsch zu interpretieren.

mehrnachdenken
8 Jahre zuvor
Antwortet  Beate S.

Der Mann gehört schlichtweg abgesetzt!!!!!!!!!!!!!!!! Er ist eine peinliche Fehlbesetzung!!!!!!!!!!!!!!!!!

jenny
8 Jahre zuvor

das norwegische Bildungssystem ist um längen besser als in DE, ebenso das der Niederlande — und das, obbwohl dort mehr schulische Alternativen zur Verfügung stehen! Hinzu kommt, dass auch das Übergangssystem anscheinend mit zu den beschäftigungsnahen Schülern gezählt wurde, obwohl diese dort ja zum Teil parken. Hauptsache beschäftigt ist die Devise.

wenn man sich das neue Datentool der Arbeitsagentur BEN ansieht, sieht man, dass das Ausbildungsangebot /die Azubis oft nicht zum Arbeitsmarkt passen, extrem ist es bei den Topberufen wie Verkäufer und Bürokaufleuten – hier wird direkt für die Arbeitslosigkeit und Prekariat ausgebildet. Dazu passt die Aussage des DGB das DE mittlerweile den am besten qualifizierten Niedriglohnsektor der Industrieländer hat, da in anderen Ländern ja eher Ungelernte dort arbeiten, in DE aber v.a. Personen mit Ausbildung, während Ungelernte vollkommen arbeitslos sind.

ich halte das für eine Fehleinschätzung – DE ist ja auch nur auf Platz 8, d.h es liegen viele Länder mit durchlässigeren oder mehr schulbasierten Strukturen noch vor DE — das System Norwegen ist mir z.B. gut bekannt.

Außerdem ist es wohl logisch dass Krisenländer schlechtere Beschäftigungsaussichten bieten, als Exortweltmeister DE, der die anderen im gemeinsamen Währungsraum niederkonkurriert, oder Länder, die derzeit wirtschaftlich besser dastehen, wie NL. Spanien und Griechenland haben seit der Finanzkrise einen absoluten Absturz erlebt.

der Jugendquotient als Anteil an der Gesamtbevölkerung ist in DE auch bereits sehr niedrig, also leichter junge leute in den Arbeitsmarkt zu schleusen