Angst vor Abschiebung: In Berlin werden Kinder von der Polizei aus der Klasse geholt

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BERLIN. Sie fliehen vor Armut und Gewalt, haben lange Wege und Strapazen auf sich genommen, um nach Deutschland zu kommen. Allein zwischen Januar und Juni 2015 sind laut Spiegel-Informationen 55.000 minderjährige Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Durch verpflichtenden Schulunterricht soll ihnen die Integration in ihrer neuen Heimat besser gelingen. Solange, bis plötzlich die Polizei in der Klasse steht…

Die Stadt Köln bietet Roma-Kindern im Projekt "Amaro Kher" spezielle Integrationsprogramme an. (Bild: Alex Büttner)
In speziellen Übergangsklassen werden Flüchtlingskinder in den Schulalltag integriert – wie hier in Köln. (Bild: Alex Büttner)

So geschehen vergangene Woche in Berlin, als ein Kind direkt aus einer Förderklasse für Flüchtlinge geholt wurde, weil seine Familie abgeschoben werden sollte. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) kritisierte das Vorgehen als „pädagogische Katastrophe“. Die Kritik richtet sich dabei vor allem gegen Innensenator Henkel (CDU), der als oberster Dienstherr der Berliner Polizei solche unsensiblen Zugriffe verhindern könnte. „Es ist richtig, dass Menschen, die hier keine Perspektive haben, abgeschoben werden“, sagte Müller, „aber es ist inakzeptabel, dass Kinder aus Willkommensklassen geholt werden.“ Nach Informationen des Tagesspiegels waren bereits Anfang September in Berlin drei serbische Kinder unangekündigt aus dem Unterricht geholt worden; Mitte Juni musste ein siebenjähriges Mädchen aus Serbien die Schule abrupt verlassen.

Der Anspruch auf Schulbesuch gilt deutschlandweit – unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Zudem haben inzwischen fast alle Bundesländer eine Schulpflicht für Flüchtlinge und Asylbewerber eingeführt, meist nach drei oder sechs Monaten Aufenthalt in Deutschland (Berlin bildet hier noch eine Ausnahme). Sie werden zunächst vor allem in speziellen Förderklassen untergebracht, wie sie zum neuen Schuljahr tausendfach ins Leben gerufen wurden – auch Vorbereitungsklassen (Baden-Württemberg), Übergangsklassen (Bayern) oder Willkommensklassen (Berlin) genannt. 3.000 zusätzliche Pädagogen stellen die Länder dafür zusätzlich ein.

Die Angst vor einer – auch angekündigten – Abschiebung betrifft die Lehrer dabei ebenso wie die Schüler. „Wir bauen die sozialen Gruppen in der Schule mühsam auf – dann zerreißt die Abschiebung den Zusammenhang wieder“, sagte die Leiterin einer Willkommensklasse gegenüber der Zeitschrift „der Freitag“. Diese andauernde Drohung auf Abschiebung gehöre laut „der Freitag“ damit zu den drei wichtigsten Problemen, denen sich Schulen in Zusammenhang mit der Flüchtlingsfrage stellen müssten. Die anderen drängenden Probleme seien zu wenige Deutschlehrer, die Deutsch als Fremdsprache unterrichten könnten, sowie zu wenige Schulpsychologen.

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Vor allem für den Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern kommt den Schulen nach Ansicht des Traumaexperten Georg Piper jedoch eine Schlüsselrolle zu. Der Psychologe fordert daher mehr Unterstützung für die Lehrer. Lehrer könnten in den Vorbereitungsklassen recht einfache therapeutische Mittel einsetzen, um den Kindern bei der Bewältigung ihres Traumas zu helfen, sagte er der dpa. Dafür müssten sie allerdings geschult werden.

Wie sich Lehrer im Fall einer plötzlichen Abschiebung am besten verhalten, könnte in diesem Zusammenhang ebenfalls vermittelt werden. Denn auch dieses Erlebnis kann für Kinder zu einem traumatischen Erlebnis werden.

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7 Kommentare
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ketzer
8 Jahre zuvor

Vielleicht hätte die Polizei gleich einen Trauma-Psychologen mitbringen sollen. Psychologische Betreuung ist doch bei allem, was heutzutage als traumatisches Erlebnis eingestuft wird, das A und O in der Absicherung gesetzlichen Vorgehens vor kritischen Stimmen.

Manfred Millmann
8 Jahre zuvor

Einmal mehr zeigen die selbsternannten Christen ihr wahres Gesicht :
Auf der Strasse Gastfreundschaft heucheln, daheim klammheimliche
Freude, einen „Sozialschmarotzer mehr“ abgeschoben zu haben. Und
die Sozialdemokraten freuen sich, dass ihre christlichen Partner die
Drecksarbeit machen.

geli
8 Jahre zuvor
Antwortet  Manfred Millmann

Herr Millmann, Ihre leidenschaftlichen Worte gegen die bösen Abschieber, zeigen mir, dass Sie zu den Guten gehören, zu den Bürgern von Helldeutschland sozusagen. Ich bin sicher, dass Sie nicht einer von denen sind, die auf der Straße oder in Internet-Foren „Gastfreundschaft heucheln“, sondern diese selbstverständlich in den eigenen vier Wänden praktizieren.
Was nützt unsere Empörung gegen Fremdenfeindlichkeit (außer dass sie einen guten Eindruck macht), wenn wir nicht selbsttätig werden? Außerdem könnten böse Zungen behaupten, wir seien nur anerkennungssüchtige Maulhelden, die sich auf bequeme Art Anerkennung verschaffen wollen. Die Welt ist ja so schlecht – abgesehen von uns natürlich.
Meine konkreten Fragen: Welche Erfahrungen haben Sie als Gastgeber mit Flüchtlingen gemacht? Gibt es typische Fehler, die ich vermeiden sollte? Und welche Schritte muss ich tun, wenn ich Fremde bei mir aufnehmen will?
Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort!

Pälzer
8 Jahre zuvor
Antwortet  Manfred Millmann

Was ist der Unterschied zwischen selbsternannten und fremdernannten Christen? und wo kommt die erstere böse Sorte in dem Beschriebenen vor?

Nochbessermensch
8 Jahre zuvor

Ja, so ist das heute. Alle wollen gut sein. Aber was ist gut? Ist es gut, Menschen Dinge zu versprechen, die man dann – langfristig ?- nicht halten kann? So etwas ist verantwortungslos und keineswegs gut. Bei allem Guthandeln mit Gefühl und Mitgefühl sollte man auch den Kopf einschalten und die eigenen – möglicherweise auch vorläufigen – Grenzen -oder die eines Landes beachten und einhalten. Das gilt im privaten Bereich ebenso wie im politischen. Handeln kann nur mit Kopf, Hand und Herz gut und harmonisch sein. Also der Kopf ist auch wichtig, genauso wie das Herz. Und die Natur hat den Kopf oben platziert. Wir sollten ihn nutzen und auch mit Verstand handeln. Es ist eben – noch? – ein Rechtsstaat. Das sollte so bleiben.

Pälzer
8 Jahre zuvor

Was im Artikel nicht so klar formuliert wird: handelt es sich hier um ein ungesetzliches Vorgehen der Polizei? Oder wurden die Kinder aus der Klasse geholt, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde? Wieviel Stunden, Tage oder Wochen nach dem Bescheid erfolgte die Abschiebung? Welche Alternativen zur Abschiebung sind vorgeschlagen worden?

Dina
8 Jahre zuvor
Antwortet  Pälzer

@Pälzer, ich glaube, dass dies unwichtig ist. Es geht ja darum, dass die Polizei in Klassen hineinstolpert, die gerade unterrichtet werden. Das würde im normalen Unterricht stören, aber in diesen Klassen haben die Kinder Angst, dass der Einsatz ihnen gelten könnte und damit wird die Schule zum unsichersten Ort überhaupt. Also auch die anderen, die keinen Abschiebungsbescheid erhalten haben bekommen Angst – zumal in dem einen Fall ein siebenjähriges Kind betroffen war, dass mit Sicherheit nicht einmal die Hälfte dessen verstand, was um sie herum passierte. Die Alternative zu dieser Art der Abschiebung wäre: Die Eltern aufspüren und mitnehmen, die Kinder werden nicht allein hier bleiben. Oder wenn das aus irgendwelchen merkwürdigen Gründen nciht möglich ist, zumindest bis zum Ende der Schule warten.