Stoch schreibt jetzt Lehrer im Ruhestand an: Wir brauchen Sie, um Flüchtlingskinder zu unterrichten! VBE grummelt

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STUTTGART. Steigende Flüchtlingszahlen binden alle Ressourcen. Die Lehrer für den Deutschunterricht werden knapp. Nun sollen in Baden-Württemberg Pädagogen im Ruhestand helfen. Kultusminister Andreas Stoch lässt Pensionäre anschreiben.

Wirbt um Ruheständler: Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Foto: Sven Teschke/Wikimedia Commons (CC-BY-SA-3.0)
Wirbt um Ruheständler: Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Foto: Sven Teschke/Wikimedia Commons (CC-BY-SA-3.0)

Das baden-württembergische Kultusministerium will pensionierte Lehrer in den nächsten Tagen gezielt anschreiben, um sie für den Unterricht von Flüchtlingen zu gewinnen. «Ich bitte herzlich um Ihre Mithilfe in dieser außergewöhnlichen Situation. Sofern Sie es mit Ihrer Lebensplanung in Einklang bringen können, würde ich mich über Ihre Bereitschaft freuen, junge Flüchtlinge zu unterrichten», heißt es in dem entsprechendem Brief von Ressortchef Andreas Stoch (SPD). Die Pädagogen sollen in den Vorbereitungsklassen eingesetzt werden, die junge Asylsuchende fit für den Besuch der Schule machen. In den Klassen geht es vor allem um die Vermittlung von entsprechenden Sprachkenntnissen.

Wie viele ehemalige Lehrer genau angeschrieben werden sollen war zunächst genauso unklar wie der Zeitpunkt der Aussendung. Die Zahl der Vorbereitungsklassen nahm aufgrund der steigenden Flüchtlingszahlen zu. Waren es im Schuljahr 2013/14 927 Klassen mit 12 850 Schülern, sind es aktuell 1878 Klassen mit 27 016 Schülern. Das Finanzministerium prüft gerade die rechtlichen Voraussetzungen, um Pensionäre wieder verstärkt einsetzen zu können.

Ein Sprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sagte, bislang gebe es sehr enge Grenzen. Dies sei bei ehemaligen Lehrern nur wenige Stunden pro Woche möglich. Beamte bekommen ihren Zuverdienst auf die Pension angerechnet. Sie dürfen aber nicht mehr verdienen als die Differenz zwischen der Pension und dem früheren Gehalt als aktiver Beamter – im Regelfall sind das knapp 30 Prozent.

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Von der oppositionellen FDP-Fraktion bekam Stoch Zustimmung. «Allerdings ist es bezeichnend, dass die Regierungspräsidien bereits im August aktiv wurden, die Landesregierung in den Startlöchern stecken bleibt und der Kultusminister das Thema jetzt im Alleingang angeht», sagte Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Der CDU-Fraktionsvorsitzende und Kretschmann-Herausforderer Guido Wolf sagte: «Die Prüfung einer Lockerung des Beamtenversorgungsgesetzes hätte schon längst erfolgen können.» Erneut zeige sich, dass die Landesregierung und speziell Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beim Thema Flüchtlinge Getriebene der aktuellen Situation seien. «Dass jetzt Kultusminister Stoch alleine vorprescht, zeigt doch, wie in den Reihen der Landesregierung der Kittel brennt.»

Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) äußerte sich kritisch über die Aktion. Er weist in einer Pressemitteilung darauf hin, „dass der Einsatz der Pensionäre lediglich zeitlich eng befristet erfolgen darf und eine vorübergehende Maßnahme darstellt, mit der der besonderen Dringlichkeit der aktuellen Situation Rechnung getragen wird“.

Dennoch gehe der VBE davon aus, dass sich diese Situation in den nächsten Jahren nicht legen wird. „Die Kinder sind hier und werden viele Jahre bei uns die Schule besuchen. Es müssen folglich rasch strukturelle Maßnahmen ein¬geleitet werden, die dazu geeignet sind, dieser Situation dauerhaft gerecht zu werden. Um eine qualitativ hochwertige Arbeit leisten zu können, sind sofortige Fortbildungsmaßnahmen für alle betroffenen Lehrkräfte und Pensionäre anzubieten, wobei der Schwerpunkt auf Unterricht in Deutsch als Fremdsprache und auf Formen interkulturellen Lernens mit allen Schülern zu legen ist“, so heißt es.

Und weiter: „Der VBE rügt in aller Deutlichkeit, dass in Phasen wirtschaftlicher Prosperität nicht dafür Sorge getragen worden ist, eine ausreichende Vertretungslehrerreserve aufzubauen, denn dann hätte man jetzt Ressourcen, mit denen man schnell (re)agieren könnte.“ Obendrein rufe die Landesregierung jetzt die Personengruppe zur Hilfe, der sie bei der letzten Lohnrunde, was Versorgung und Beihilfe im Krankheitsfall betrifft, „besonders wehgetan“ habe. News4teachers / mit Material der dpa

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sofawolf
8 Jahre zuvor

Die Frage ist weniger, wo man Lehrer herbekommen will, an denen es ja schon in den letzten Jahren mangelte. Die Frage ist vielmehr, wie man all diese vielen neuen Lehrer bezahlen will, wenn man es doch schon in all den letzten Jahren nicht konnte und nicht wollte (Stichwort: Klassengrößen verkleinern) ?!?

Pälzer
8 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

als Kind aus einer Mehrkinderfamilie erlebte ich: wenn mehr Kinder beim Geburtstag sind, muss man die Kuchenstücke kleiner schneiden.

sofawolf
8 Jahre zuvor

@ Pfälzer, Sie meinen (schrieben Sie das nicht schon anderswo oder irre ich mich), dass Lehrer dann weniger verdienen sollen, damit mehr Lehrer eingestellt werden können. Nun, das klingt auf den ersten Blick verständlich. Aber müssen dann nicht alle weniger verdienen, damit wir mehr Geld für die Integration der Flüchtlinge übrig haben? Also doch so’ne Art „Soli“? Was dazu wohl die „Massen“ sagen werden – aber wissen Sie, solange einzelne Chefs und Manager 16-Millionen-Jahres-Gehälter haben, wie „gerecht“ ist da Ihre Forderung, dass wir anderen abgeben sollen?

Mississippi
8 Jahre zuvor

Ehrlich gesagt, kann ich es verstehen, wenn man als Pensionär/in eine andere Ruhestandsplanung vorzieht, als Fortbildungen und Arbeit, auch wenn es für einen „Guten Zweck“ wäre.

Pälzer
8 Jahre zuvor
Antwortet  Mississippi

klar, als Verpflichtung wäre es eine dreiste Zumutung. Aber fragen darf man doch, ob sich Pensionäre engagieren wollen? Das ganze „Wir schaffen das“ wird doch nur mit freiwilligem Tun gelingen.
Da die Bundeskanzlerin klargestellt hat, es werde keine Obergrenze der Flüchtlingsaufnahme geben, ist auch nicht ausgeschlossen, dass es zu einer Art „Soli“ kommen wird (vermutlich eher versteckt über neue Schulden als über eine offen sichtbare Steuer), denn wir wissen ja nicht, wie viele in Libanon und Türkei bleiben werden. Ich finde das nur dann schlimm, wenn es vertuscht wird.

Peter
8 Jahre zuvor

Alles schön und gut, ich frage mich nur was mit den ganzen „neuen“ Lehrern von morgen ist… Als Referendar bekommt man momentan (zumindest in Hessen) nur zu hören das es SEHR schlecht um eine Einstellung bestellt ist…
Evtl. sollte man diese Personalgruppe erstmal einstellen…