Skandal um Jugendamtsleiter: Stadt leitet Ermittlungen ein

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KÖLN. Der Gelsenkirchener Jugendamtsleiter Alfons Wissmann war nach Recherchen des WDR auch nach Rücknahme seiner Nebentätigkeitserlaubnis weiter für das von ihm und seinem Stellvertreter Thomas Frings gegründete Kinderheim der Firma Neustart im ungarischen Pécs aktiv – und hat damit offenbar die Stadt Gelsenkirchen hintergangen.

Obwohl Wissmann gegenüber der Stadt schriftlich versichert habe, zum 1. April 2005 seine Tätigkeit als Geschäftsführer bei Neustart einzustellen und die Gesellschaftsanteile an der Firma abzutreten, gebe er am 11. Juli 2005 in einer Mail an das Kinderheim in Ungarn dezidierte Anweisungen an die dortigen Mitarbeiter. Diese Mail liegt der WDR-Doku-Redaktion „die story“ vor. Darin schreibe Wissmann: „Die Arbeit wird neu verteilt.“ Im Namen der Gesellschafterversammlung von Neustart strukturiere Wissmann auch den Tagesablauf im Heim und unterstreiche: „Das ist keine Bitte, sondern eine Anordnung und ist zu befolgen. (…) Ich erwarte nun täglich eine Mail von Neustart bezüglich der Tagesstruktur.“

Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) zeigte sich schockiert. Konfrontiert mit dem Inhalt der Mail sagte er dem WDR: „Nun hat uns auch der WDR Einblick in einzelne Unterlagen gewährt. Darin werden die Betroffenen schwer belastet. Dies ist für mich jetzt der Punkt, weitere juristische Schritte einzuleiten.“ Nach WDR-Informationen soll es dabei um eine sogenannte Verdachtskündigung gehen. Dazu ist ein Arbeitgeber berechtigt, wenn er den Verdacht hat, dass ein Mitarbeiter schwerwiegende Pflichtverletzungen begangen hat.

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Doppelt verdient? Jugendamtsleiter Wissmann hat offenbar ein profitables Geschäft betrieben. Foto: Alex Proimos / flickr (CC BY-NC 2.0)

In seiner Mail an das ungarische Heim schreibt Wissmann außerdem, er sei von der Gesellschafterversammlung der Firma Neustart beauftragt, den Mitarbeitern die Ergebnisse der am 11. Juli 2005 stattgefundenen außerordentlichen Gesellschafterversammlung mitzuteilen. Die Mail zeigt deutlich, dass es in dem ungarischen Heim offenbar drunter und drüber ging: „Wir haben den Eindruck gewonnen, dass ihr den Jugendlichen zu viel Freiraum lasst und die Jugendlichen mittlerweile das Sagen in unserem Haus haben“, schreibt Wissmann. Deutlich wird, dass er sich noch zu diesem Zeitpunkt auch um die Finanzen von Neustart kümmert, die das Heim betreibt: „Wir haben viel Geld investiert, um gute Arbeitsbedingungen zu schaffen.“ Wissmann fordert außerdem einen Internetanschluss in Ungarn. Die Begründung belegt, wie aktiv er offenbar weiter die Geschicke des Heims führen wollte: „Wir wollen dann Video-Konferenzen regelmäßig mit euch durchführen. (…) Wir wollen nämlich direkt mit den Mitarbeitern Kontakt aufnehmen.“

Nach Recherchen des WDR-Magazins WESTPOL befinden sich derzeit mindestens 247 Kinder und Jugendliche aus NRW in Jugendhilfemaßnahmen im Ausland. Das ergab eine Umfrage des Magazins unter den 187 Jugendämtern des Landes, von denen etwa 70 Prozent geantwortet haben. Die Maßnahmen laufen in 22 Ländern, in Europa und weltweit, darunter auch Uruguay. Kontrolliert werden die Einrichtungen nach Angabe der Jugendämter in unterschiedlichen Abständen: ein bis zwei Mal im Jahr oder auch nur nach Aktenlage.

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