Alphabetisierungstag: Jeder Siebte hat Lese- und Schreibprobleme – KMK-Chefin Kurth fordert mehr Engagement

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BERLIN. In Deutschland kann etwa jeder Siebte im Erwerbsalter so schlecht schreiben und lesen, dass man ihn als Analphabeten bezeichnen kann. Die Politik will mehr für diese Benachteiligten tun – mit viel Geld und effektiven Netzwerken. Am morgigen Dienstag ist Weltalphabetisierungstag.

Fordert die Länder zum Einsatz auf: KMK-Präsidentin Brunhild Kurth. Foto: PR
Fordert die Länder zum Einsatz auf: KMK-Präsidentin Brunhild Kurth. Foto: PR

Angesichts von bundesweit rund 7,5 Millionen Menschen mit großen Schreib- und Leseproblemen wollen Bund und Länder ihre Anstrengungen für «funktionale Analphabeten» verstärken. «Mit Blick auf die Dimension des Problems stellt sich doch die Frage: Reichen Angebot und Nachfrage und die bisherigen Maßnahmen zur Alphabetisierung noch aus? Hier ist noch viel mehr möglich», sagte die Präsidentin der Kultusministerkonferenz der Länder (KMK), Brunhild Kurth (CDU).
Die sächsische Ressortchefin stellt an diesem Dienstag zusammen mit Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) eine Kampagne zur «Nationalen Dekade für Alphabetisierung» vor. Offizieller Anlass ist der Weltalphabetisierungstag 2015, den die Unesco als Kulturorganisation der Vereinten Nationen ausgerufen hat.

Zwar hätten alle Bundesländer Programme zur Alphabetisierung aufgelegt, sagte Kurth. Aber: «Es gilt nun, diese Programme auf die Lerninhalte anzuschauen. Und es geht um Nachhaltigkeit – die Programme müssen verstetigt werden, und sie können weiter ausgebaut werden.» Schon jetzt werde viel Geld in den Kampf gegen Analphabetismus investiert, betonte die Ministerin.

Allein Sachsen stelle schon in der zweiten Förderperiode 15 Millionen Euro für sieben Jahre bereit. Das Bundesbildungsministerium (BMBF) startete vor vier Jahren eine Initiative mit rund 20 Millionen Euro, die 2015 ausläuft. Für die Informationskampagne «Lesen & Schreiben – mein Schlüssel zur Welt» stellte das BMBF 5 Millionen Euro bereit.

«Geld ist die eine Seite», sagte Kurth. «Die andere ist, dass wir das Thema Alphabetisierung an allen Schnittstellen ansprechen, ich denke da auch an den Sportverein oder an den Arbeitsplatz. Dieses Thema muss raus aus der Tabuzone, die Bevölkerung muss sensibilisiert werden.» Oft versteckten sich viele «funktionale Analphabeten», also Menschen zwischen 18 und 64, die keine zusammenhängenden Texte lesen und schreiben können. «Sie sollen aus dem Schatten heraustreten und die Möglichkeit haben, in den Alpha-Netzwerken mit Helfern vertraulich ins Gespräch zu kommen. Da gibt es eine sehr gute Erfolgsquote.»

Der Bundesverband Alphabetisierung rief zu Hilfe und Verständnis für Menschen mit Lese- und Schreibschwäche auf. «Der Welt-Alpha-Tag schafft Aufmerksamkeit und erreicht Betroffene», sagte Verbandssprecher Jan-Peter Kalisch in Münster. Der Anteil der Erwachsenen, die nicht flüssig lesen und schreiben können, hat sich nach Erkenntnis der Organisation über die Jahre nicht verringert. «Man muss davon ausgehen, dass es eher mehr werden», so Kalisch.

Die Anforderungen der Gesellschaft, lesen und schreiben zu können, seien indes deutlich gestiegen. Auch gebe es immer weniger geeignete Berufe für funktionale Analphabeten, sagte der Sprecher. Alphabetisierungskurse der Volkshochschulen würden vor allem von Menschen ab 40, 50 oder sogar 60 Jahren besucht. Aber meist versuchten Betroffene, ihre Schwäche im Alltag zu verstecken. Von Werner Herpell und Ulrike Hofsähs, dpa

Zum Bericht: Studie: Analphabetismus schädigt Unternehmen – doch die wenigsten Betriebe investieren in Bildung

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2 Kommentare
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stillmann
8 Jahre zuvor

Gut 14 Prozent der Menschen im erwerbstätigen Alter (wahrscheinlich der jüngeren Generation zugehörig) sind also so lese- und rechtschreibschwach, „dass man sie als Analphabeten bezeichnen kann“. Die Politik will mehr für diese Benachteiligten tun“, heißt es.
Das klingt nach ungewolltem Hohn. Woher stammen denn die „Benachteiligung“ und die massenhafte Zunahme an Pseudo-Legasthenikern, die mit einer Behinderung ins Leben gehen, die nicht sein müsste?
Vorsicht bei der Abschaffung bewährter pädagogischer Wege ist allemal besser als nachträgliche Versuche, die Folgen von neumodischen Irrwegen ein wenig zu lindern.

xxx
8 Jahre zuvor
Antwortet  stillmann

Darin eingerechnet sind die Schreiben-nach-Gehör-Analphabeten wohl noch nicht, weil die noch nicht lange genug im erwerbstätigen bzw. -fähigen Alter sind.