Erreicht Elternarbeit die „richtigen“ Eltern? – Es gibt noch Potenziale

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BERLIN. Helikoptereltern auf der einen Seite, indifferente Eltern, die für die Schule nicht erreichbar sind auf der anderen. Die „Erziehungspartnerschaft“ zwischen Schule und Elternhaus ist in vielen Fällen nur ein in weiter Ferne leuchtendes Ideal. Damit gehen dem Schulsystem wichtige Potenziale verloren.

Für eine gezielte und nachhaltige Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Eltern bleibt im Schulalltag häufig nur wenig Zeit. Explizit spiegelt sich das etwa in einer (von einem nordrhein-westfälischen Gymnasium versandten) Einladung zum Elternsprechtag, in der es heißt: „Sehr geehrte Eltern, bei diesem Elternsprechtag wollen wir wieder in erster Linie die Erziehungsberechtigten der gefährdeten Schüler erreichen. Alle anderen bitten wir herzlich, nur in begründeten Fällen oder wenn Sie von den Lehrern ausdrücklich bestellt werden, zu kommen. Ansonsten sind Sie herzlich eingeladen, die Möglichkeit der Beratung in den wöchentlichen Sprechstunden wahrzunehmen. […] Um einen reibungslosen Ablauf des Nachmittags zu gewährleisten, akzeptieren Sie bitte auch, wenn Sie auf die normalen Sprechstunden verwiesen werden oder wenn Ihr Besuch – z.B. auf Grund der guten Leistungen Ihres Kindes – gar nicht nötig erscheint.“

„Zwar bildeten die „normalen“ Eltern, mit denen eine Zusammenarbeit zum Wohl des Kindes gut funktioniert, noch die Mehrheit, doch nehmen die extremen Haltungen zu und binden Zeit und Energie der Lehrer“, heißt es schon 2013 in der Studie Eltern - Lehrer – Schulerfolg“ der Katholischen Stiftungsfachhochschule Benediktbeuern. Foto: Jeff Howard / flickr (CC BY-NC-ND 2.0)
„Zwar bildeten die „normalen“ Eltern, mit denen eine Zusammenarbeit zum Wohl des Kindes gut funktioniert, noch die Mehrheit, doch nehmen die extremen Haltungen zu und binden Zeit und Energie der Lehrer“, heißt es in der Studie Eltern – Lehrer – Schulerfolg“ der Katholischen Stiftungsfachhochschule Benediktbeuern aus dem Jahr 2013. Foto: Jeff Howard / flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Neben der Notwendigkeit einer straffen Organisation verweist der Einladungstext auf ein weiteres Dilemma der Elternarbeit: Auf der einen Seite sehen sich Schulen zunehmend mit Eltern konfrontiert, die oft selbst einen hohen Druck verspüren und die daher auf allen möglichen Wegen versuchen, durch persönlichen Einsatz „noch etwas herauszuholen“, was die positive Bewertung der Leistungen ihrer Sprösslinge angeht. Auf der anderen Seite stehen Elternhäuser, die die Förderung ihrer Kinder als nahezu ausschließlich Sache der Schule sehen und schon für basale Kooperationsangebote kaum erreichbar sind.

Diese Zweiteilung der Elternschaft erleben dabei nicht erst die Lehrer an weiterführenden Schulen. Über ungläubiges Staunen im Freundeskreis berichtet etwa die Dortmunder Grundschullehrerin Ulla G., wenn sie von ihren Erfahrungen aus der Tätigkeit an verschiedenen Grundschulen berichtet. Zunächst in einem bürgerlich geprägten Stadtteil tätig, seien gerade in der ersten Hälfte des ersten Schuljahres an beinahe jedem dritten Schultag zu normalen Unterrichtszeiten bis zu zwei Eltern bei ihr vorstellig“ geworden, die sie zu überzeugen versucht hätten, dass die Söhne oder Töchter unbedingt später das Gymnasium besuchen müssten. Teilweise sei da auch schon die Grenze zur Bestechung nahe gewesen, so G., ganz abgesehen von der Störung des Unterrichts.

Später an eine Schule in einem anderen Stadtteil gewechselt („keinesfalls ein Problemviertel“), habe sich der Umgang mit den Eltern grundlegend gewandelt. Meist seien Eltern erst nach mehrfacher Aufforderung überhaupt zu Gesprächen bereit gewesen, auf individuelle Förderangebotefür ihre Kinder hätten sie vielfach nur mit einem Schulterzucken reagiert. Zeitweise habe sie überdies mehr Zeit in Gesprächen mit dem schulpsychologischen Dienst verbracht als mit der eigentlichen Unterrichtsvorbereitung.

Aber selbst die Fälle einmal außer Acht gelassen, in denen Lehrer mit sozialen Problemen konfrontiert sind, die ein Eingreifen von außen zwingend notwendig machen – viele Fälle etwa von häuslicher Gewalt oder Missbrauch werden erst im schulischen Kontext aufgedeckt: Zugespitzt liegt die Frage nah, ob schulische Elternarbeit die „richtigen Eltern“ erreicht, oder ob gerade diejenigen, bei denen eine partnerschaftliche Zusammenarbeit besonders viel Sinn machen würde, sich dieser Zusammenarbeit entziehen.

Und in dieser Frage tritt auch eine gesellschaftliche Dimension zutage, denn trotz einiger Fortschritte in der Bildungspolitik ziehen Studien noch immer die Bilanz, dass in Deutschland ein enger Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg von Jugendlichen besteht. Auch in diesem Sinne ist Elternarbeit, wie schon 2013 ein Expertenteam im Auftrag der Vodafone-Stiftung formulierte, ein „vielschichtiges und in Teilen hochkontroverses“ Thema.

Einen Teil der Vielschichtigkeit bildet etwa der Aufschwung der Privatschulen, denn Eltern geht es nicht nur um die besten Chancen für ihr Kind in exklusiven Bedingungen, wenn sie sich für eine freie Schule entscheiden. Weit mehr als man allgemein annehmen mag, sind sie auch an pädagogischen Fragen interessiert. Gerade für Grundschuleltern spielt das „Wohlbefinden“ ihrer Kinder an der Schule eine große Rolle.

Über den klassischen Dreiklang von „Backen, Basteln und Bezahlen“ hinaus, arbeiten viele freie Träger – häufig aus Elterninitiativen hervorgegangen – eng mit „ihren“ Eltern zusammen, teils auch, was elementare pädagogische Fragen angeht. Gerade diejenigen Eltern, die sich für die Schule engagieren, gehen so dem staatlichen Schulwesen verloren. Studien zeigen, dass es besonders die gebildeten Mittelschicht-Eltern sind, die sich für Privatschulen interessieren.

Auch wenn dem staatlichen Schulsystem schon aufgrund seiner Größe bei über 35.000 Schulen in Deutschland hier engere Grenzen gesetzt sind, kann also möglicherweise eine veränderte Elternarbeit dazu beitragen, das allgemeine Vertrauen in die Schulen zu stärken und die Innovationspotenziale zu nutzen, die verloren gehen, wenn sich Eltern am Schulgeschehen nicht beteiligt fühlen. Doch hierzu bedarf es auch neuer Konzepte und des entsprechenden politischen Willens. (zab)

• zum Bericht: Studie: Elternarbeit wird für Lehrer immer anstrengender
• zum Bericht: Während die Politiker um das Schulsystem streiten, boomen die Privatschulen

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