Computerspiele: Anlass für Unterrichtsdebatte über Rassismus und Gewalt?

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KÖLN. Bis vor kurzem war die Lage noch eindeutig: Computerspiele machen dumpf und aggressiv. Seitdem aber die breite Masse sich für Computerspiele begeistert, müssen diese Urteile differenzierter betrachtet werden. Folgerichtig findet man auf der weltgrößten Computerspielmesse Gamescom in Köln auch Diskussionen über die Ethik der Spiele. Die Redaktionen hat die Debatte verfolgt.

Spieler testen "Guitar Hero". (Foto JM)
Moralisch gesehen ein Spiel ohne Konflikte: Spieler testen „Guitar Hero“. (Foto JL)

Johannes Kristmann hatte genug. Genug von den Blockbuster-Spielen, für die sich zwar eine breite Masse interessierte. Die aber unpersönlich und gleichförmig waren und nur den kommerziellen Interessen der Unternehmen dienten. 2014 wendete er nach acht Jahren den Blockbuster-Spielen den Rücken zu und co-gründete das berliner Entwicklerstudio Maschinen-Mensch um an ungewöhnlichen Spielen zu arbeiten.
Über das Erstlingswerk des Studios „The Curious Expedition“ einer Expeditionssimulation, die im 19. Jahrhundert spielt, sagt er: „In diesem Spiel muss der Spieler moralische Entscheidungen treffen.“ So gibt es einige Situationen, die den Spieler mit den Konflikten des Kolonialismus konfrontieren. In einer Spielsituation muss er etwa entscheiden, ob er den britischen Soldaten als Beschützer behalten will, der aber ein Problem mit dem indigenen Übersetzer hat. An einer anderen Stelle findet der Spieler Goldschätze. Im Folgenden bekommt er aber den Hinweis, dass er die Schätze, wenn er sie an sich rafft, anderen stiehlt.

Spieler auf der Gamescom 2015. (Foto: JM)
Typische Szene: Spieler auf der Gamescom 2015. (Foto: JL)

Matthias Uzunoff von der Bundeszentrale für politische Bildung findet diese Art von Spielen interessant. Sagt aber: „Moralische Entscheidungen, die man in Spielen treffen muss, können unter Umständen ideologisch missbraucht werden.“ Erklärt wird das auf der Webseite spielbar.de, für die Uzunoff verantwortlich ist, folgendermaßen: „Flash-Spiele im Wahlkampf, kostenlose Spiele, die über Rechtsextremismus aufklären, Obamas Plakataktion im Rennspiel Burnout Paradise: Computerspiele mausern sich zu digitalen Flugblättern und Plakatwänden. Und natürlich haben auch schon Terrororganisationen Games für ihre Propaganda entdeckt. Längst schon gibt es die First-Person-Shooter von Hamas oder der Hizbollah, in denen man gegen Israel in den Kampf zieht. Und natürlich gibt es eine unüberschaubare Zahl an Spielen mit rechtsextremistischer Propaganda. Computerspiele sind heute ein genauso ideologisches Kampfgebiet wie Musik, Bücher oder Filme.“

Besucher warten teilweise stundenlang darauf, ein bestimmtes Spiel zu spielen. (Foto: JM)
Wartehinweise wie im Freizeitpark: Besucher warten teilweise stundenlang darauf, ein bestimmtes Spiel zu spielen. (Foto: JL)

Trotz dieser Gefahr sieht Jürgen Sleeger vom Fachbereich Medienpädagogik der Fachhochschule Köln die positiven Auswirkungen von moralischen Entscheidungen in Spielen. Im Spiel teste man sich aus, sagt er. Und moralische Entscheidungen in Spielen sensibilisieren sicherlich auch für das Verhalten in der Realität.
Die meisten Spiele behaupten jedoch nach wie vor, unpolitisch zu sein. Die weitaus häufiger aufkommende Kritik an diesen Spielen dreht sich um die extreme Gewalt. Anfang August kam eine Umfrage des Marktforschungsinstituts YouGov unter Internetnutzern zu dem Ergebnis, dass selbst unter den Befragten, die regelmäßig Computerspiele spielen, 51 Prozent der Ansicht sind, dass Spiele zu gewalttätigem Verhalten führen können. Unter den Nicht-Gamern glauben das sogar 68 Prozent.

Ob es Auswirkungen hat oder nicht, muss es denn sein, dass Spiele extrem gewalttätig sind? fragt Peter Tscherne von der Stiftung Digitale Spielekultur, der die Diskussion auf der Gamescom moderiert. So gebe es etwa in der Spielereihe „Call of Duty“ eine Szene, in der der Spieler einen Menschen foltern muss. Um weiterzukommen, müsse man diesen Menschen fast töten.
Gamedesigner Kristmann hat dazu eine klare Meinung: Diese Gewaltszene passe logisch gar nicht in die Geschichte. „Das ist eine gewollte Provokation, um mehr Aufmerksamkeit und Presse zu bekommen.“

Hostessen des Kriegsspiels "World of Warships". (Foto JM)
Moralisch höchst bedenklich: Hostessen des Kriegsspiels „World of Warships“. (Foto JM)

Kristmann hat einen positiven Blick auf den Computerspieler. Der Gamesdesigner glaubt, dass man Menschen auch über andere Mittel als Gewaltorgien für Spiele begeistern kann. In seinem Spiel gibt es so viele Entscheidungsmöglichkeiten, dass die Spieler ihre eigene Geschichte gestalten können und sich dadurch sehr mit dem Avatar identifizierten. So komme es freiwillig zu moralisch einwandfeien und sogar romatischen Entscheidungen, hat er beobachtet. „In unserem Spiel verliebt sich ein Expeditionsteilnehmer in eine Einheimische. Der Spieler muss dann entscheiden, ob der Teilnehmer bei ihr bleiben darf. Wichtig ist, er hat keinen Vorteil davon, wenn er es erlaubt. Unserer Erfahrung ist, viele erlauben es trotzdem.“

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Jedes große Spiel auf der Messe hat seine Helden in menschlicher Form vor Ort. (Foto JM)
Jedes große Spiel auf der Messe hat seine Helden in menschlicher Form vor Ort. (Foto JM)

Gut oder Böse oder beides? Das Publikum lauscht der Debatte gespannt und ist gespalten über diese Frage. Warum unbedingt immer Moral in Spiele bringen? Fragt etwa eine Frau aus dem Publikum. „Auch Brettspiele sind ja nicht immer positiv. Kann man nicht auch mal ein Schwein sein im Spiel?“

Helden aus einem Computerspiel auf der Messe. (Foto JL)
Helden im 30er Jahre-Look aus einem Computerspiel auf der Messe. (Foto JL)

Ein Mann aus dem Publikum wünscht sich weniger Klischees in Computerspielen. „Wer sich in „Battlefield“ dafür entscheidet, den Nazi zu spielen, trifft damit ja eine klare Entscheidung. Kann es nicht mal ein Spiel geben, in dem die Fronten nicht so klar sind? In der Realität ist das ja auch so.“

Fazit: Spiele arbeiten mit klaren Vorgaben und Klischees. Das macht vermutlich auch den Reiz für viele Menschen aus. Je mehr Spiele es gibt, desto differenzierter werden jedoch auch die Entwicklungen werden. Man darf gespannt sein. Gerade wegen der Kontroversen, die es zu dem Thema gibt, sei das Thema gut geeignet für Lehrer und Pädagogen, findet Medienpädagoge Jürgen Sleegers. „Man könnte beispielsweise Formate entwickeln wie ‚let’s play and talk together‘, um das Thema zu vertiefen.“, schlägt er vor. Nina Braun

Die Experten der Diskussionsrunde empfehlen die folgenden Spiele, die moralische Entscheidungen zum Thema machen:

„Walking Dead“
„Papers, please“
„The Journey“
„Shadow of the colosos“

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