Kommunen überfordert? Erfurts OB Bausewein (SPD) will Schulpflicht für Flüchtlingskinder aussetzen

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ERFURT. Mit einem offenen Brief zur Flüchtlingspolitik sorgt Erfurts Oberbürgermeister Bausewein (SPD) bundesweit für Aufsehen. Darin fordert er, die Schulpflicht für Flüchtlingskinder teilweise auszusetzen. Nun hagelt es Kritik – auch aus den eigenen Reihen.

Bekommt heftigen Gegenwind: Thüringens SPD-Chef Andreas Bausewein, Foto: Michael Panse, flickr (CC BY 3.0)
Bekommt heftigen Gegenwind: Thüringens SPD-Chef Andreas Bausewein, Foto: Michael Panse, flickr (CC BY 3.0)

Mit der Forderung, die Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern einzuschränken, hat SPD-Landeschef Andreas Bausewein die Thüringer Regierungspartner gegen sich aufgebracht. Bildungsministerin Birgit Klaubert (Linke) erteilte dem Vorstoß eine klare Absage: Bildung sei ein sehr hohes Gut, daran dürften keine Abstriche gemacht werden. Ähnlich äußerte sich Astrid Rothe-Beinlich von den Grünen. Sie warf Bausewein schlechten Stil vor. Er bediene rechte Ressentiments. Heftige Kritik gab es aber auch aus der SPD.

In einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte der Erfurter Oberbürgermeister gefordert, die Schulpflicht für Flüchtlingskinder auszusetzen, bis deren Aufenthaltsstatus geklärt ist. Diese Regelung müsse zumindest bei Asylbewerbern aus sicheren Herkunftsländern gelten. Die Staatskanzlei bestätigte den Eingang des Schreibens, wollte es aber noch nicht bewerten. Bei Twitter sorgte der Vorstoß unter dem Schlagwort #Bausewein derweil für viel Häme. Der Brief ist hier im Original nachzulesen.

In Bauseweins Brief heißt es angesichts der wachsenden Zahl von Flüchtlingen, die die Kommunen aufnehmen müssen: «Fest steht: Wir stoßen mit dieser Aufgabe nicht nur an unsere Grenzen, wir haben sie bereits überschritten.» Die Stimmung in der Bevölkerung drohe zu kippen. Er möchte kein weiteres Heidenau «weder in Erfurt noch in einer anderen Stadt», schrieb Bausewein unter Bezug auf die jüngsten Ereignisse in Sachsen.

Der Sozialdemokrat fordert deswegen, die Liste sicherer Herkunftsländer zu überarbeiten und Flüchtlinge aus diesen Staaten gar nicht erst auf die Kommunen zu verteilen. Außerdem müsse die Ausreise abgelehnter Asylbewerber beschleunigt und eben die Schulpflicht für Flüchtlingskinder ausgesetzt werden, bis deren genauer Aufenthaltsstatus geklärt ist.

Derzeit gilt die Schulpflicht für Kinder zwischen 6 und 16 Jahren, sobald sie drei Monate im Land sind. «In den speziell geschaffenen Sprachklassen herrscht ein ständiger Wechsel, wenn Kinder ausreisen», kritisierte Bausewein. «Die Zahl der schulpflichtigen Kinder ohne Aufenthaltsstatus ist sehr hoch. Die Kapazitäten der Schulen sind ausgereizt.» Bei gleichbleibend hohen Flüchtlingszahlen müsse deswegen über den Bau von zusätzlichen Schulen nachgedacht werden.

Offenbar erschrocken über die Reaktionen, erklärte Bausewein im Tagesverlauf, er habe sich bei der Schulpflicht missverständlich ausgedrückt. «Ich stelle das Recht von Flüchtlingskindern auf Schulbesuch nicht infrage.» Ihm gehe es vor allem darum, dass Asylverfahren wie von der Bundesregierung angekündigt endlich beschleunigt würden, damit es nicht wie derzeit zu einem Kommen und Gehen von Kindern in den Sprachklassen komme. Im Idealfall sollte der Aufenthaltsstatus von Asylbewerbern mit Kindern klar sein, bevor die Kinder nach dreimonatigem Aufenthalt in Deutschland einen Anspruch auf Schulbesuch hätten. «Es hängt ganz viel von der Dauer der Verfahren ab.» Kinder, von denen man wisse, dass sie nicht bleiben dürften, in Schulen zu integrieren, sei nur eine Schein-Integration. «Die Kinder werden heimisch, finden Freunde und müssen wieder gehen. Das ist doppelt schlimm. Man nährt Hoffnung, wo keine ist.»

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Laut Ministerium gehen in Thüringen mehr als 5000 ausländische Kinder zur Schule – dazu zählen allerdings auch Kinder aus anderen EU-Staaten. Der Vorschlag Bauseweins sei nicht zu Ende gedacht, konstatierte Klaubert. Vielmehr müssten die Asylverfahren so geregelt werden, dass für die Familien Klarheit herrsche, bevor für ihre Kinder die Schulpflicht greife. Neben dem Schulgesetz verwies sie auf die UN-Kinderrechtskonvention.

Auf Kritik stieß der Vorstoß auch bei etlichen Sozialdemokraten – bis hin zum Vorsitzenden. «Ich halte diesen Vorschlag für falsch. Er wird sich auch garantiert nicht durchsetzen», sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel. «Bildung ist Menschenrecht, vor allem aber Kinderrecht.» Eine weitergehende Entlastung der Kommunen sei wichtig – «aber nicht auf dem Rücken von Kindern». Die Thüringer Jusos zeigten sich «schockiert» über den Vorstoß. Ex-Landeschef Christoph Matschie, einst selbst Kultusminister, sagte der «Thüringer Allgemeinen»: «Es ist wichtig für die Integration, dass diese Kinder spätestens drei Monate nach ihrer Ankunft in die Schulen gehen. Was sollen sie denn sonst den ganzen Tag tun?» Auch Fraktionschef Matthias Hey ging auf Distanz. Er verstehe zwar Bauseweins Anliegen. «Doch eine Aussetzung der Schulpflicht betrachte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.» Da müssten andere Lösungen möglich sein. Unterstützung kam dagegen von der SPD-Abgeordneten Eleonore Mühlbauer. «Wir sind bei uns im Ilmkreis am Limit.»

Widerspruch kam auch vom Sächsischen Lehrerverband. Dessen Vorsitzender Jens Weichelt betonte: Die Schulpflicht für Kinder von Asylbewerbern und Flüchtlingen müsse mit dem Verlassen der Erstaufnahmerichtung beginnen. Jüngere Kinder sollten zeitnah den Kindergarten besuchen und Jugendlichen müsse zeitnah der Besuch von Berufsbildenden Schulen ermöglicht werden. Weichelt: „Gerade die Startphase ist für den Integrationsprozess von Flüchtlingskindern besonders wichtig. Nicht selten werden hier die Weichen gestellt, ob Integration gelingt oder nicht. Für eine gelungene Integration istein erfolgreicher, von sozialer Herkunft unabhängiger Bildungsweg die Voraussetzung.“

Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring begrüßte dagegen den Vorstoß in der «Thüringer Allgemeinen»: «Ich kann der SPD nur sagen: Willkommen in der Realität.» Solange Bausewein seine Koalitionspartner nicht überzeuge, seien die Forderungen nichts als Schall und Rauch», sagte  Mohring. «Eine lösungsorientierte Politik ist bei Rot-Rot-Grün nicht möglich.» Die Erfurter Abgeordnete Marion Walsmann (CD) kritisierte das Schreiben als «reine Farce». Es sei keine Zeit für «Lippenbekenntnisse und Forderungen an andere Stellen. Es muss nun gehandelt werden».

Thüringen rechnet nach der jüngsten Prognose der Bundesregierung in diesem Jahr mit fast 22.000 Flüchtlingen und Kosten von mehr als 100 Millionen Euro. Etwa 8500 Flüchtlinge hat das Land nach Angaben des Migrationsministeriums in diesem Jahr bislang untergebracht. dpa

Zum Beitrag: Hintergrund zum Bausewein-Vorstoß: Was in Sachen Schulpflicht für Flüchtlinge gilt

Zum Bericht: Flüchtlingskinder: GEW fordert mehr Lehrer – und schlägt notfalls Einsatz von Pensionären vor

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2 Kommentare
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PseudoPolitiker
8 Jahre zuvor

„Bildung ist Menschenrecht“ – natürlich. Und Empörung ist immer leicht, wenn jemand ehrliche Worte bezüglich einer Überforderung spricht. Da ist es doch leichter, frommes Geschwätz zu dreschen ohne konkrete Lösungsvorschläge oder Hilfe für die Umsetzung. Flüchtlingskinder einfach in Schulen stecken und Klassenfrequenzen erhöhen. Darauf wird es vor allem hinauslaufen. Und Lehrer werden wie immer schweigen, denn keiner will ja ein schlechter Lehrer sein, der nicht alles schafft.

Mississippi
8 Jahre zuvor

„Man nährt Hoffnung, wo keine ist“. Typisch deutsch, nach 3 Monaten muss jeder in die Schule, ob er bleiben kann oder nicht. (Aber habe ich nicht in einem anderen Artikel gerade gelesen, auch das wäre von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich).