Gericht schmettert Mehrarbeit für Gymnasiallehrer ab – Rücktrittsforderung gegen Heiligenstadt

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LÜNEBURG. Krachende Pleite für Rot-Grün in Niedersachsen: Die um eine Stunde erhöhte Unterrichtszeit für Gymnasiallehrer ist verfassungswidrig. Das hat das niedersächsische Oberverwaltungsgericht in Lüneburg am Dienstag entschieden. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils forderte die FDP-Landtagsfraktion den Rücktritt von Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD). „Die Kultusministerin ist nicht mehr zu halten“, sagte deren bildungspolitischer Sprecher Björn Försterling, in Hannover. Heiligenstadt selbst sprach von einer „bitteren Niederlage“.

Hat sich bei Gymnasiallehrern nicht gerade beliebt gemacht: Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt. Foto: Martin Rulsch / Wikimedia Commons CC-by-sa 3.0/de
Hat sich bei Gymnasiallehrern nicht gerade beliebt gemacht: Niedersachsens Kultusministerin Frauke Heiligenstadt. Foto: Martin Rulsch / Wikimedia Commons CC-by-sa 3.0/de

Die von der Landesregierung verordnete Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Lehrer und Schulleiter an den niedersächsischen Gymnasien hatte seit mehr als einem Jahr für einen gehörigen Streit im Land gesorgt. Seit Beginn des Schuljahres müssen die Gymnasiallehrer 24,5 statt 23,5 Stunden pro Woche unterrichten. Darüber hinaus wurde die versprochene Altersermäßigung für Lehrer ab 55 Jahren gestrichen. Viele Lehrer weigerten sich in der Folge, die Leitung von Klassenfahrten weiter zu übernehmen. Drei Viertel aller Gymnasien in Niedersachsen haben ihr Angebot eingeschränkt – wogegen zuletzt immer mehr Schüler demonstrierten. Fünf Lehrer und zwei Schulleiter klagten mit Unterstützung von Philologenverband und GEW gegen die Neuregelung.

Und jetzt das: Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg kippt die Regelung – ohne Revisionsmöglichkeit. Lediglich die Streichung der Altersermäßigung war dem Gericht zufolge rechtens. Der Philologenverband sieht sich in dem heutigen Grundsatzurteil bestätigt. Es habe jegliche Begründung dafür gefehlt, warum gerade Gymnasiallehrkräfte und Schulleiter an Gymnasien einseitig belastet wurden, so heißt es in einer Presseerklärung des Verbandes. Damit seien der Gleichheitsgrundsatz und die Fürsorgepflicht des Grundgesetzes verletzt worden. Gleiches gelte für die Arbeitszeiterhöhung für die Leitungen der Gymnasien. „In diesem Zusammenhang sah es das Gericht kritisch, dass Landesregierung und Kultusministerin sich stur geweigert hatten, die vom Philologenverband immer wieder geforderte unabhängige Arbeitszeituntersuchung für Lehrkräfte durchzuführen“, so heißt es in der Mitteilung.

Der Vorsitzende des Philologenverbandes, Horst Audritz, bezeichnete die Entscheidung des Gerichts als „einen Sieg der Gerechtigkeit über die willkürliche Arbeitszeiterhöhung der rot-grünen Landesregierung“. Die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung von Kultusministerin Heiligenstadt, die Arbeitszeiterhöhung sei „angemessen und vertretbar“, habe sich in Luft aufgelöst. Die FDP stößt ins gleiche Horn. Nun sei endgültig klar, dass sie damit falsch liege – und sollte ihr Amt deshalb zur Verfügung stellen.

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Das hab Heiligenstadt aber offenbar nicht vor. „Wir nehmen die heutige Entscheidung des OVG mit Respekt zur Kenntnis. Zwar hat uns das Gericht in Hinblick auf die Altersermäßigung Recht gegeben, aber in Bezug auf die Unterrichtsverpflichtung müssen wir die bittere Niederlage einräumen. Die Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung für Gymnasiallehrkräfte war ein wesentlicher Baustein unserer Zukunftsoffensive Bildung. Die Auswirkungen des Urteils werden wir jetzt genau zu analysieren haben“, erklärte sie – und ließ weitere juristische Schritte offen.

Heiligenstadt: „Der Beschluss des Gerichtes stellt eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichtes in vergleichbaren Fragen zur Lehrerarbeitszeit dar. Wir werden die Gründe, die diese Gerichtsentscheidung tragen, jetzt in aller Ruhe prüfen. Die Revision ist nicht zugelassen, wir werden darüber nachdenken, ob wir wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen.“

Tatsächlich hat das Urteil, wie auch der Philologenverband feststellte, eine bundesweite Signalwirkung (wie zuletzt auch das Urteil des nordrhein-westfälischen Verfassungsgerichtshofs in Sachen Beamtenbesoldung): Der Entscheidungsspielraum von Landesregierungen, wie sie mit ihren Beamten umgehen dürfen, wird weiter eingeschränkt. News4teachers

Zum Bericht: Heiligenstadt unter Druck – Schulleiter gedeckelt, weil der eine Schülerdemo genehmigt hatte?

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drd
8 Jahre zuvor

wie kann den eine arbeitszeiterhöhung bestandteil einer zukunftsoffensve bildung sein?

alexander
8 Jahre zuvor

… die Dame wollte sich wohl als Tiger profilieren und ist als Bettvorleger aus der Angelegenheit hervorgegangen…

Werner Schneyder
8 Jahre zuvor

Das ist ein Pyrrus-Sieg für die Gymnasiallehrkräfte. Ihr Ansehen wird weiter sinken.

Das Hauptproblem liegt darin, dass deutsche Lehrkräfte generell zu viel unterrichten. Es bleibt zu wenig Zeit zu beraten und zu begleiten. Das Gymnasium braucht das aber alles nicht: Kinder werden einfach aussortiert.

GriasDi
8 Jahre zuvor
Antwortet  Werner Schneyder

Warum sollte das Ansehen der Gymnasiallehrkräfte weiter sinken, wenn ein Gericht vor einer Arbeitszeiterhöhung erst einmal eine Erhebung der Arbeitszeit fordert. Davor drücken sich die Ministerien seit Jahren.
Zu lesen bei Zeit-online:
Eine Auswertung des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2006 ermittelte für Gymnasiallehrer eine durchschnittliche Jahresarbeitszeit von 2092 Stunden. Auch Lehrer anderer Schulformen erreichten ungefähr diesen Wert. Der Vergleich mit anderen Berufsgruppen zeigt, dass zum Beispiel Ärzte mit 2102 Arbeitsstunden pro Jahr unwesentlich mehr arbeiten als Lehrer. Architekten und Ingenieure liegen bei 2081 beziehungsweise 2037 Stunden – Journalisten und Publizisten bei 1987 Stunden.

http://www.zeit.de/2009/24/C-Lehrermythen/seite-4

Küstenfuchs
8 Jahre zuvor
Antwortet  Werner Schneyder

Herr Schneider: Dummes Zeug wird nicht wahrer, wenn man es wiederholt.

rfalio
8 Jahre zuvor

Ein Lösungsvorschlag:
Der Leiter einer Behörde hat in der Regel einen geschäftsführenden Beamten, der sich um Sachen wie Haushalt, Personal (in unserem Fall auch Schüler) usw. kümmert. Damit verbleiben dem Leiter der Behöde viele zusätzliche Stunden für seine eigentlichen Aufgaben. Warum gilt das im Schulbereich nicht? Ein Schulleiter muss bürokratische Aufgaben erfüllen, für die er nie ausgebildet wurde und die ihm wertvolle Zeit für seine eigentliche Aufgabe stehlen!
Genau so gibt es in den meisten Behörden für höhere Beamte eigene Sekretärinnen oder zumindest ein Schreibbüro. Ich hätte gern jemand, der meine Protokolle schreibt, meine Leistungsnachweise oder Geldbeträge einsammelt, die Krankmeldungen annimmt und archiviert, meine Schülerakten führt, meine Kopien macht … und da gäbe ich gern eine Stunde mehr Unterricht.
Das würde sich sogar rechnen, denn ein Lehrer ist teuerer als eine Schreibkraft.
Wir sollen als Lehrer EDV- Geräte betreuen (und warten!), Sammlungen verwalten, Schülerdaten archivieren, Tests dokumentieren…
Für das Kerngeschäft Unterricht und Erziehung bleibt da kaum noch Zeit!
Also:
Bringen wir alternative Lösungsvorschläge, verlangen wir Gleichberechtigung mit anderen Behörden. sind wir nicht mehr die „blöden“ Lehrer, die Alles mit sich machen lassen.
rfalio

mehrnachdenken
8 Jahre zuvor
Antwortet  rfalio

Eine sehr sympathischer Ansatz!!
Ihre Überlegungen sollten Sie gleich der niedersächsischen Kultusministerin zukommen lassen, lach.

Palim
8 Jahre zuvor
Antwortet  rfalio

Japp,

gute Ideen dabei.

Wobei ich
a) diese Hilfen dann nicht allein im Gym sehen möchte, sondern in anderen Schulen bitte auch und

b) dennoch nicht noch eine Stunde mehr arbeiten möchte (28 sind mehr als genug), sondern die frei werdende Zeit in das Führen von Elterngesprächen, Hilfeplangesprächen, Förderung von Kindern mit Unterstützungsbedarf und/oder Hochbegabung samt Förderplänen + Evaluation etc. stecken wollte.

Man darf gespannt sein, wie das Ministerium die glorreiche Idee von vor einem Jahr nun aufarbeitet.

dickebank
8 Jahre zuvor

Was mich an dem Urteil verwundert ist die Tatsache, dass nicht zwischen der Arbeitszeit (Unterrichtsverpflichtung) von verbeamteten und tarifbeschäftigten Lehrkräften differenziert worden ist.

Schule isr der einzige Bereich des ÖD wo angestellte und Beamte die gleiche Arbeitszeitverpflichtung haben. Basierend auf dem Lüneburgerurteil sollte ein tarifbeschäftigter Gymnasiallehrer eine weitere Klage einreichen.